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Täuschen Industrieverbände die Kohlekommission?

25. Januar 2019

Beim deutschen Kohleausstieg geht es auch um viel Geld. Diesbezüglich wird gepokert, mit Horrormeldungen und vielen Zahlen. Großen Einfluss beim Kohleausstieg hat auch die deutsche Industrie. Sagt sie die Wahrheit?

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Klimawandel | Symbolbild
Bild: imago/E. Stengel

Am Anfang dieser Woche warnen der Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in einer gemeinsamen Presseerklärung vor den Kosten eines vorzeitigen Kohleausstiegs.

Ein politisch beschleunigter Rückgang der Kohleverstromung verursache bis 2030 "erhebliche zusätzliche Kosten von mindestens 14 bis zu 54 Milliarden Euro", behaupten die Verbände. Von einer möglichen Entlastung für Stromkunden und Verbraucher durch einen vorzeitigen Kohleausstieg sprechen sie nicht.

Die erwarteten Mehrkosten resultierten aus Strompreissteigerungen, die sowohl Unternehmen als auch private Haushalte treffen würden. Aus diesem Grund forderten die Spitzenverbände die Bundesregierung dazu auf, dem Anstieg der Strompreise mit fest zugesagten Strompreisentlastungen für Verbraucher zu begegnen. "Ohne Kompensation für unsere Unternehmen würde dieser politisch getriebene Anstieg der Strompreise dem Wirtschaftsstandort Deutschland schwerste Schäden zufügen", warnt BDI-Präsident Dieter Kempf.

Gestützt werden diese Aussagen mit einer Analyse des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research im Auftrag von BDI und DIHK. Also alles seriös und korrekt?

Dieter Kempf
BDI-Präsident warnt vor Kosten durch beschleunigten KohleausstiegBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Pohl

Bewusste Täuschung der Öffentlichkeit mit Horrorzahlen?

Für Energiewende-Experten schienen die präsentierten Zahlen von Anfang an suspekt. "Der BDI und andere starke Lobbyverbände betreiben Panikmache in Sachen Strompreiseffekt des geplanten Kohleausstiegs" sagt Hans-Josef Fell, Präsident von Energy Watch Group. Fell war früher Bundestagsabgeordneter der Grünen und Hauptautor des ersten deutschen Energieeinspeisegesetz (EEG). Fell legte somit den Grundstein für die deutsche Energiewende vor zwei Jahrzehnten und begleitet sie seitdem.

"Aus der Tatsache, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien die Großhandelspreise in Deutschland stark gedämpft hat, kann man folgern, dass mit einem Umstieg auf Erneuerbare Energien dies so bleiben wird. Es ist abwegig, hier mehrere Milliarden Euro Zusatzkosten zu nennen" sagt Fell. "Das Szenario mit Kosten von 54 Milliarden Euro ist absurd und aus der Luft gegriffen."

WWEC 2012 Bonn
Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group, berät und beobachtet die Energiewende inzwischen weltweit Bild: WWEA / Birresborn

Die Energieökonomin Claudia Kemfert sieht das ähnlich und wundert sich in einer ersten Stellungnahme gegenüber der DW ebenfalls: "Offenbar hat man da sehr artifizielle Annahmen getroffen", so Kemfert.

Die Fakten

Die DW ist den Vorwürfen von Kemfert und Fell in Richtung Industrie nachgegangen und hat mit dem Autor der Analyse, Hanns Koenig, ausführlich kommuniziert und auch mit seinen Fachkollegen, die ihn und die Untersuchungsmethodik bestens kennen.

Demnach wurde von BDI und DIHK beim Beratungsunternehmens Aurora Energy Research ein sogenanntes Risikoszenario in Auftrag gegeben und dies mit einem politischen Zielszenario verglichen. Ein sogenanntes Chancenszenario wurde nicht beauftragt und war somit nicht gewünscht.

Koenig rechnete folglich aus, wie der Strompreis in Deutschland unter sehr extremen und unwahrscheinlichen Annahmen bis 2030 steigen könnte und in einem eher wahrscheinlichen Zielszenario .

Unterstellt wurde im Risikoszenario, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland fast zum Erliegen kommt und von heute 40 Prozent auf nur noch 52 Prozent bis 2030 steigt. Darüber hinaus wird in dieser Annahme der Strom anstelle von Kohle mit Gas erzeugt. Zugleich steigt der Gaspreis in Europa extrem. Unter diesen Vorgaben rechnete Koenig das sogenannte Risikoszenario aus und lieferte die Zahlen an die Auftrageber. BDI und DIHK nutzen diese Zahlen in ihren veröffentlichten Stellungnahmen.

Das beauftragte Risikoszenario widerspricht allerdings den Vorgaben der Bundesregierung. Das Ziel der Bundesregierung ist, dass der Anteil von erneuerbaren Energien im Stromsektor auf mindestens 65 Prozent bis 2030 steigt. Da erneuerbare Energien mittlerweile sehr günstig sind, haben diese einen kostensenkenden Effekt auf die Strompreise. Auch von BDI und DIHK wird diese Kostensenkung durch Erneuerbare gesehen und nicht bestritten.

Frank Peter
"Beschleunigter Kohleausstieg kann Stromkosten senken". Strommarktanalyst Frank Peter von Agora rechnete nach.Bild: Florian von Ploetz

Kosten für Strom könnten durch beschleunigten Kohleausstieg sinken

Was wäre das Ergebnis bei einer positiven Annahme und Entwicklung, bei einem sogenannten Chancenszenario?

Frank Peter, Strommarktexperte bei der Denkfabrik Agora Energiewende rechnete das mit den vorhandenen Datensätzen aus und stellte fest, dass ein beschleunigter Kohleausstieg bis 2030 für den Strompreis einen sinkenden Effekt haben kann. Die Berechnung liegt der DW vor. Koenig bestreitet das Ergebnis von Peter nicht. Er selbst kennt Peter und hatte für Agora eine umfassende Strommarktanalyse zum Kohleausstieg erstellt.

"Es ist immer die Frage, welche Annahmen man reinsteckt in so ein Modell", sagt Patrick Graichen gegenüber der DW. Graichen ist Leiter von Agora und gibt dem veröffentlichten BDI-Risikoszenario in der Substanz nicht viel Gewicht.

"Die Studie ist ein zusammengebasteltes Risikoszenario. Dort sind auf einmal die Gaspreise in Europa ganz teuer und die Erneuerbaren werden nicht richtig ausgebaut. Folglich schießt dann der Preis an der Strombörse in diesem Modell in die Höhe, und dann kommt man zu so hohen Zahlen. Dieses Szenario hat nicht viel Substanz", so Graichen und liefert zugleich die Begründung, warum die Verbände mit diesen Zahlen hantieren. "Im Kontext der entscheidenden Kohlekommissions-Sitzung ist das ein klassisches Papier, um da möglichst viel rauszuhandeln."

Die DW bat BDI, DIHK und BDA um eine Stellungnahme. Laut DIHK stellte das Ergebnis des sogenannten Risikoszenarios “nach unserer Einschätzung den oberen Rand der erwartenden Kosten dar“.

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion
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