Tödliche Gewalt gegen iranische Schülerinnen
19. Oktober 2022Die 16-jährige Asra Panahi war eine Schülerin aus der Stadt Ardabil in der gleichnamigen Provinz im Nordwesten des Irans. Ihr Tod am vergangenen Freitag hat die Proteste in der Stadt nach dem Tod von Jina Mahsa Amini weiter befeuert. Asra Panahi sollte an einer Propaganda-Veranstaltung teilnehmen und ein Loblied auf die Islamische Republik mitsingen.
Eine Gruppe von in Zivil gekleideten Männern war vergangenen Mittwoch in die Schule gekommen, um die Veranstaltung zu organisieren. Als einige Schülerinnen sich weigerten, daran teilzunehmen, schlugen sie so heftig auf sie ein, dass einige von ihnen ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten, darunter auch Asra Panahi. Kurz darauf verstarb die 16-Jährige. Trotz der starken Einschränkung des Internets im Iran verbreitete sich diese Nachricht schnell in sozialen Netzwerken.
Die Vertuschungsroutine läuft an
Am Samstag veröffentlichte die Nachrichtenagentur Tasnim, die den Revolutionsgarden nahesteht, ein Interview mit einem Onkel von Asra Panahi. Er sagt vor der Kamera, dass Asra eine angeborene Herzkrankheit hatte und deswegen gestorben sei. Kurz darauf taucht ein Screenshot im Netz auf, das Asra Panahi als Leistungssportlerin zeigt. Im Alter von zwölf Jahren belegte sie bei einem regionalen Schwimm-Wettbewerb in ihrer Provinz den dritten Platz. Diese Information wurde inzwischen von der Webseite des Schwimmverbandes gelöscht.
"Die Wahrheit ist, dass sie sich selbst umgebracht hat", behauptet der Bürgermeister der Stadt Ardebil im Gespräch mit dem Nachrichtenportal "Entekhab" am vergangenen Sonntag. Sie habe außerdem "wegen familiärer Probleme Tabletten genommen."
"Mindestens drei weitere getötete Schülerinnen"
"Ihr sagt nicht die Wahrheit", sagt dagegen der ehemalige Fußball-Nationalspieler Ali Daei auf seinem Instagram-Account. Er spricht damit vielen Iranern aus dem Herzen, denn kaum jemand im Iran schenkt den Behörden noch Glauben. Der mittlerweile 53-jährige Daei, der einst bei mehreren Vereinen der Bundesliga spielte, kommt aus Ardabil. "Ich weiß, was in meiner Stadt passierte." Es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden in den vergangenen vier Wochen versuchen, die Todesursache "plötzlich verstorbener" Schülerinnen zu erklären.
"Uns liegen Informationen vor, die zeigen, dass mindesten drei weitere Schulmädchen durch heftige Schläge auf den Kopf getötet wurden", sagt Raha Bahreini, Iran-Expertin von Amnesty International der DW. Der Menschenrechtsorganisation liegen Fälle von mindestens 23 Minderjährigen vor, die während der Proteste zwischen dem 20. und 30. September durch rechtswidrige Gewaltanwendung getötet worden seien: 20 Jungen zwischen elf und 17 Jahren sowie drei Mädchen, von denen eines 17 und die anderen beiden 16 Jahre alt waren. "Die meisten Jungen kamen ums Leben, weil die Sicherheitskräfte widerrechtlich mit scharfer Munition auf sie geschossen haben, oft aus nächster Nähe. Die drei Mädchen Setareh Tajik, Sarina Esmailzadeh und Nika Shahkarami hatten alle drei tödlichen Schläge am Kopf erlitten", sagt Raha Bahreini.
Familien der getöteten Kinder werden unter Druck gesetzt, um vor laufender Kamera zu behaupten, ihre Kinder seien infolge einer Krankheit oder durch eigene Hand gestorben. Die Mutter der 17-jährigen Nika Shahkarami bestätigt das in einem Video, das sie persischsprachigen Medien im Ausland zugeschickt hat. Ihre Familie musste in einem Bericht des Staatsfernsehen bestätigen, dass Nika von einem Dach gefallen sei. Nika Shakarami war nach der Teilnahme an einem Protest in Teheran verschwunden. Neun Tage später wurde ihre Leiche an ihre Familie übergeben. "Die Sicherheitskräfte tun alles, um sich selbst zu entlasten", sagte ihre Mutter Nasrin im Video.
Razzien im Unterricht
Bei den anhaltenden Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahasa Amini sind vor allem Schülerinnen zu einer große Herausforderung für die Staatsmacht geworden. Sie protestieren in ihren Schulen, nehmen ihre Hidschabs ab und schwenken sie in die Luft; sie nehmen Videos und Bilder in ihren Klassenzimmern auf, die im Internet viral gehen. Sie zeigen, wie sie Bilder von Irans obersten Führern von den Wänden nehmen und Slogans gegen die Regierung rufen.
Die Sicherheitskräfte reagieren darauf seit vergangener Woche mit Razzien in den Mädchenschulen. Sie werden zumeist von der Schulverwaltung informiert und tauchen unangemeldet auf. Beamte in Zivil dringen in die Klassenzimmer ein und nehmen Schülerinnen gewaltsam fest. Videos zeigen, wie auch Tränengas in Schulen eingesetzt wird. In einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung verurteilte die iranische Lehrergewerkschaft die "brutalen und unmenschlichen" Razzien in Schulen und bestätigte die Nachrichten über die gewaltsame Verhaftung und den Tod von Schülerinnen. Eine Schuldirektorin, die die nicht bereit war, Bilder von Überwachungskameras an die Sicherheitskräfte zu übergeben, wurde vor den Augen ihrer Schülerinnen verhaftet.