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Tour de France: Löst Girmay Radsport-Boom in Afrika aus?

2. Juli 2024

Biniam Girmay schreibt bei der Tour de France als erster schwarzer Etappensieger aus Afrika Radsportgeschichte. Der Profi aus Eritrea hofft, dass sein Beispiel Schule macht.

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Biniam Girmay jubelt beim Zieleinlauf in Turin auf seinem Fahrrad über seinen Etappen-Sieg bei der Tour de France
Biniam Girmay gewinnt in Turin im Sprint die dritte Etappe der diesjährigen Tour de FranceBild: Daniel Cole/AP/picture alliance

Biniam Girmay vergoss Freudentränen. "Als ich begonnen habe, Rad zu fahren, hätte ich mir niemals erträumt, Teil der Tour de France zu werden. Und nun habe ich bei meinem zweiten Tour-Start eine Etappe gewonnen. Unglaublich", sagte der 24 Jahre alte Radprofi aus Eritrea nach seinem Sieg auf der dritten Etappe der diesjährigen Tour de France. Es sei ein Triumph für Eritrea und ganz Afrika. "Wir müssen stolz sein. Jetzt sind wir wirklich Teil der ganz großen Rennen. Das ist unser Moment, unsere Zeit."

Mit seinem Sprintsieg auf dem dritten Teilstück hat Girmay Radsport-Geschichte geschrieben. Als erster schwarzer Radprofi aus Afrika feierte er beim wichtigsten Radrennen der Welt einen Tagessieg. Die bislang einzigen Etappenerfolge für Fahrer des Kontinents hatten die Südafrikaner Robert Hunter 2007 und Daryl Impay 2019 geholt.

Augenverletzung nach Giro-Etappensieg

Früher habe er immer gedacht, die Tour sei "nur etwas für weiße oder europäische Menschen", sagte Girmay 2023 im TV-Sender Eurosport. Erst der Tour-Start seiner eritreischen Landsleute Daniel Teklehaimanot und Merhawi Kudus habe ihm gezeigt, dass auch er es eines Tages schaffen könnte. Teklehaimanot hatte 2015 bei der Frankreich-Rundfahrt als erster Afrikaner vier Tage lang das gepunktete Trikot des besten Bergfahrers getragen. Ein Etappensieg war ihm allerdings ebenso wie Kudus verwehrt geblieben.

Girmay ist nicht erst seit diesem Montag ein Siegfahrer. 2022 gewann er in Belgien mit dem Kopfsteinpflaster-Rennen Gent-Wevelgem einen Frühjahrsklassiker. Im selben Jahren entschied er zudem eine Etappe des Giro d'Italia für sich. Auch bei der Italien-Rundfahrt hatte vor Girmay noch niemals ein schwarzer Radprofi aus Afrika ganz oben auf dem Podest gestanden. Der Triumph hatte auch eine politische Note: Von 1890 bis 1941 war Girmays Heimatland Eritrea italienische Kolonie.

Bei der Siegerehrung des Giro d'Italia flog Girmay der Korken der Sektflasche ins Auge. Wegen der Verletzung konnte er nicht weiterfahren. Dieses Missgeschick blieb ihm jetzt bei der Tour de France erspart. Seit mehreren Jahren gibt es bei der Rundfahrt keinen Sekt mehr bei der Siegerehrung. "Biniam ist ein herausragender Rennfahrer", sagte sein deutscher Teamkollege Georg Zimmermann über Girmay, "aber eigentlich eher bei schwierigen Sprints auf schwierigeren Strecken. Von daher ist es auch für uns zumindest eine halbe Überraschung."

Biniam Girmay vergießt nach dem Etappensieg bei der Tour de France Freudentränen
Freudentränen nach dem Etappensieg bei der TourBild: Daniel Cole/AP/picture alliance

Aike Visbeek, Sportdirektor von Girmays belgischer Mannschaft Intermarché-Wanty, hofft, "dass dies die Schleusen für mehr Fahrer aus Afrika öffnen wird. Jetzt kann die Welt sehen, was möglich ist, wenn man diesen Jungs eine Chance gibt." Vielleicht wird nun in den TV-Übertragungen der Tour auf Girmays Coup 2024 hingewiesen - und nicht mehr nur das Beispiel des schwarzen afrikanischen Profis Abdel-Kader Zaaf erwähnt. Der Algerier hatte bei der Rundfahrt 1950 Wein getrunken und im Schatten eines Baumes seinen Rausch ausgeschlafen. Dann war er wieder aufs Rad gestiegen und in die falsche Richtung gefahren: zurück zum Startort. Eine der vielen Kuriositäten in der 111-jährigen Geschichte der Tour de France.

Eritrea ist verrückt nach Radsport

In Girmays Heimat Eritrea ist Radfahren Nationalsport. Die italienischen Kolonialherrscher brachten die Sportart in das nordost-afrikanische Land, das am Roten Meer liegt. Hinter der Küste erhebt sich eine Hochebene. Girmay wurde im Jahr 2000 in der Hauptstadt Asmara geboren, auf rund 2300 Meter Höhe. Erst mit 13 Jahren begann er mit dem Radsport, auf einem Fahrrad, das ihm sein älterer Bruder geliehen hatte.

Mit 18 wurde Girmay zu einem Trainingslager in die Schweiz eingeladen.  Der Radsport-Weltverband UCI fördert seit 2002 mit einem Entwicklungsprogramm junge Talente aus strukturschwachen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. "Er ist ein Sprinter, der gut klettern kann", sagte UCI-Trainer Jean-Jacques Henry bereits vor zwei Jahren über Girmay. "Es hat nicht lange gedauert, bis er sein Potenzial unter Beweis gestellt hat. Er hat gezeigt, dass er ein großes Rennen gewinnen kann."

In Eritrea ist Girmay längst ein Volksheld, der nicht mehr unerkannt über die Straße gehen kann. Nach seinem Etappensieg beim Giro d'Italia 2022 feierten ihn die Fans in Asmara mit einem Auto-Korso. Am Steuer des Wagens, in dem Girmay fuhr, saß kein Geringerer als Zersenay Tadese. Der frühere Leichtathlet hatte bei den Spielen 2004 in Athen mit Bronze über 10.000 Meter die erste olympische Medaille für Eritrea gewonnen.  

"Nun wird jeder glauben, dass afrikanische Fahrer alles erreichen können", sagte Girmay nach seinem Etappen-Sieg bei der Tour de France und nahm die Profi-Teams in die Pflicht. "Der Radsport ist jetzt globaler. Die Teams müssen sich nach jungen Talenten außerhalb Europas umsehen."

Derzeit finden sich unter den mehr als 500 Radprofis in den Teams der höchsten UCI-Kategorie nur fünf schwarze Afrikaner. Vier davon kommen aus Eritrea. Vielleicht sorgt Girmay ja rechtzeitig für einen Radsport-Boom auf dem Kontinent. Denn 2025 werden die Straßenrad-Weltmeisterschaften erstmals in Afrika ausgetragen: im ebenfalls radsportbegeisterten Ruanda.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter