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Mikrokosmos des Syrien-Krieges

Patrick Strickland / aa12. April 2015

In der libanesischen Stadt Tripoli gibt es schon seit langem konfessionelle Konflikte. Durch den Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien sind sie noch extremer geworden. Patrick Strickland berichtet aus Tripoli.

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Libanon Folgen des Syrien Krieges
Bild: DW/D. Collins

Im Herzen von Tripoli gibt es zwei Viertel, die wie ein Mikrokosmos des syrischen Bürgerkrieges wirken. Dort kämpft der libanesische Staat gegen islamistische Milizen, die Gegner des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad sind. Bewaffnete alawitische Gruppen, die Assad in Syrien unterstützen, kämpfen wiederum gegen die islamistischen Milizen. Viele islamistische Milizen sind aber auch untereinander zerstritten.

Das Blutvergießen zwischen dem überwiegend sunnitischen Viertel Bab al-Tabbaneh und dem alawitisch dominierten Viertel Jabal Mohsen dauert schon wesentlich länger als der Aufstand in Syrien. Dennoch haben sich die Spannungen in Tripoli verschärft, seit der Konflikt in Syrien immer deutlicher entlang konfessioneller Linien verläuft.

Der Konflikt zwischen den Milizen aus Bab al-Tabbaneh und der Armee könnte bald wieder eskalieren. In der vergangenen Woche wurde der Extremist Osama Mansour, der offenbar Verbindungen zur islamistischen Nusra-Front in Syrien unterhielt, bei einer Schießerei mit staatlichen Sicherheitskräften in Tripoli getötet. Berichten zufolge trug Mansour einen Sprengstoffgürtel.

Im Oktober lieferten sich islamistische Gruppen in Bab al-Tabbaneh blutige Gefechte mit dem Militär. Als Antwort darauf setzte die Armee einen neuen Sicherheitsplan in Kraft. Doch Einwohner und Kämpfer aus dem Viertel glauben, dass die Ruhe nicht lange halten wird. "Wir warten nur auf einen Befehl aus Saudi-Arabien, um die nächste Schlacht zu eröffnen", sagt Abu Baschar, Kommandeur der lokalen Miliz "Komitee der Moschee". "Wir müssen hier unsere sunnitische Gemeinschaft beschützen."

Libanon Anschlag Bombe Cafe Tripolis Selbstmordanschlag 11.1.2015
Ort der Zerstörung: Ein Café in Jabal Mohsen nach einem Selbstmordattentat im Januar 2015Bild: Reuters/Hasan Shaaban

Es wäre falsch, die Gewalt lediglich als konfessionellen Konflikt zu beschreiben: Die Kämpfe zwischen Bab al-Tabbaneh und Jabal Mohsen sind in ihrem Wesen ein Stellvertreterkrieg um die Macht. Was an saudischem Geld und Unterstützung nach Bab al-Tabbaneh fließt, ähnelt der syrischen Unterstützung für die alawitische Gemeinde in Jabal Mohsen. Einwohner aus beiden Gemeinden haben auf unterschiedlichen Seiten in Syrien gekämpft - um dann nach Hause zurückzukehren und den Kampf in Tripoli fortzusetzen.

Abu Baschar sitzt in der Nähe eines Militär-Checkpoints und spricht ganz offen darüber, dass er gegen die Existenz des Militärs ist - und das, obwohl er streng genommen polizeilich gesucht wird. Seine Festnahme konnte er bislang jedoch umgehen. Das Militär will offenbar vermeiden, nach der Festnahme von Dutzenden von Kämpfern und Milizen-Führern im vergangenen Frühling einen weiteren Kampf mit lokalen Kämpfern zu provozieren.

Abu Baschar sitzt ruhig vor der Moschee in der Syrien-Straße, der faktische Trennlinie zwischen den verfeindeten Vierteln Bab al-Tabbanhe und Jabal Mohsen in Tripoli, und erläutert seine Sicht auf den Konflikt, der Tripoli umgibt. Er meint, dass die bereits bestehenden Konflikte zwischen Sunniten, Alawiten und dem libanesischen Militär nun noch verkompliziert würden durch das Auftauchen von Ablegern der radikal-salafistischen Gruppen Nusra-Front und Islamischer Staat, die jetzt auch in der Nachbarschaft aktiv seien.

"Wir werden keine Gnade walten lassen"

Die brüchige Ruhe zwischen Bab al-Tabbanhe und Jabal Mohsen ist eher ein Unentschieden als ein Waffenstillstand, und viele Einwohner und Kämpfer auf beiden Seiten haben das Gefühl, dass der Konflikt jeden Moment wieder aufflackern könnte. Khodar, ein 24-jähriger Kämpfer einer Miliz, die mit der Nusra-Front verbündet ist, hofft auf "ein Meer aus Blut" in den Straßen von Tripoli und auf das "Schlachten" der alawitischen Nachbarn. "Wir werden in Jabal Mohsen keine Gnade walten lassen. Auf keinen Fall", verkündet er und erzählt, dass er seinen Bruder und einen Nachbarn im Kugelhagel sterben sah. Das war im März 2014, als die letzte große Welle der Gewalt zwischen Bab al-Tabbaneh und Jabal Mosen ausbrach.

Libanon Folgen des Syrien Krieges
Khodar Aasi aus Tripoli hat wegen der Kämpfe in der Nachbarschaft seine Frau und seinen Sohn verlorenBild: DW/D. Collins

Bergauf in Jabal Mohsen ist genauso viel Wut verbreitet. Khodar Aasi, ein 42-jähriger Café-Besitzer, hat bereits viel verloren: Seine Frau wurde durch die Kugel eines Scharfschützen getötet, die im vergangenen Jahr durch das Fenster der gemeinsamen Wohnung schlug. Sein 20 Jahre alter Sohn wurde einige Monate später auf der Straße angeschossen und getötet.

Auf den ersten Blick scheint Khodar Aasis Humpeln nicht zu seinem muskulösen Körper zu passen. Seine Verletzung rührt daher, dass ihm im vergangenen Herbst ins Bein geschossen wurde. Sunnitische Kämpfer aus Bab al-Tabbaneh hatten willkürlich Alawiten aufgehalten, um ihnen auf die Kniescheibe zu schießen. "Wie sollen wir mit ihnen zusammenleben?", fragt Aasi. "Niemand kann mich ernsthaft bitten, Seite an Seite mit diesen Extremisten zu leben."

"Gefangene der Situation im Nahen Osten"

Diese Rhetorik ist in Jabal Mohsen genauso verbreitet wie in Bab al-Tabbaneh. Ali Aasi, ein 23-jähriger Kämpfer, zeigt auf seinem Handy das Foto einer langen Machete. "Ich habe sie gekauft, nachdem sie meinen Vater erschossen haben", sagt er. "Ich will Rache. Ich will sie in die Luft jagen. Wir sind alle bereit für den nächsten Kampf. Mein Vater liebte das Leben", erinnert er sich. "Wenn sie mich oder einen der anderen Kämpfer getötet hätten, könnte ich das akzeptieren. Aber mein Vater war kein Kämpfer und hat nie jemanden ungerecht behandelt. Wir sind nicht von Natur aus gewalttätige Menschen. Sie haben uns gelehrt, so zu sein."

Im August 2014 wurden zwei Moscheen in Tripoli von Autobomben erschüttert. 27 Menschen kamen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Viele spekulieren, dass die Moscheen als Ziel ausgesucht wurden, weil sie mutmaßlich Verbindungen zur syrischen Opposition unterhielten. Zu Beginn des Jahres wurde ein Café in Jabal Mohsen zum Ziel von zwei Selbstmordattentätern - offenbar aus Rache. Neun Alawiten kamen dabei ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Die Nusra-Front übernahm später die Verantwortung für den Anschlag.

Libanon Folgen des Syrien Krieges Ali Fouda
Ali Fouda von der Arabischen Demokratischen Partei sieht die Folgen der Konflikte im Nahen Osten auch in TripoliBild: DW/D. Collins

Einem hohen Mitglied des libanesischen Militärs zufolge wird die Situation durch den Zustrom von Syrern nach Bab al-Tabbaneh noch verkompliziert. Der Armee-Angehörige schätzt, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung des Viertel Syrer sind. Obwohl es sich bei den meisten von ihnen um Flüchtlinge handelt, gibt es auch viele Kämpfer, die am bewaffneten Konflikt gegen das Assad-Regime beteiligt waren. "Wir sind Gefangene der Situation im Nahen Osten", sagt Ali Fouda, Sprecher der Arabischen Demokratischen Partei, die die alawitischen Einwohner repräsentiert. "Wenn die Situation in Syrien schlecht ist oder im Jemen gekämpft wird, werden wir hier verletzlicher."