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Triumph der Hardliner

Kersten Knipp23. Dezember 2014

Die israelisch-palästinensischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Gewalt und Gewaltbereitschaft steigen auf beiden Seiten. Das nützt vor allem den Hardlinern, die ihre Ideologie über alles stellen.

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Demonstration in Jerusalem, 14.11.2014 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/A. Awad

Israel macht Bekanntschaft mit seinem ersten dschihadistischen Staatsbürger. Vor zwei Monaten war der minderjährige Israeli palästinensischer Herkunft von zu Hause weggelaufen. Seine Spuren verloren sich. Jetzt tauchte er wieder auf - in einem türkischen Krankenhaus, wo sich Ärzte um seine schweren Verbrennungen kümmern. Zugezogen, so die Vermutung, hat er sie sich in Syrien oder dem Irak, wo er in den Reihen der Terrororganisation "Islamischer Staat" kämpfte.

Der Fall des jungen Dschihadisten heizt in Israel die Sorge vor religiösem Extremismus weiter an. Könnte es sein, dass sich immer mehr Palästinenser radikalen dschihadistischen Gruppen wie dem IS anschließen? Der hatte Anfang November dieses Jahres immerhin seine Präsenz im Gaza-Streifen verkündet. Die den abgeriegelten Küstenstreifen kontrollierende islamistische Hamas hat die Anwesenheit von IS-Kämpfern bislang bestritten. Sie änderte ihre Position auch dann nicht, als ebenfalls Anfang November das französische Kulturzentrum in Gaza-Stadt angegriffen wurde und der "Islamische Staat" für den Anschlag die Verantwortung übernahm. Zugleich hat Hamas es bislang vermieden, den in Syrien und dem Irak wütenden IS grundsätzlich zu verurteilen. "Wir haben uns entschlossen, uns zum IS nicht zu äußern", erklärte ein Hamas-Sicherheitsoffizier dem Internetmagazin Al-Monitor. "Wir sind alle Islamisten, und es ist für uns aus ideologischen Gründen schwierig, sie als 'Terroristen' zu verurteilen. Denn auch wir selbst werden vom Westen und einigen arabischen Staaten des Terrorismus bezichtigt."

Proteste gegen Siedlunsgbau im Westjordanland,19.12.2014 (Foto: Getty Images)
Proteste gegen Siedlunsgbau im WestjordanlandBild: Abbas Momani/AFP/Getty Images

Säkulare gegen Islamisten

Ihre islamistische Ideologie versucht die Hamas zunehmend auch in das von der säkularen Fatah beherrschte Westjordanland zu exportieren. Die Hamas müsse den bewaffneten Widerstand auf jeden Zentimeter des Westjordanlands tragen, verkündete deren Chef Mahmud az-Zahar laut Al-Monitor auf einer öffentlichen Rede Ende November dieses Jahres in Gaza. Die Palästinensische Autonomiebehörde reagierte alarmiert: Sie verhaftete allein im November über 200 militante Hamas-Aktivisten.

Die Zahl spiegelt den Richtungsstreit wider, der die Palästinenser trotz der im Frühjahr installierten Einheitsregierung aus Hamas und Fatah derzeit spaltet. Beide streiten um die richtige Politik gegenüber Israel. Einig sind sie sich nur darin, die Grundzüge dieser Politik zu verurteilen. So machen beide Seiten Israel für den Tod des Politikers Ziad Abu Ein auf einer Demonstration im Norden von Ramallah am 10. Dezember dieses Jahres verantwortlich. Der der Einheitsregierung angehörende Minister ohne Amtsbereich war nach einer heftigen Konfrontation mit israelischen Soldaten gestorben. Sein Tod bringt die Palästinenser genauso in Rage wie der des 19-jährigen Muhammad Jawabreh, der am 11. November am Rande einer Demonstration von israelischen Soldaten erschossen worden war.

Palästinenser wenden sich an UN-Sicherheitsrat

Fälle wie diesen wollen die Palästinenser in Zukunft ebenso im Sicherheitsrat zur Sprache bringen wie den fortgesetzten israelischen Siedlungsbau oder das Vorgehen des israelischen Militärs im vergangenen Gaza-Krieg im Sommer dieses Jahres. Ebenso beklagen sie eine steigende Gewaltbereitschaft jüdischer Extremisten, in Israel selbst ebenso wie in den palästinensischen Autonomiegebieten.

Ziad Abu Ain bei den Protesten bei Ramallah, 10.12.2014 (Foto: Getty Images)
Ziad Abu Ain bei den Protesten bei RamallahBild: AFP/Getty Images/A. Moman

Vor wenigen Tagen haben sie eine Resolution eingereicht. Sie soll eine dauerhafte Friedenslösung mit Israel fördern. "Wir tun das nach langen Jahren, in denen wir unter Mord, Zerstörung, Bomben, Beschuss, Tricksereien, Heuchelei sowie der Ausweitung des Siedlungsbaus litten", heißt es heute (23.12.2014) in der palästinensischen Zeitung "Hayat al-jadida". Die ganze Welt erkenne, dass Israel dem Frieden im Wege stehe, schreibt ebenfalls heute die in Ost-Jerusalem erscheinende Zeitung "Al Quds".

Stillstand bis zu israelischen Regierungswahlen

Die Israelis wiederum werfen den Palästinensern vor, die Friedenbemühungen zu torpedieren. In allen Verhandlungen hätten sie Versuch, das Prinzip "zwei Staaten für zwei Völker" zu unterlaufen, schreibt die Zeitung "Jerusalem Post". Anders sieht es die linksgerichtete Zeitung "Haaretz". Für den Umstand, dass viele Israelis verunsichert und mit Sorgen in die Zukunft schauten, macht Kommentator Gershom Gorenberg Premierminister Netanjahu verantwortlich. Dieser will sich am 17. März des kommenden Jahres zur Wiederwahl stellen. Im Wahlkampf werde der Premier sich als Politiker mit Erfahrung inszenieren. "Erfahrung hat er darin, Siedlungen zu bauen, Wohlstand zu den Wohlhabenden zu verschieben, sich mal demagogisch und dann wieder moderat zu geben." Netanjahu präsentiere sich als starker Mann, der sein Volk schütze, schreibt der Journalist Ben Caspit in "Al-Monitor". Doch diese Rolle nähmen ihm immer weniger Israelis ab. Dass das israelische Militär im Sommer 50 Tage gebraucht habe, um die Hamas militärisch zu besiegen, mache Netanjahus Sicherheitsversprechen in den Augen vieler Wähler ebenso unglaubwürdig wie die Gefahr einer dritten Intifada.

Der israelische Premier Benhjamin Netanjahu (Foto: Getty Images)
Bald im Wahlkampf: der israelische Premier Benjamin NetanjahuBild: AFP/Getty Images/G. Tibbon

Die Möglichkeit eines neues Aufstands bestimmt das Gespräch auf beiden Seiten - auch darum, weil diese sich in den letzten Monaten nicht einen Schritt näher gekommen sind. Bis zu den Regierungswahlen im März wird aller Voraussicht nach der Status quo herrschen. Der aber ist dem Frieden nicht sonderlich förderlich. Die gewalttätigen Vorfälle haben sich in den letzten Monaten gehäuft. Wenig spricht dafür, dass sie in der kommenden Zeit weniger werden.