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Trotz Energiekrise: Deutschland sagt Nein zur Atomkraft

13. April 2023

Deutschland schaltet seine letzten drei Kernkraftwerke ab. Für die Grünen erfüllt sich ein Traum. Andere Länder gehen einen anderen Weg - in Asien erlebt Atomkraft eine Renaissance.

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Im Vordergrund ist Gewässer, im Hintergrund der Turm eines Kernkraftwerks, Dampf tritt aus
Das Kernkraftwerk Isar 2 in Bayern: Am 15. April geht es endgültig vom NetzBild: Armin Weigel/dpa/picture alliance

Ende März machte Deutschlands Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) in Berlin ihren Standpunkt zur Kernenergie mit wenigen Worten erneut klar: "Die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar und deshalb macht der Atomausstieg unser Land sicherer und er vermeidet weiteren Atommüll."

Kurze Atom-Verlängerung in Deutschland 

Zuvor hatte es mal wieder Streit um die Kernenergiegegeben. Eigentlich hatte sich die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP geeinigt, am schon 2011 beschlossenen deutschen Atomausstieg festzuhalten. Zum Jahresende 2022 sollten die letzten Atomkraftwerke schließen. Doch der Krieg Russlands gegen die Ukraine veränderte alles, weil russische Gaslieferungen nach Deutschland ausblieben und ein Energienotstand befürchtet wurde. Bundeskanzler Olaf Scholz setzte durch: Verlängerung der Laufzeit bis Mitte April 2023.

Jahrzehntelanger Streit um die deutsche Atomkraft

Kaum ein Streit hat die Menschen, vor allem in Westdeutschland, über viele Jahrzehnte so polarisiert wie der um die Kernkraft. Am 17. Juni 1961 lieferte erstmals ein deutsches Atomkraftwerk, das in Kahl in Bayern, Strom in das öffentliche Netz.

Jetzt beenden die noch laufenden drei deutschen Kraftwerke also ihre Einspeisung endgültig an diesem 15. April. Zwischen diesen beiden Daten lagen dann 22.596 Tage - und jede Menge erhitzter Debatten. Zwischenzeitig lieferten 19 deutsche Kernkraftwerksblöcke bis zu einem Drittel des Stroms des Landes, zuletzt vor etwa 20 Jahren. Vor allem in der alten Bundesrepublik, vor der deutschen Einheit, brachte die Gegnerschaft zur Kernenergie hunderttausende zumeist junger Menschen in den Siebziger und Achtziger Jahren auf die Straße. 1986 schien dann die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion die Warnungen vor den Gefahren der Atomkraft zu bestätigen. Aber die regierenden Parteien aus CDU, CSU, SPD oder FDP standen lange Jahrzehnte fest hinter der Nutzung der Kernenergie.

Eine gelbe Fahne mit dem Slogan "Atomkraft? Nein Danke" aus den 80er Jahren weht  bei einer Demonstration gegen die Kernenergie nahe dem Brandenburger Tor
Lange Zeit eines der bekanntesten Symbole in Deutschland und weltweit: Die rote Sonne und der Spruch "Atomkraft? Nein Danke"Bild: Tim Brakemeier/dpa/picture-alliance

Wie steht es um die Atomkraft in Europa?

Andere europäische Länder waren da schneller mit dem Ausstieg. Vorreiter war Schweden, das schon kurz nach Tschernobyl das Ende der Kernenergie beschloss. Auch Italien entschied damals, die letzten beiden Atomkraftwerke zu schließen. In Italien blieb es bei der Entscheidung, in Schweden wurde der Ausstieg 1996 rückgängig gemacht. Heute produzieren dort sechs Atomkraftwerke rund 30 Prozent des Strombedarfs. 

Andere europäische Länder wie die Niederlande oder Polen planen einen Ausbau, Belgien verschiebt den geplanten AusstiegFrankreich war mit 57 Reaktoren schon immer das führende Atomstrom-Land, und das soll auch so bleiben. 13 von 27 EU-Staaten wollen in den kommenden Jahren Atomstrom nutzen oder die Kapazitäten sogar ausbauen. Ob es aber dazu kommt, bezweifeln viele Experten.

Erster deutscher Atomausstieg 2002

In Deutschland setzte der damalige Umweltminister der Grünen, Jürgen Trittin, im Jahr 2002 den ersten Ausstiegsbeschluss durch. Der wurde dann durch spätere Regierungen zunächst aufgeweicht, aber die schlimme Reaktor-Katastrophe von Fukushima in Japan 2011 besiegelte das Schicksal der deutschen Kernkraftanlagen endgültig. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entschied: Das war's mit der Kernenergie in Deutschland. Trittin ist heute immer noch Bundestagsabgeordneter der Grünen, er sagt im Gespräch mit der DW über das jetzige Datum der endgültigen Abschaltung: "Ja, das ist ein wichtiger Tag, weil damit kommt eine Geschichte zu einem Ende, nämlich die der zivilen Nutzung der Atomenergie. Aber das ist nicht das Ende der Atomenergie in Deutschland, wir haben immer noch damit zu tun, dass wir den gefährlichsten Müll der Welt für eine Million Jahre sicher werden lagern müssen."

Jürgen Trittin bei einem Interview vor einer Wand mit dem Logo von Bündnis 90/Die Grünen
Jürgen Trittin: "Neue Atomkraftwerke sind nicht wettbewerbsfähig" Bild: Christian Spicker/IMAGO

Was sagen die Kernenergie-Befürworter?

War es das also wirklich mit der Kernenergie in Deutschland? Der Interessensverband der Kerntechnologie in Deutschland, "KernD", sagt der DW auf Anfrage, der endgültige Abschied von der Atomkraft sei angesichts der eher verdrängten Energiekrise keine gute Idee: "Auch mit Blick auf die Klimapolitik und die sehr ungünstige Entwicklung bei der Stromerzeugung im vergangenen Jahr durch den starken Anstieg der Kohleverstromung ist die Abschaltung von drei funktionierenden, treibhausgasarm produzierenden Kernkraftwerken nicht nachvollziehbar."

Und weiter: "Wenn man Versorgungssicherheit, Umwelt- und Klimaschonung sowie Wettbewerbsfähigkeit zusammen in Betracht zieht, wäre mehr Kernenergiestrom sinnvoller als gar keiner."

So steht es heute um die Atomkraft weltweit

Nach Angaben der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA)sind derzeit 422 Atomreaktoren weltweit in Betrieb, mit einem Durchschnittsalter von rund 31 Jahren. In einem aktuellen Bericht des Think Tanks World "Nuclear Industry Status Report" heißt es, von einer Renaissance der Atomenergie könne nicht die Rede sein.

Japan l Nach dem Atomunfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi
Das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima in Japan nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami im März 2011Bild: Air Photo Service/Handout/dpa/picture alliance

Über die Stromerzeugung weltweit durch Atomkraftwerke heißt es weiter: "1996 erreichte sie mit 17,5 Prozent den Höchststand, 2021 ist dieser Wert erstmals seit vier Jahrzehnten wieder unter zehn Prozent gefallen."

Und Jürgen Trittin merkt an, niemand wolle im großen Stil "in Atomkraft investieren, weil Atomkraft nicht wettbewerbsfähig ist." Der Bau neuer Atomkraftwerke ist sehr teuer; oft mitfinanziert durch Steuern. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen und Widerstand gegen Neuprojekte.

Asien baut aus – auch Japan will trotz Fukushima zurück zur Atomenergie

Dennoch wollen vor allem China, Russland und Indien neue Kernkraftwerke bauen. China, wo es quasi keine gegen Neuprojekte ankämpfende Zivilgesellschaft gibt, will weitere 47 Anlagen bauen. Schon heute produziert China mehr Atomstrom als Frankreich. Auch Russland und Indien sind mit ihren Ausbauplänen vorn dabei. Immer wieder wird ins Feld geführt, dass der Ausbau von Atomstrom das Klima schütze, weil bei der Produktion kaum Kohlendioxid entstehe. Sogar Japan will zurück zu mehr Kernkraft; trotz des Erdbebens mit anschließendem Tsunami 2011, in dessen Folge es mehrere Explosionen in Atomreaktoren gab.

Damals wurden alle Atomkraftwerke zunächst abgeschaltet. Doch nach und nach wurden einige Reaktoren wieder ans Netz genommen. Nun hat die japanische Regierung beschlossen: Das rohstoffarme Land will neue Reaktoren bauen und alte bis zu 70 Jahre laufen lassen. "Wir müssen die Kernenergie voll ausschöpfen", gab Ministerpräsident Fumio Kishida als Devise aus. In Umfragen findet er in der Bevölkerung nach langen Zeiten des Widerstandes immer mehr Rückhalt.