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Tschads Interessen im Kampf gegen Boko Haram

Sarah Steffen4. Februar 2015

Die tschadische Armee kämpft im Nachbarland Nigeria gegen Boko Haram - der Tschad will die Terrorgruppe aus dem eigenen Land heraushalten sowie eigene Wirtschaftsinteressen verteidigen.

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Soldaten aus dem Tschad Archiv 2014 (Foto:MIGUEL MEDINA/AFP/Getty Images)
Tschadische Soldaten, hier in der Zentralafrikanischen RepublikBild: AFP/Getty Images/M. Medina

Nach Einsätzen im benachbarten Kamerun gehen tschadische Truppen nun auch gegen Boko Haram in Nigeria vor. Viele Nigerianer begrüßten den Vormarsch der tschadischen Truppen im eigenen Land. "Ich denke nicht, dass es eine schlechte Idee ist, dass Tschader in Nigeria sind, weil es doch schon längst Diskussionen gegeben hat, wie die westafrikanischen Länder zusammenkommen können, um den Terrorismus zu bekämpfen", sagte ein Passant dem DW-Korrespondenten in Lagos. "Terrorismus ist ein globales Phänomen. Und es schwappt definitiv in den Tschad, Niger, Kamerun und andere Ländern über."

Tschadische Truppen haben in Gamboru in Nigerias Nordosten rund 200 Boko-Haram-Kämpfer getötet. Das teilte das tschadische Militär am Mittwoch mit. Am Vortag waren Soldaten aus dem Tschad erstmals vom benachbarten Kamerun aus auf das von Boko Haram kontrollierte Gebiet vorgedrungen. Die islamistischen Kämpfer flohen über die Grenze nach Kamerun, wo sie sich dann in der Grenzstadt Fotokol mit Truppen aus dem Tschad und Kamerun heftige Gefechte lieferten. Die beiden Grenzstädte Gamboru und Fotokol sind durch eine 500 Meter lange Brücke voneinander getrennt.

Boko-Haram-Kämpfer hätten Zivilisten die Kehle durchgeschnitten und die Moschee in Brand gesetzt, berichteten Einwohner in Fotokol.

Die Zahl der getöteten Boko-Haram-Kämpfer könnte nach Angaben des tschadischen Militärs noch ansteigen, weil sie Gamboru weiter nach Kämpfern durchsuchen.

Tschad abhängig von Nigeria und Kamerun

Für den Tschad geht es um mehr, als die Terrorgruppe aus dem eigenen Land herauszuhalten, sagt Norbert Cyffer, emeritierter Afrikanistik-Professor und Kenner der Region. Der Tschad sei größtenteils abhängig von Versorgung von außerhalb. "Und die Versorgungsrouten laufen ja durch Maiduguri im Nordosten, dann an die nigerianische Grenze nach Gamboru und über Fotokol auf der kamerunischen Seite." Über diese Route werden Güter aller Art transportiert. Die Angriffe von Boko Haram bedrohten also die Lebensadern des Tschads. "Wenn Nigeria und Kamerun blockiert sind, sorgt das auch für Probleme im Tschad", so Cyffer.

Neben dem Versorgungsaspekt sei es vor allem der Ressourcenreichtum wie Öl und Mineralien, welche unter dem Tschad-See vermutet werden, so Cyffer - und die wolle der Tschad vor dem Zugriff der Terroristen schützen.

(Karte: DW)

Um den Tschadsee herum gehören viele Bewohner der Ethnie der Kanuri an. In Nigeria sollen Schätzungen zufolge vier bis fünf Millionen Kanuri leben, im Tschad rund eine Million. Diese grenzüberschreitende ethnische Verbundenheit ist ein Überbleibsel des Reiches Kanem-Bornu, das bis ins frühe 19. Jahrhundert existierte, so Cyffer.

Viele Boko-Haram-Anhänger werden der Ethnie der Kanuri zugerechnet. Es habe Berichte gegeben, in denen Überlebende der Massaker von Boko Haram erzählten, dass die Angreifer aus dem Tschad kamen. "Da muss man natürlich erst mal fragen, wo kommt die Information her? Kommt die Information aus Nigeria? Häufig, wenn es in Afrika einen Coup oder Putschversuch gab, versuchte man immer den Feind außerhalb zu suchen", erklärt Cyffer. "Das ist als Erklärung vielleicht leichter, als sagen zu müssen, wir sollten in unserer eigenen Gesellschaft gucken."

Armut als Anreiz?

Boko Haram speise sich oft auch aus Söldnern, die sich der Terrorgruppe für wenige hundert Dollar anschlössen, ohne die ideologischen Hintergründe zu teilen oder überhaupt zu kennen, so Cyffer weiter. Der Tschad gehöre zu den ärmeren Ländern, das heißt, es sei durchaus denkbar, dass Armut ein Anreiz sei, bei Boko Haram einzusteigen.

Anschlag in Gombe, NIgeria 02.02.2015 (Foto: REUTERS/ Afolabi Sotunde)
Der jüngste Boko Haram Anschlag in Gombe (02.02.2015), wenige Minuten nachdem Nigerias Präsident Jonathan den Ort verlassen hatteBild: Reuters/Afolabi Sotunde

Der Tschad bekämpfe Boko Haram aus zwei Gründen, meint Lucien Pambou, Universitätsprofessor an der Universität Paris und Mitherausgeber der Zeitschrift "Geopolitique Africaine." Zum einen, weil Boko Haram in verschiedenen Ländern ein Kalifat errichten wolle, und zum anderen, weil der tschadische Präsident Idriss Deby zeigen will, dass der Tschad wichtig sei für die Sicherheit der Länder der Sahel-Zone als auch für Länder in Zentralafrika. Die tschadische Armee gilt als eine der stärksten in der Region. 2013 half sie beispielsweise französischen Truppen, Islamisten aus dem Norden Malis zu vertreiben.

Neben dem Einsatz in Kamerun kämpft der Tschad nun also auch in Nigeria, was von den nigerianischen Behörden "zähneknirschend" hingenommen werde, so Cyffer. Ein Sprecher des nigerianischen Verteidigungsministeriums betonte unterdessen, dass Nigerias Souveränität durch die Präsenz von tschadischen Truppen nicht angegriffen werde, da alle Einheiten miteinander kooperierten.

Boko Haram soll in Nordnigeria inzwischen ein Gebiet von der Größe Belgiens kontrollieren. Cyffer weist auf ein langfristiges Problem hin: "Der Tschad versucht, Boko Haram abzudrängen. Man schafft es noch nicht, sie völlig zu eliminieren. Also werden die Boko-Haram-Kämpfer von Kamerun nach Nigeria zurückgedrängt, und von Nigeria flüchten sie wieder nach Kamerun." Das Terroristenproblem würde damit lediglich verlagert, aber nicht vollständig gelöst.

Die Afrikanische Union hat unterdessen eine 7500 Mann starke Eingreiftruppe beschlossen. In dieser Woche wollen die Mitgliedsstaaten bei einem Treffen in Kameruns Hauptstadt Yaounde darüber beraten, wie die Kommandostrukturen der neuen Truppe aussehen sollen.

Mitarbeit: Sam Olukoya, Fréjus Quenum