Die Renaissance der fliegenden Riesen
7. Juli 2022"Totgesagte fliegen länger", oder "Sag niemals nie" wären Titel, die gut zu diesem erstaunlichen Comeback passen würden. Der Airbus A380, das größte Passagierflugzeug der Welt mit über 600 Sitzen an Bord (in einer Emirates-Variante), war bereits von vielen Betreibern abgeschrieben und stillgelegt worden. Doch nun, um dem plötzlich massiven Anstieg der Passagierzahlen gerecht zu werden und Lieferengpässe bei Boeing zu überbrücken, kommt sie in viel größerer Zahl als erwartet zurück.
In der letzten Juni-Woche waren nach Angaben des Webportals flightradar24 weltweit bereits 129 Exemplare der A380 bei sieben Airlines wieder in der Luft, mehr als die Hälfte aller 251 ausgelieferte Flugzeuge des Typs, und es kommen wöchentlich weitere hinzu. Sogar Lufthansa hat in Sachen A380 gerade eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt und die Rückkehr des Typs zum Sommerflugplan 2023 Ende März kommenden Jahres angekündigt.
Erste Maschinen sind bereits zerlegt
Eine noch vor wenigen Monaten undenkbare Renaissance der Riesen nimmt ihren Lauf. Die A380 wird von den Fluggästen geliebt. Aber fast alle Betreiber-Fluggesellschaften hatten Schwierigkeiten, den Flieger mit seinen durstigen vier Triebwerken und vielen zu füllenden Plätzen an Bord wirtschaftlich zu betreiben, das Flugzeug, von dem Airbus gehofft hatte, mehr als tausend Stück zu bauen, wurde kommerziell ein Flop.
Nur der größte Kunde, Emirates aus Dubai, setzte weiter voll auf sein Paradeflugzeug, von dem die arabische Airline insgesamt 123 geliefert bekam, fast die Hälfte aller gebauten A380. Die Produktion endete bereits im vergangenen Jahr, Emirates erhielt im Dezember 2021 das allerletzte gefertigte Riesenflugzeug vom Airbus-Werk in Hamburg. Die Ära der vierstrahligen Großraumflugzeuge schien endgültig vorbei, auch die Produktion der Boeing 747 wird nach über 50 Jahren noch 2022 eingestellt. Air France musterte ihre zehn Airbus A380 noch vor der Pandemie endgültig aus, die ersten wurden bereits zerlegt. Als Corona weltweit zuschlug und der Flugbetrieb ab Frühjahr 2020 am Boden lag, schien das schnelle Ende fast aller verbliebenen A380 vorprogrammiert. Mit der Ausnahme von Emirates, die bereits angekündigt hatte, ihre Riesenflotte an Doppelstöckern mit Duschen und Bordbar noch bis Mitte der 2030er Jahre einzusetzen.
"Sie kommt nicht wieder"
Auch die Lufthansa, die ab 2010 insgesamt 14 Exemplare mit je 509 Sitzen in ihrem Bestand hatte, zog die Reißleine: Sie schickte die gesamte Flotte in die vermeintliche Rente, und Lufthansa-Chef Carsten Spohr betonte erstmals im August 2021: "Die A380 kommt natürlich nicht zurück." Und noch im April 2022 erklärte er dem Magazin Der Spiegel: "Das ist endgültig vorbei. Die A380 ist im Vergleich zu den neuesten zweistrahligen Langstreckenjets zu unwirtschaftlich. Sie kommt bei Lufthansa nicht wieder."
Wer die Riesenjets der Lufthansa und vieler anderer Airlines heute sehen möchte, muss zum Beispiel in den französischen Wallfahrtsort Lourdes reisen. Am Flughafen Tarbes-Lourdes stehen vor der prächtigen Kulisse der schneebedeckten Pyrenäen viele Dutzend eingemottete Verkehrsflugzeuge, viele davon fabrikneu direkt aus dem nahen Airbus-Werk in Toulouse hier geparkt, ohne jemals Passagiere befördert zu haben.
Aber auch etliche gebrauchte A380. Direkt am dünnen Drahtzaun lässt sich quasi Tuchfühlung aufnehmen zu den schlafenden Riesen: Fenster und Triebwerke sind mit silberner Folie abgeklebt, Fahrwerksbeine säuberlich verpackt, alle Öffnungen am Rumpf sorgfältig verschlossen. Deep Storage nennt sich dieser Dornröschenschlaf. "Es dauert danach neun Monate, unsere A380 wieder in Betrieb zu nehmen", erklärte Lufthansa-Chef Spohr kürzlich gegenüber der DW.
Boeings Probleme mit der 777-9
Und das wird nun wirklich passieren. Vier bis fünf der acht verbleibenden A380 mit dem Kranich am Heck sollen wieder für den Linienbetrieb fit gemacht werden. "Ich musste meinen Standpunkt zum endgültigen Ende der A380 etwas abmildern", räumte Spohr Ende Juni ein. Und das hat nicht nur mit den schnell teilweise das Niveau von 2019 übersteigenden Passagierzahlen zu tun, sondern noch mehr mit den großen Problemen bei Boeing.
Dort gehörte die Lufthansa zu den Erstkunden für das derzeit größte in Produktion befindliche Langstreckenflugzeug, die Boeing 777-9, in das die deutsche Gesellschaft 400 Sitze einbauen lassen will. Deren Auslieferung verzögert sich aber inzwischen um rund fünf Jahre, sie wird nun nicht vor 2025 in der Lufthansa-Flotte erwartet. "Die Verspätungen bei der Auslieferung der Boeing 777-9 sind für unseren Flugbetrieb eine große Belastung", klagt Spohr. Die naheliegende Zwischenlösung war da die Wieder-Inbetriebnahme der bereits abgeschriebenen A380. Sechs ihrer ehemals 14 Riesen hatte die Lufthansa in einem Tauschgeschäft an Airbus zurückverkauft, die ersten wechseln im Oktober 2022 den Besitzer.
Piloten vom Hof gejagt
Von den acht verbleibenden würden zunächst vier bis fünf im Frühjahr 2023 wieder von der Basis München fliegen, so Spohr, bei weiter starker Nachfrage könnten es auch noch mehr werden. Hauptgrund für die Stationierung in Bayern ist der Pilotenbedarf. "Wir haben nur 14 A380-Piloten flugbereit gehalten, die direkt einsetzbar wären. Wenn wir die A380 nun zurückholen, müssen wir auch einige A350-Piloten dafür qualifizieren", so Spohr. Das verwandte Airbus-Muster ist in München stationiert, einige A350-Cockpitbesatzungen sollen in sechswöchigen Kursen dafür qualifiziert werden, auch die A380 zu fliegen. Nicht zu vergessen: Die Lufthansa hatte ihre Piloten 2021 teils sechsstellige Abfindungsprämien angeboten, für A380-Piloten nach Angaben des Fachportals aero.de sogar noch 35.000 Euro extra.
Die Ankündigung der Rückkehr ihrer Riesen gab der Lufthansa in der derzeitigen Lage, in der sie stark in der öffentlichen Kritik steht wegen der vielen Probleme im Flugbetrieb, eine seltene Chance: endlich eine positive Nachricht zu verkünden, die in den sozialen Medien mit vielen roten Herzen bedacht wurde.