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Tunesiens Wirtschaft in der Krise

Chamselassil Ayari 17. Dezember 2013

Vor drei Jahren begann in Tunesien die "Jasmin"-Revolution. Die Bürger gingen damals nicht nur für einen politischen, sondern auch für einen wirtschaftlichen Wandel auf die Straße. Ihre Hoffnungen wurden enttäuscht.

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Demonstration der liberalen Opposition in Tunis, 26.07.2013 (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Fethi Belaid/AFP/Getty Images

Ein junger Gemüsehändler in dem Örtchen Sidi Bouzid im Süden Tunesiens zündet sich an, um gegen Willkür und Schikanen der Behörden zu protestieren. Immer neue Gebühren sollte er entrichten, doch für die fehlte ihm das Geld. Als Mohammed Bouazizi, so der Name des jungen Mannes, sich am 17. Dezember 2010 selbst verbrannte, ahnte er nicht, dass sein Protest der Funke sein würde, der nicht nur in Tunesien, sondern weiten Teilen der arabischen Welt Proteste auslöste, in deren Folge die Regierungs- oder Staatschefs gleich mehrerer Staaten in der Region stürzten.

Auch in Tunesien kippte die Regierung. Am 14. Januar 2011 floh Staatschef Ben Ali nach Saudi Arabien. Ein dreiviertel Jahr später, am 23. Oktober 2011, stimmten die Tunesier erstmals seit langer Zeit in freien Wahlen über eine neue Regierung ab. Als Sieger ging aus dem Urnengang Rachid Ghannouchi von der islamistischen Ennahda-Partei hervor. Die Partei versprach zwar auch einen wirtschaftlichen Aufstieg. Doch der blieb aus, ja mehr noch: Fortan ging es mit Tunesien ökonomisch bergab.

Existenzangst der Mittelschicht

Besonders Armut und Währungsverfall machen den Tunesiern zu schaffen. Offiziell liegt die Inflation bei 5,8 Prozent. Dem Empfinden vieler Bürger nach liegt sie tatsächlich aber wesentlich höher. "Tunesiens wirtschaftliche Lage ist katastrophal", erklärt der tunesisch-schweizerische Politikwissenschaftler Riadh Sidaoui, Leiter des in Genf ansässigen Centre Arabe de Recherches et d'Analyses Politiques et Sociales. "Während sich etwa die Lebensmittelpreise mehr als verdoppelt haben, sind die Löhne und Gehälter gleich geblieben." Die Preissteigerungen trieben teils bizarre Blüten: So erzielen manche Waren auf den Märkten in der Hauptstadt Tunis höhere Preise als in Genf, berichtet Sidaoui. Längst hätten nicht mehr nur die Armen mit den Preissteigerungen zu kämpfen. "Sogar Angehörige der oberen Mittelschicht wie etwa Universitätsprofessoren machen sich heutzutage Gedanken, wie sie Monat für Monat mit ihrem Gehalt über die Runden kommen", sagt Sidaoui. Angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit, die in manchen Regionen im Landesinneren bei über 45 Prozent liegt, wissen viele Menschen kaum mehr, wie es weitergehen soll.

Demonstranten in Zidi Bou Bouzid, 17.12. 2012 (Foto: Reuters)
Existenzangst: Demonstranten in Zidi Bou BouzidBild: Reuters

Verringerte Kreditwürdigkeit

Ihre Wurzeln, erklärt der tunesische Wirtschaftswissenschaftler Ridha Gouia gegenüber der DW, habe die derzeitige Depression in der Regierungszeit Ben Alis. Die während seiner Herrschaft entstandenen Missstände ließen sich nicht innerhalb weniger Jahre lösen. Aber auch der Umbruch selbst habe Folgen für die tunesische Wirtschaft gehabt. "Wie alle Revolutionen hat auch die tunesische zunächst einmal negative wirtschaftliche Auswirkungen." Ohne internationale Kredite, glaubt Gouia, wird Tunesien seine Krise kaum überwinden können. Entsprechende Stützprogramme dürften an strenge Bedingungen geknüpft sein – dies umso mehr, als die Ratingagentur Standard & Poor's (S&A) Tunesiens Kreditwürdigkeit vor wenigen Monaten von BB- auf B herabstufte.

Politische Versäumnisse

Riadh Sidaoui hingegen macht für die stagnierende Wirtschaft vor allem die politische Krise der letzten Monate verantwortlich. Sie nahm spätestens im Februar 2013 mit der Ermordung des oppositionellen Politikers Chokri Belaid ihren Anfang und spitzte sich nach dem Mord an dem Oppositionellen Mohamed Brahmi im Juli des gleichen Jahres weiter zu. Seitdem ist das Land in zwei Lager gespalten. "Politisch tappt Tunesien noch im Dunkeln. Bis heute fehlt es an einem konkreten Fahrplan für die Übergangszeit." Verantwortlich dafür sei vor allem die islamistische Ennahda-Partei. Sie hätte weder den Zeitplan für die Verabschiedung der neuen Verfassung noch für die Organisation der Parlamentswahlen eingehalten. "Bis heute wissen wir nicht, wann die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten werden. Ursprünglich sollten sie am 23. Oktober 2012 stattfinden – das heißt vor über einem Jahr."

Der tunesische-schweizerische Politikwissenschaftler Riadh Sidaoui
Vermisst einen Farplan für die Übergangszeit: Riadh SidaouiBild: privat

Religiöser Extremismus

Den Islamisten wirft Sidaoui im Umgang mit den wirtschaftlichen Problemen Versagen vor. "Ennahda versprach währen ihrer Wahlkampagne (im Jahr 2011) die Schaffung von 450.000 Jobs bis 2012. Doch sie hat ihr Versprechen nicht eingehalten. Im Gegenteil: Viele Unternehmen haben aufgegeben. Andere gingen in den Konkurs, während ausländische Investoren das Land verließen." Zudem hätte die regierende Ennahdha-Partei durch ihre laxe Haltung gegenüber gewaltbereiten salafistischen Gruppen zu deren Erstarken beigetragen und die Sicherheit im Land gefährdet. Darunter litt auch der für Tunesien so bedeutende Tourismussektor.

eerdigung Mohamed Brahmis, 27.7. 2013 (Foto: Reuters)
Zeichen gegen politische Gewalt: Beerdigung Mohamed BrahmisBild: Reuters

Voraussetzung des wirtschaftlichen Aufschwungs, erklären Gouia und Siadoui übereinstimmend, sei die Wiederherstellung der Sicherheit. Die wiederum setze politische Stabilität voraus.