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Tourismus in den Alpen in Gefahr?

6. November 2023

Viele Menschen zieht es zur Erholung in die Alpen. Doch die Bergregion leidet unter diesem Andrang und unter dem Klimawandel. Die Risiken im Gebirge steigen. Ist Alpen-Tourismus künftig noch möglich?

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Deutschland | Zugspitze
Auch in Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, taut der Permafrost. Bild: Olha Rohulya/Zoonar/picture alliance

Wunderbare Aussichten, lange Berghänge, einsame Wipfel und viel Ruhe - die Alpen sind Sommers wie Winters ein Sehnsuchtsort für Erholungsuchende. Die Realität sieht aber teilweise anders aus: Kilometerlange Staus auf den Straßen, zugeparkte Ortschaften, Karawanen von Menschen auf Wanderwegen und Gedränge an den Liften. Viele idyllische Bergdörfer haben sich in Hotelburgen verwandelt.

Die Region muss aber nicht nur den Andrang der Besucher verkraften, sondern zusätzlich auch noch in besonderem Ausmaß die Folgen des Klimawandels. "Man kann klar beobachten, dass die Erwärmung im Alpenraum deutlich schneller verläuft als die im globalen Durchschnitt", sagt Steffen Reich vom Deutschen Alpenverein (DAV). Längere, heißere Wärmeperioden und weniger Schneefall führen zu schmelzenden Gletschern und tauendem Permafrost. Es kommt häufiger zu Stürmen, wodurch ganze Berghänge entwaldet werden, Starkregen führt zu Erosion, es muss vermehrt mit Steinschlag und Schlammlawinen gerechnet werden.

Deutschland Flutwelle in Höllentalklamm bei Garmisch-Partenkirchen
Eine plötzliche Flutwelle im Höllentalklamm bei Garmisch-Partenkirchen am Fuß der Zugspitze hat 2021 mehrere Menschen mitgerissenBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Mehr Tourismus in den Alpen durch Klimawandel?

Auf die Gäste zu verzichten, scheint keine Option zu sein, denn der Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen in den Alpen. Trotz der Probleme durch den Klimawandel, "werden die Alpen eher noch an Beliebtheit bei den Touristen gewinnen", glaubt Reich, weil es hier künftig immer noch kühler sein wird als im Flachland.

Im Klimawandel müssen sich die Regionen umstellen, die vor allem vom Skitourismus profitiert haben. Denn der wird bei weniger Schneefall und höheren Temperaturen nicht mehr überall möglich sein. Bisher kann künstlicher Schnee noch aushelfen. Sobald die Temperaturen aber den Gefrierpunkt überschreiten, ergibt Beschneien keinen Sinn mehr, zumal dafür sehr viel Wasser und Energie gebraucht wird. Und Wasser wird immer knapper in den Alpen.

Das trifft viele Regionen, denn die Alpen sind das bedeutendste Gebiet für den Alpin-Wintersport. Etwa die Hälfte aller Skigebiete weltweit liegt hier. "In Zukunft wird man nicht mehr für sieben Tage in die Alpen zum Skifahren gehen, sondern Winterurlaub in den Alpen machen und seine Aktivitäten nach den Bedingungen vor Ort ausrichten", sagt Henriette Adolf von der internationalen Alpenschutzkommission CIPRA. Dann könnte beispielsweise Skilanglauf gemacht werden, oder Schneeschuhwanderungen, wofür jeweils weniger hohe Schneedecken gebraucht werden. Unter Umständen müssten die Besucherinnen und Besucher aber auch ganz auf Schnee verzichten.

Österreich Skigebiet Paznauntal Ischgl
Jeden Tag Skifahren im Winter - das wird künftig nicht in jedem Skigebiet mehr möglich seinBild: MiS/IMAGO

Außerdem müssten sich die Orte mehr auf einen Ganzjahrestourismus fokussieren, meint Reich. Wenn Winterskiorte beispielsweise ihre Seilbahnen modernisieren, sollte gleich mitgedacht werden, dass die Lifte auch im Sommer funktionieren können.

Wandern in Zeiten von Klimawandel

Der Klimawandel trifft nicht nur den Skitourismus. Wandern und Bergsteigen in den Alpen wird nach Einschätzung von Experten durch den Klimawandel risikoreicher werden. "Die Gefahr im Gebirge wächst, das ist keine Frage", sagt Rolf Sägesser vom Schweizer Alpen-Club SAC.

"Gerade für Hochtourengeher sind die Folgen der Erderhitzung und die damit verbundenen, erhöhten Risiken in den (noch) vergletscherten Regionen dramatisch", heißt es vom Österreichischem Alpenverein. In Nordlagen gibt es ab einer Höhe von 2400 Metern Permafrostböden. Eigentlich hält der Permafrost das Gestein wie Klebstoff zusammen. Inzwischen tauen die Böden immer weiter auf. Ohne diesen Klebstoff drohen Schlammlawinen, Steinschlag oder ganze Bergrutsche.

Im Juni dieses Jahres war das am Tiroler Fluchthorn zu beobachten. Dort brach der ganze Gipfel weg und gewaltige Gesteinsmassen - insgesamt eine Million Kubikmeter, das entspricht der Ladung von rund 120.000 Lastwagen - rutschten ab. "Punktuell gibt es jetzt schon Wanderwege, die aufgrund Hangrutschgefährdung und ähnlichem zeitweise gesperrt sind oder dauerhaft umgebaut werden müssen", sagt Reich. Schmelzende Gletscher würden Gerölllandschaften hinterlassen, die sehr instabil seien und dazu führen, dass Routen im Hochgebirge geändert werden müssen.

Schweiz Gletscherschmelze Klimawandel
Im September 2022 wurden die Messungen am Corvatsch-Gletscher in der Schweiz beendet. Es ist so viel Eis geschmolzen, dass er nun gar nicht mehr vermessen werden kann.Bild: GIAN EHRENZELLER/Keystone/picture alliance

Vor allem können sich Situationen im Hochgebirge sehr kurzfristig ändern. "Wir erhalten Informationen zu den aktuellen Verhältnissen nicht mehr wie früher aus der gedruckten Führerliteratur oder der analogen Karte, sondern vielmehr aus Internetportalen wie etwa alpenvereinaktiv.com oder durch einen Anruf auf der Hütte", erklärt Bergsportexperte Gerhard Mössmer vom Österreichischen Alpenverein.

Prinzipiell sei es aber trotzdem weiterhin möglich, in den Alpen zu wandern, glaubt sein deutscher Kollege Reich. "In Einzelfällen wird vielleicht mal nach einem größeren Bergsturz für eine Weile ein Gebiet abgesperrt werden oder man überlegt, ob man den Weg noch zulassen kann, der dort entlangführt. Aber dass man komplette Gebiete nicht mehr bereisen kann, das halte ich nicht für realistisch."

Die Wandernden müssten ihr Verhalten anpassen, sagt der Schweizer Sägesser: "Die Berge bieten aber so viel Raum, da kann man den Gefahrenzonen ausweichen."

Wird den Hütten der Boden unter dem Fundament weggezogen?

Tauende Permafrostböden und Wassermangel - das trifft auch bewirtschaftete Hütten. Einige Hütten des Alpenvereins stünden auf Permafrost und deren Fundament sei womöglich gefährdet, berichtet Reich. Außerdem würden die Hütten den Wassermangel im Sommer deutlich spüren. Maßnahmen werden bereits ergriffen: "Es wird vor allem Wasser gespart, es werden Zisternen angelegt, Toiletten gebaut, die kein Wasser benötigen oder Duschen zurückgebaut."

"Ich habe es auch schon erlebt, dass das Wasser rationiert war oder nur eine begrenzte Menge Wasser mit zum Wandern genommen werden konnte", erzählt CIPRA-Vize Henriette Adolf. Nicht immer reicht das. "Es gibt nach wie vor Hütten, die ihre Saison früher beenden, weil kein Wasser mehr verfügbar ist."

Symbolbild Alpen Wassermangel Steinschlaggefahr Muren
In Zeiten von Wassermangel sind Trockentoiletten (siehe Bild) eine AlternativeBild: Philipp von Ditfurth/dpa/picture alliance

Wie viele Touristen sind zu viel?

Wenn sich der Touristenandrang trotz der Folgen des Klimawandels noch verstärkt, könnten einige Gebiete an ihre Belastungsgrenze kommen. In Südtirol ist den Einheimischen der Andrang zu groß geworden. Beispielsweise werden der Pragser Wildsee mit seiner Instagram-tauglichen Traumkulisse oder das Bergmassiv Rosengarten geradezu von Touristen überrannt.

"Wir haben die Grenze unserer Ressourcen erreicht, wir hatten Probleme mit dem Verkehr und die Bewohner haben Schwierigkeiten, bezahlbaren Lebensraum zu finden", beschrieb Arnold Schuler, Südtiroler Landesrat, die Situation im Fernsehsender CNN im Frühjahr 2023. Daher haben die Südtiroler dem Besucherstrom im vergangenen Jahr einen Riegel vorgeschoben und eine Begrenzung der Betten eingeführt.

So drastische Maßnahmen seien aber nicht überall nötig, meint Reich. Neben diesen Hotspots gebe es auch entvölkerte Regionen, wie den Piemont, wo wirklich "nichts los" sei.

"Dort wo so ein enormer Massenandrang ist, muss man reagieren", meint Reich. "Aber man muss dann genau ergründen, was das eigentliche Problem ist. Leidet die einheimische Bevölkerung, geht es um Wildtiere, die gestört werden oder ist es eigentlich ein Parkproblem?" Je nach Problemlage müssten dann konkrete Lösungen erarbeitet werden.

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion