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Transnistrien und Republik Moldau: Russlands nächster Krieg?

Vitalie Calugareanu (Chisinau) | Keno Verseck (Berlin)
29. Februar 2024

Die Separatisten im Gebiet Transnistrien der Republik Moldau bitten Moskau um Hilfe. Wladimir Putin erwähnt den Appell und die Republik in seiner Rede an die Nation nicht. Kommt Russlands nächster Krieg dennoch?

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Ein Standbild von Lenin auf einer Säule vor einem öffentlichen Gebäude in Tiraspol, der Hauptstadt der von Separatisten beherrschten Region Transnistrien
Lenin-Denkmal vor dem Gebäude des so genannten Obersten Sowjets in Tiraspol, der "Hauptstadt" der von moskautreuen Separatisten beherrschten Region TransnistrienBild: Violeta Colesnic/DW

Seit der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 führt Russland nahezu ununterbrochen Kriege gegen seine Nachbarn oder provoziert sie zumindest. Den ersten Krieg brach Moskau nur gut zwei Monate nach dem Zerfall des Sowjetreiches vom Zaun: Anfang März 1992 in der kleinen Republik Moldau, gelegen zwischen der Ukraine und dem Nordosten Rumäniens. Dort leben mehrheitlich rumänischsprachige Moldauer, der größte Teil des Landes gehörte bis zu seiner Annexion in der Zarenzeit und später erneut unter Stalin zum rumänischen Fürstentum Moldau.

In einem Teil der Moldau, dem so genannten Transnistrien, einem Landstreifen am linken Ufer des Flusses Dnister, hatten moskautreue Separatisten unter dem Vorwand des Schutzes von Russen und der russischen Sprache bereits 1990 eine nicht anerkannte Republik ausgerufen. Die äußerst blutigen Kampfhandlungen im Frühjahr 1992 endeten zwar nach wenigen Monaten, doch seitdem stehen russische Truppen in Transnistrien - obwohl der Kreml sich bereits vor einem Vierteljahrhundert in einem Abkommen verpflichtet hatte, sie abzuziehen.

Luftaufnahme der Brücke über den Fluss Dnister nahe Vadul lui Voda
Der Fluss Dnister, der das Separatistengebiet Transnistrien von der Republik Moldau trenntBild: Fedja Grulovic/REUTERS

Äußerlich gleicht Transnistrien einem gigantischen sowjetischen Freilichtmuseum - mit Lenin-Denkmälern, roten Fahnen und Hammer-und-Sichel-Symbolen. Tatsächlich muss man sich den Landstreifen aber als eine Art riesiges Firmengelände und Waffenlager einer kleinen Gruppe ehemaliger KGB-Offiziere denken, die aktuell wohl auch für den russischen Militärgeheimdienst GRU arbeiten. Sie betreiben mit ihrem Unternehmenskonglomerat Sheriff Geldwäsche und Schmuggelgeschäfte und kontrollieren praktisch die gesamten ökonomischen Aktivitäten in dem Gebiet.

"Präsident" Transnistriens spricht von "Genozid"

Immer wenn die Geschäfte bedroht sind, kommen das machtlose Parlament, der Oberste Sowjet Transnistriens, oder andere Foren zusammen und ersuchen Moskau um Hilfe, Schutz oder Aufnahme in die russische Föderation. Damit steht dann die Gefahr eines heißen Kriegs im ansonsten eingefrorenen Konflikt jedesmal wieder im Raum.

Eine Straße in Tiraspol, der "Hauptstadt" des Separatistengebiets Transnistrien. Große Tafeln mit russischer Aufschrift säumen die Straße
Die Gebietshauptstadt Tiraspol in dem abtrünnigen Landstrich TransnistrienBild: Goran Stanzl/Pixsell/imago images

So auch diesmal: Am Mittwoch (28.02.2024) bat in Tiraspol, der Gebietshauptstadt Transnistriens, ein "Kongress der Abgeordneten aller Ebenen" in einer Resolution Russland um Schutz vor dem "immer größeren Druck" und dem "Wirtschaftskrieg der Moldau". Der "Präsident" Transnistriens, Wadim Krasnoselski, ehemals Security-Verantwortlicher bei Sheriff, beschuldigte die Behörden in Chisinau, einen "Genozid" an den Bewohnern Transnistriens zu begehen.

Mehr Kontrolle über Transnistrien

Die Brisanz des Schutzappells an Russland lag unter anderem an seinem Termin - die Versammlung in Tiraspol fand einen Tag vor der Rede an die Nation des russischen Präsidenten Wladimir Putin statt. Weithin war darüber spekuliert worden, ob Putin den Appell als Vorwand nutzen würde, um eine wie auch immer geartete militärische Einmischung in der Moldau oder die Annexion der Republik anzukündigen. Doch Putin erwähnte die Republik Moldau in seiner Rede am Donnerstag (29.02.2024) nicht einmal nominell.

Moldauische Politiker und Medien hatten bereits im Vorfeld von einem "Täuschungsmanöver" und einem "Propaganda-Bluff" Transnistriens gesprochen, die wenig ernst zu nehmen seien. Der Hintergrund: Firmen aus Transnistrien müssen seit dem 1. Januar 2024 Zölle und Gebühren zahlen, wenn sie Waren in das reguläre Staatsgebiet der Republik einführen. Es ist Teil eines Maßnahmenkatalogs, mit dem die Landesführung in Chisinau versucht, wieder mehr Kontrolle über Transnistrien zu bekommen.

Ukrainische Grenze zu Transnistrien abgeriegelt

In den vergangenen drei Jahrzehnten war Transnistrien als Gebiet zwischen der Ukraine und dem regulären moldauischen Staatsgebiet auf dem rechten Dnister-Ufer eine unkontrollierte Drehscheibe für illegalen Handel, Schmuggel und Geldwäsche gewesen. Die prowestliche Staatspräsidentin Maia Sandu, die sich zuvor als Bürgerrechts- und Anti-Korruptionsaktivistin einen Namen gemacht hatte, ist seit ihrem Amtsantritt Ende 2020 bemüht, die illegalen Wirtschaftspraktiken mit Transnistrien zu beenden.

Paradoxerweise hat der russische Krieg gegen die Ukraine ihr bei diesem Vorhaben geholfen, da die ukrainischen Behörden die Grenze nach Transnistrien seit Kriegsbeginn abriegelten, um Sabotageakte oder Angriffe russischer Soldaten auf die nur 70 Kilometer entfernte Hafenstadt Odessa und die umliegende Region zu verhindern. Transnistrien hat infolgedessen seine Rolle als Drehscheibe für Schmuggel und Geldwäsche größtenteils eingebüßt.

"Anzeichen für einen Kollaps"

Oleg Serebrian, moldauischer Vize-Regierungschef und Minister für die Reintegration Transnistriens, erklärte nach Putins Rede denn auch optimistisch, dass Russland die separatistische Region immer weniger kontrolliere und dass es in Tiraspol "mehrere Machtzentren und damit Anzeichen von Schwäche und eines Kollapses" gebe. Den Appell an Russland zum Schutz Transnistriens bezeichnete er als "Operation, mit der die Probleme des separatistischen Regimes kaschiert" werden sollten.

Der moldauische Vize-Regierungschef und Minister für Reintegration, Oleg Serebrian (links), und der ukrainische Botschafter mit besonderen Befugnissen für das Thema Transnistrien, Paun Rohovei, stehen an zwei Rednerpulten vor moldauischen und EU-Fahnen
Der moldauische Vize-Regierungschef und Minister für Reintegration, Oleg Serebrian (links), und der Botschafter der Ukraine für das Thema Transnistrien, Paun Rohovei, geben am 29.01.2024 eine PressekonferenzBild: Elena Covalenco/DW

"Die Dinge laufen wirtschaftlich und sozial schlecht in Transnistrien", so Serebrian, "und die Leute dort brauchen eine Erklärung. Sie besteht darin, dass die Mutter allen Übels Chisinau und die neuen Zölle seien und dass die Dinge in der Region deshalb schief laufen. Aber in Wirklichkeit laufen die Dinge in Transnistrien schon seit langem schlecht."

Propaganda und Desinformation

Tatsächlich hat Russland derzeit praktisch in Ermangelung eines direkten Zugangs zur Republik Moldau keine Möglichkeit, das Land anzugreifen. Allerdings verfügt Moskau über etwa 1500 bis 2000 Soldaten im Land. Hinzu kommen die transnistrischen Streitkräfte. Zusammengenommen sind sie der kleinen und sehr schlecht ausgerüsteten moldauischen Armee mit ihren nur rund 5000 Soldaten wahrscheinlich weit überlegen. Außerdem befindet sich im Norden Transnistriens nahe des Dorfes Cobasna eines der größten Waffendepots Europas mit über 20.000 Tonnen Waffen und Munition aus alten sowjetischen Beständen. Sollte es Russland gelingen, in die Region Odessa vorzudringen, könnte das der Auftakt zu einer Invasion in der Republik Moldau sein.

Politisch gesehen ist die Republik Moldau für Russland ebenso verloren wie die Ukraine. Die EU hat im Dezember mit der Republik Moldau Aufnahmeverhandlungen beschlossen. Eine Mehrheit der Menschen im Land ist proeuropäisch eingestellt, viele haben die Staatsbürgerschaft des Nachbarlandes Rumänien und damit EU-Pässe, Hunderttausende Moldauer arbeiten in EU-Ländern.

Dass Russland seinen Anspruch auf die Republik Moldau dennoch nicht aufgibt und sie unter geeigneten Umständen wohl auch überfallen würde, zeigt der hybride Krieg Moskaus gegen das Land: Prorussische Parteien, finanziert unter anderem von dem nach Israel geflüchteten prorussischen Oligarchen Ilan Sor, führen erbitterte Kampagnen gegen die Staatspräsidentin Maia Sandu und die prowestliche Regierung des Premiers Dorin Recean. Auch in sozialen Medien sind prorussische Propaganda und Desinformation massiv präsent. Für Herbst 2024 steht die Präsidentschaftswahl sowie ein Referendum über den EU-Beitritt an. "Im Vorfeld dieser Wahlen sehen wir bereits jetzt Versuche, die Lage in unserem Land zu destabilisieren", warnte vor kurzem der moldauische Außenminister Mihai Popsoi.