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"Tsipras sollte Ergebnis nicht überbewerten"

Rolf Wenkel5. Juli 2015

Jens Bastian, in Athen lebender Wirtschafts- und Finanzberater, hat nicht mit diesem klaren Sieg des Nein-Lagers gerechnet. Er rät zu Bescheidenheit und Realismus in den nächsten Verhandlungen.

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Griechenland Premierminister Alexis Tsipras
Bild: picture alliance/dpa/Y. Behrakis

"Es ist ein persönlicher Sieg für Premierminister Tsipras, es bedeutet auch eine klare Verhandlungsoption für ihn", sagt Bastian im Gespräch mit der DW. "Aber er muss jetzt vorsichtig sein, diesen Sieg nicht überzuinterpretieren, sondern vor allem abwägen, dass er die Interessen des Landes und seiner Bürger vor die Interessen seiner Partei stellt."

Aus der Sicht des deutschen Wirtschaftsberaters haben sich die Meinungsforschungsinstitute kräftig blamiert, die vorher ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt hatten. "Mit dieser Klarheit des Ausgangs hat keiner gerechnet, weder im Ja- noch im Nein-Lager. Das ist in gewisser Weise eine politische Sensation, ein Erdrutsch, ein noch besseres Ergebnis als bei den Parlamentswahlen am 25. Januar."

Mit Wut abgestimmt

Aber ob es die richtige politische Entscheidung war, daran zweifeln viele Beobachter. So hatten 246 griechische Ökonomieprofessoren im Vorfeld des Referendums in einem offenen Brief vor den verheerenden Folgen eines "Grexit" gewarnt - vergeblich. Trotzdem geht Jens Bastian nicht davon aus, dass Ideologie über Vernunft gesiegt hat."Viele Menschen haben mit Wut abgestimmt." Sie hätten viel durchgemacht - Arbeitslosigkeit und Realeinkommensverluste, unsichere Renten und mangelnde medizinische Versorgung.

"Und dann haben sich viele Griechen noch einmal verbeten, dass sich beispielsweise Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker oder der Vorsitzende des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, so eindeutig in das Referendum eingemischt haben. Viele fanden, das war unangebracht, und damit haben sie eher das Nein-Lager gestärkt - dieser Schuss ist nach hinten losgegangen."

Neue Milliarden fällig

Am 20. Juli muss Griechenland 3,5 Milliarden Staatsanleihen an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen. Das wird nicht funktionieren. Dann muss die EZB die Zahlungsunfähigkeit feststellen, was fast zwangsläufig dazu führt, dass dann auch die Ela-Notkredite nicht mehr fließen. Damit wäre das Land von der Euro-Versorgung abgeschnitten, ein technischer K.o. sozusagen, ohne dass jemand Griechenland aus dem Euro herausgeworfen hat.

Den wenigsten Griechen waren diese möglichen Konsequenzen klar, glaubt Jens Bastian: "Sie haben aus anderen Motiven abgestimmt, diese Konsequenzen haben sie nicht auf dem Radarschirm gehabt. Das bedeutet, dass Tsipras seinem Volk klarmachen muss: Es bleiben von heute Abend an bis zum Stichdatum 20. Juli nur noch 15 Tage, da muss nicht nur verhandelt werden, sondern darin muss eine Vereinbarung inklusive einer Zwischenfinanzierung enthalten sein. Ansonsten ist Griechenland zahlungsunfähig gegenüber einem zweiten Gläubiger nach dem Internationalen Währungsfonds."

Jens Bastian freier Wirtschaftsberater
Jens Bastian: Europa braucht einen Plan BBild: Jens Bastian

Mehr Bescheidenheit

Natürlich weiß der Wirtschaftsberater, dass Premier Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis darauf spekulieren, dass ihr Land als Partner in der Europäischen Union, in der Nato, in der OECD weiterhin gebraucht wird. Und deshalb immer wieder letzte Chancen bekommen wird, die einem normalen Schuldner nie eingeräumt würden, sprich Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket.

Kommt es zu diesen Verhandlungen, wünscht sich Bastian trotzdem mehr Bescheidenheit - auf beiden Seiten. "Nicht nur für Griechenland, sondern auch auf Seiten der europäischen Gläubiger. Sie müssen akzeptieren, dass sich an diesem Ergebnis nichts heruminterpretieren lässt. Da muss auch die europäische Seite in Klausur gehen und sich Flexibilität überlegen - und möglicherweise einen Plan B."