Tunesien: Frauen in der Wirtschaft
21. Februar 2020Schon vor dem arabischen Frühling galten die tunesischen Frauen als unabhängig und emanzipiert. Nachdem sich Tunesien 1956 von der Kolonialmacht Frankreich löste und noch bevor eine eigene Verfassung verabschiedet worden war, setzte der damalige Premierminister Habib Bourguiba den "code du statut personel" um. Dieses Gesetz sicherte in vielen Bereichen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Die Polygamie wurde abgeschafft und Schwangerschaftsabbrüche legalisiert. Frauen erhielten das Recht auf einen eigenen Pass und ein eigenes Bankkonto, und sie konnten auch ein Geschäft eröffnen.
Nach der Revolution 2011 erstarkte die Frauenbewegung weiter, und das obwohl die konservativ-islamistischen Partei Ennadah die Regierung stellte. Die aber verlor 2014 die Wahlen - auch wegen der öffentlichen Debatte um die Frauenrechte.
In der Verfassung von 2014 wurden die Frauenrechte weiter ausgebaut, so wurde die Gleichheit der Geschlechter ohne Diskriminierung verankert. Zudem wurde das Ziel festgeschrieben, im tunesischen Parlament Geschlechterparität zu erreichen - das ist einzigartig im arabischen Raum. Aktuell sind etwa 35 Prozent der Abgeordneten im Parlament weiblich.
Backwaren - von Frauen gemacht
Wie erfolgreich Frauen in Tunesien sein können, zeigt das Beispiel Gourmandise. 1976 gründete Souad Kamoun in Sfax ein kleines Unternehmen, sie wollte mit ihrer Leidenschaft für tunesische Backwaren nicht nur ihr eigenes Einkommen erzielen, sondern auch ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Inzwischen hat sich daraus eine Konditoreikette mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als sechs Millionen Euro entwickelt.
Radhia Kamoun Megdish, Tochter der Gründerin, leitet die Kette, die sich jetzt auf Patisserie konzentriert, aber auch herzhafte Feinkosthäppchen herstellt. Die qualitativ hochwertigen Produkte werden alle manuell hergestellt, und sie müssen frisch sein. Damit bedient Megdish eher anspruchsvolle Kunden und ist sehr erfolgreich. In ihrem Betrieb arbeiten vor allem Frauen, und das nicht nur in der Herstellung - auch der Vertrieb wird von einer Frau geleitet. "Frauen arbeiten mehr als Männer", lacht die Chefin.
Die meisten Frauen in Tunesien sind gut ausgebildet, weil sie den gleichen Zugang zu Schulen wie Männer haben. Das tunesische Schulsystem ist nach französischem Vorbild aufgebaut. Die Zahl der Abiturientinnen mit sehr gutem Schulabschluss sei hoch. Viele von ihnen studierten auch technische Fächer, sogar mehr als in Deutschland, sagt Andreas Reinicke, deutscher Botschafter in Tunis.
Wasserentsalzung in weiblicher Hand
Eine von ihnen ist Noura Friaa, die sich um die Meerwasserentsalzungsanlage auf der Urlaubinsel Djerba kümmert. Die Ingenieurin hat industrielle Informatik studiert, ist seit 12 Jahren für den staatlichen Wasserversorger Sonede tätig. "Ohne sie hätte der Süden Tunesiens kein Wasser", sagt dessen Chef Mosbah Helali. Die 37jährige koordiniert den Betrieb und die Wartungsarbeiten für die Anlage, die Mitte 2018 in Betrieb genommen wurde. Seither hat sich die sehr angespannte Trinkwassersituation auf der Urlaubsinsel deutlich verbessert.
Eine verantwortungsvolle Aufgabe, nicht nur technisch. Wegen der Entsalzungsanlage haben sich die Lebensbedingungen auch für die Bewohner von Djerba entspannt. Die sorgten sich zuvor, weil sie das wenige Wasser mit den vielen Touristen in den zahlreichen Hotels auf der Insel teilen müssen. Technisch würden sich die Bedingungen für die Entsalzung je nach Wellengang und Temperatur des Wassers ändern, erklärt die Ingenieurin. Daher müssten die verschiedenen Parameter für die Wasserentsalzung ständig kontrolliert und adjustiert werden.
Frauenpower im ländlichen Tunesien
Solche beruflichen Möglichkeiten bieten sich eher in den nördlichen Regionen, die industriell oder touristisch geprägt sind. Aber auch in den ärmeren landwirtschaftlich geprägten Landesteilen im Zentrum, im Westen und Süden des Landes tun sich die Frauen zusammen. 2013 etwa gründeten 164 Kleinbäuerinnen in der Region Kairouan im Süden Tunesiens die Gesellschaft "Errim". Ihr Ziel: die sozioökonomischen Bedingungen verbessern, also den Bäuerinnen also höhere und regelmäßige Einkommen zu ermöglichen.
"Ständige, organisierte Arbeit ist besser als Hilfsarbeit", meint Najoua Dhaflouai, die Direktorin der Kooperative. Zu der waren sie nämlich zuvor gezwungen, oft zu einem weit schlechteren Lohn als die Männer. Die Bäuerinnen von Errim verarbeiten und vermarkten die Ernten zum Beispiel zu Harissa, der typischen arabischen Gewürzpaste aus Chili, Koriander, Kreuzkümmel. Koriander, Knoblauch und Olivenöl. Sie verkaufen getrocknete Gewürze und biologisch produziertes Olivenöl.
Mit ihren Produkten beliefern sie nicht nur den heimischen Markt, sondern exportieren auch nach Europa, etwa in die Schweiz. Damit wolle man gutes Vorbild auch für andere Frauen sein, sagt Errim-Direktorin Dhaflouai.
Aber die Unterschiede zwischen Stadt und Land seien auch in anderer Hinsicht noch groß: "Uns fehlen Freizeitangebote zur Erholung", moniert sie. Die Frauen kümmerten sich um die Landwirtschaft oder sie blieben wegen der Kinder zu Hause. "Schlafen gehen sie erst, wenn das Essen für den nächsten Tag vorbereitet ist", beschreibt Dhaflouai den Tagesablauf auf dem Land.
Zur Untätigkeit gezwungen
Daneben gibt es aber auch Regionen, in denen es kaum Arbeit für Frauen gibt: So etwa in El Khol, einem Dorf von etwa 200 Einwohnern. In der kargen gebirgigen Region südwestlich von Kairouan sind vor allem die Männer für die Landwirtschaft zuständig, die Frauen helfen bei der Ernte. Gern würden sie mehr arbeiten, aber dafür gibt es nicht genug zu tun.
Das liegt an den dürren Ernten wegen der Wasserknappheit in ihrer Region. Ein Kleinstwasserspeicher soll bald helfen, die Lage zu bessern. Ein höheres Einkommen würde den Frauen dann auch ermöglichen, mehr Tiere, Kühe oder Schafe, anzuschaffen und Tierzucht zu betreiben. Bisher sind sie aber oft zur Untätigkeit gezwungen.