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Wer trauert noch um Labour?

Barbara Wesel8. Mai 2015

Am Tag nach dem Wahlsieg Camerons scheint London plötzlich "Tory Land" - obwohl dort die Labour Party ihre Hochburg hat. Die Wahlverlierer brauchen Zeit, um die Niederlage zu verkraften. Von Barbara Wesel, London.

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David Cameron mit Ehefrau (Foto: Getty Images/AFP/S. Rousseau)
Bild: Getty Images/AFP/S. Rousseau

Auf dem belebten Bahnhof Victoria in der Mitte Londons konnte man am Tag nach der Wahl fragen, wen man wollte: Überall Zufriedenheit mit dem Wahlergebnis. Auch drei Arbeiter von der Reparaturwerkstatt der Londoner U-Bahn, genannt "Tube", waren erfreut. Sie wischten die Labour Party glatt vom Tisch: "Wir trauen ihrer Politik nicht, sie wollen nicht in den öffentlichen Nahverkehr investieren".

Ob das stimmt, oder nicht - das vernichtende Urteil über Labour ist ein Zeichen dafür, dass die Partei ihre Kernwähler in der Arbeiterschaft vielfach verloren hat. Die drei "Tube"-Mitarbeiter glauben, dass unter den Tories die Wirtschaft besser läuft und ihre Jobs sicherer seien. Sie hoffen sogar auf eine Gehaltserhöhung – obwohl die Löhne seit Jahren stagnieren.

Auch ein junges Pärchen auf dem Bahnsteig bekennt sich zu den Konservativen. Die Partei würde in den Umfragen immer schlechter abschneiden als später bei der Wahl. "Die Konservativen sind die einzigen, die untere Einkommen von der Steuer befreien und das öffentliche Gesundheitssystem reformieren können", sind die beiden überzeugt.

Großbritannien U-Bahn Arbeiter in Victoria Station in London (Bild: Barbara Wesel)
Freuen sich über den Triumph der Konservativen: Arbeiter in der Londoner Victoria StationBild: DW/B. Wesel

Auch gegen weitere Einschnitte ins Sozialsystem hat das junge Paar nichts einzuwenden. Nach milliardenschweren Kürzungen in der vergangenen Wahlperiode plant David Cameron weitere Einschnitte. Diese Politik scheint in England erstaunlich populär zu sein: Die Idee von der "der sozialen Hängematte", in der andere es sich bequem gemachen, hat auf der Insel zahlreiche Anhänger.

Einbußen für Liberale

Die Verdienste der Liberalen wurden nicht honoriert. Erst in der Cafeteria der UCL Universität in Bloomsbury findet sich eine Wählerin, die vom Untergang der Liberalen enttäuscht ist. Politikstudentin Gabrielle Osei ist traurig über die Niederlage des liberalen Wirtschaftsministers Vince Cable. "Er war ein unermüdlicher Abgeordneter und sehr anständiger und kluger Politiker", klagt sie. Die Öffentlichkeit habe total vergessen, welchen Anteil die Liberalen als Koalitionspartner an den Erfolgen der letzten Regierung gehabt hätten.

Nach Einschätzung der Studentin hat Cameron ein erfolgreiches Spiel mit der Angst betrieben: Viele Wähler der Liberalen seien zu den Tories übergelaufen, weil Cameron mit einer Minderheitsregierung von Labour, geduldet von schottischen Nationalisten, gedroht habe. Das sei auch für Labour selbst vernichtend gewesen.

Gabrielle Osei Studentin UCL London (Bild: Wesel)
Studentin Gabrielle OseiBild: DW/B. Wesel

Das Urteil ihres Studienfreundes Jorik über die konservative Regierung hingegen fällt vernichtend aus: "Sie machen das Leben für junge Menschen unmöglich. Die Studiengebühren sind unbezahlbar (ca. 12.000 Euro im Jahr, d.Red.), man kann in London nicht mehr leben, weil es so teuer ist. Viele meiner Freunde finden nach dem Abschluss keine Jobs, nichts als unbezahlte Praktika.“ Und er fügt eine düstere Prophezeihung an: “Cameron wird wie Thatcher“.

Trauer in Labour Wahlkreisen

Auch in dem Londoner Stadtteil Walthamstow sind die Konservativen schlecht gelitten. Der Bezirk vereint viele Nationalitäten, Leute aus der unteren Mittelschicht, und viele Sozialhilfeempfänger. Menschen, die auf dem preiswerten Wochenmarkt und in den Pound-Shops einkaufen, wo jede Ware nur ein Pfund kostet. An ihnen sind die ökonomischen Erfolge der Regierung Cameron vorbei gegangen.

Der Afro-Brite Boma Jaja hat für seinen kleinen Sohn im Second-Hand-Laden ein Hemd gekauft. Er lebt schon lange in London und ist politisch engagiert: "Ich bin tief enttäuscht", sagt er. Ed Miliband habe die Wähler nicht überzeugen können. Er macht aber nicht den nunmehr Ex-Labour Chef oder die Politik der Partei verantwortlich: "Ich glaube, in den Briten sitzt eine tiefe Angst vor Veränderung".

Großbritannien Wahl zum Unterhaus Ergebnis Labour Ed Miliband (Foto: JUSTIN TALLIS/AFP/Getty Images)
Oppositionsführer Ed Miliband und seine Frau Justine Thornton auf dem schwierigen Weg in die Labour-ParteizentraleBild: Getty Images/AFP/J. Tallis

Den Niedergang der früheren Arbeiterpartei lastet er vor allem Tony Blair an. Und nach ihm habe auch Gordon Brown nichts für die Zukunft der Partei bewirken können. Boma glaubt übrigens, dass nur die Rückkehr von David Miliband die Partei aus dem Abgrund retten könne. "Der Brudermord war der größte Fehler, David war einfach der bessere Politiker, der die Menschen überzeugen konnte".

Auf der Suche nach einem "britischen Obama"

Tatsächlich werden bei Labour inzwischen andere Namen gehandelt, etwa der als "britischer Obama" vielgepriesene Chuka Ummuna oder Yvette Cooper, die im Unterhaus schlagkräftige Oppositionspolitik gemacht hat, ohne die Wähler gegen sich aufzubringen.

Bei den Ständern für Herrenjacken sucht Martin Reeve nach einem preiswerten Fund. Er ist total deprimiert von dem Wahlergebnis. Eigentlich sei er Wähler der Grünen, aber der Untergang von Labour und der triumphale Sieg der Tories mache ihn total krank. Martin muss sich auf seinen Stock stürzen, durch eine Krankheit verlor er seinen Job im Verlagswesen. Weitere Kürzungen in der Sozialhilfe würden ihn treffen.

"Die Tories sind eine extrem rechte Partei, die sich als Partei der Mitte maskiert hat", glaubt er. Jetzt würden Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Alleinerziehende die volle Wucht ihrer Politik zu spüren bekommen. "Sie reden den Leuten Angst und Vorurteile ein, und die britische Öffentlichkeit ist anfällig dafür", erklärt Reeve.

Er ist auch einer der wenigen, der sich um Europa Sorgen macht : "Cameron wird das Referendum nun abhalten müssen, aber das kann seine Partei noch zerreißen", glaubt er. Vielleicht würde die Abstimmung sogar mit einem knappen Ja für den Verbleib in der EU enden, aber die Europagegner bei den Konservativen würden nichts weniger durchsetzen wollen als den Ausstieg. Am Ende kann Martin sich den überwältigenden Sieg der Tories bei dieser Wahl nur mit dem Gefühl erklären: „Die Briten sind einfach emotional konservativ“.