Verstrahlt, verseucht, verloren
17. März 2011Als sich in der vergangenen Woche ein Greenpeace Experten-Team auf den Weg nach Tschernoby machte, ging es eigentlich um die Erinnerung an einen historischen Jahrestag: 25 Jahre nach der verheerenden Katastrophe, die für eine ganze Generation zum Sinnbild für die Gefahren der Kernenergie wurde, wollten die Experten untersuchen, welche Auswirkungen heute noch zu spüren sind. Während sie vor Ort waren, kamen die ersten Meldungen über einen neuen Reaktorunfall in Japan.
"Wir wissen, wie es in 25 Jahren dort aussehen wird"
"Ich sah die Gesichter der Menschen", sagt Energie-Expertin Aslihan Tumer, die das Team leitete. "Ohne Worte sagten mir ihre Gesichtsausdrücke: 'Wir wissen zwar nicht genau, was in diesem Moment in Japan passiert – aber wir wissen, wie es dort in 25 Jahren aussehen wird'“. Aus dieser Zukunftsvision können die Menschen in der betroffen Region Japans wenig Optimismus schöpfen. Auch nach einem Vierteljahrhundert sind die Auswirkungen der Katastrophe in der Ukraine noch überall präsent.
Am 26. April 1986 hatte es im Atomkraftwerk Tschernobyl eine gewaltige Explosion gegeben. Die aufsteigende radioaktive Wolke verseuchte die Region weiträumig und zog in abgeschwächter Form auch über Nord- und Westeuropa. Der Reaktor brannte 10 Tage lang. Heute ist der explodierte Reaktorblock von einem sogenannten Sarkophag umschlossen.
Das Erbe von Tschernobyl
Die ökologischen Auswirkungen des Unfalls sind noch deutlich zu spüren, berichtet Tumer: "Auch in einer ziemlichen Entfernung vom Sperrgebiet haben wir einen sehr hohen Grad an radioaktiver Verseuchung festgestellt, vor allem in der Milch und in anderen Nahrungsmitteln. Die Menschen werden also auch heute durch die Nahrungskette der radioaktiven Strahlung ausgesetzt."
Die Auswirkungen von Tschernobyl, sagt sie, seien auch hunderte von Kilometern von der Unglücksstelle entfernt nachweisbar. "Die Menschen leiden immer noch, vor allem die Kinder".
Tumer berichtet von genetischen Mutationen bei Kindern, deren Eltern vor 25 Jahren der Strahlung ausgesetzt waren. Manchmal fehlen innere Organe, oft treten Herzprobleme auf. Die Experten seien sich nicht darüber einig, wie lange zukünftige Generationen noch von den Auswirkungen des Reaktorunfalls betroffen sein werden, sagt die Greenpeace Expertin. Sie zitiert eine Studie, die von bis zu 11 Generationen ausgeht.
Neue Artenvielfalt – stark verstrahlt
Es gibt allerdings auch Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass sich die Natur in dem Sperrgebiet um Tschernobyl herum in den letzten 25 Jahren prächtig erholt hat. "Insgesamt geht es der Natur besser als vorher, weil die Menschen nicht mehr da sind", bestätigt Dr. Peter Jacob, Leiter des Instituts für Strahlenschutz des Helmholtz-Zentrums in München.
„Ein paar Arten sind häufiger geworden, es haben sich Arten angesiedelt, die vorher nicht da waren“. Das bestätigt auch Aslihan Tumer von Greenpeace. Allerdings seien diese Gebiete in der Regel noch extrem stark radioaktiv verseucht. Die Beeren und Pilze, die dort wachsen, seien kontaminiert, sowie die Tiere, die dort leben.
Fukshima – ein zweites Tschernobyl?
Ob die Katastrophe in Fukushima I ähnliche Ausmaße wie der bisher folgenschwerste Atomunfall von Tschernobyl annehmen könnte, ist noch nicht klar. Er erwarte es zwar nicht, könne es aber auch nicht ausschließen, sagt der Münchner Strahlenschutzexperte Jacob. Greenpeace Atomexperte Jan Haverkamp glaubt hingegen nicht, dass es in Fukushima zu ähnlichen weiträumigen atomare Verseuchungen wie nach Tschernobyl kommt. In dem ukrainischen Meiler sei durch die Graphit-Brennstäbe und durch die Bauweise ein Kamineffekt entstanden. Dieser habe die Radioaktivität hoch in die Atmosphäre geschleudert. Das könne in Japan ausgeschlossen werden.
Eine Entwarnung für die Menschen in Japan, bedeute dies dennoch nicht. Sollte es in Fukushima zu einem GAU kommen, bei dem die Brennstäbe schmelzen, wäre die Radioaktivität in der näheren Umgebung des Reaktors höher als in Tschernobyl, so Haverkamp. Außerdem sei die Region viel dichter bevölkert als die Gegend um das ukrainische Kernkraftwerk.
Für Jahrzehnte verseucht
Aufgrund der eingeschränkten Informationslage und des anhaltenden Kriseneinsatzes am japanischen Reaktorstandort fällt es den Experten schwer vorherzusagen, wie ernst die Konsequenzen des Unfalls für die Umwelt sein werden. "Wir wissen nicht wie hoch die Kontamination in der 20-Kilometer Sperrzone ist“, sagt Strahlenschutzexperte Jacob, aber es sei zu erwarten, dass "einiges an Kontamination" vorhanden ist. "Diese Zone ist evakuiert worden, aber es geht um die langfristigen Auswirkungen. Das ist im Wesentlichen Cäsium 137, das eine Halbwertzeit von 30 Jahren hat". So ist das durch den Tschernobylunfall frei gesetzte Cäsium 137 auch heute noch in Deutschland, zum Beispiel in Pilzen oder beim Wild nachweisbar.
Eine weitere Gefahr sieht Jacob in der Freisetzung von Jod 131, das in der Schilddrüse angereichert wird und zu einem erhöhten Krebsrisiko führt. "Das hatte nach Tschernobyl die größten Auswirkungen", sagt Jacob. "Da könnten schon höhere Schilddrüsenwerte auftreten, wenn nicht rechtzeitig stabiles Jod genommen wird". Viel wird in den nächsten Tagen von der Windrichtung abhängen.
Die Umweltbelastung sei natürlich am höchsten, "wenn die Wolke über Land streicht und wenn Regenereignisse dazu kommen, so dass sich eine größere Menge an radioaktiven Substanzen ablagern kann. Am schlimmsten wäre es natürlich, wenn das Tokyo treffen würde“. Sollte die Windrichtung die größte Metropole der Welt verschonen, würden die radioaktiven Substanzen voraussichtlich im Meer landen. "Im Meer tritt ein relativ starker Verdünnungseffekt auf", sagt der Münchener Strahlenexperte. Auch heute weisen allerdings nach einer Studie vom Institut für Fischereiökologie in Hamburg Fische in der Ostsee noch Spuren von Cäsium 137 auf, die durch die Tschernobylkatastrophe vor 25 Jahren frei gesetzt wurden.
Autorin: Irene Quaile
Redaktion: Fabian Schmidt