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Tödliche Irrtümer

Andreas Hartmann23. Oktober 2002

Der Widerstand der amerikanischen Bevölkerung gegen die Todesstrafe nimmt zu. Nun haben auch traditionelle Befürworter immer mehr Bedenken.

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In den meisten US-Staaten werden Verurteilte mittels Giftspritze hingerichtetBild: AP

31 von 50 Staaten der USA verhängen derzeit die Todesstrafe. Allein in diesem Jahr wurde das Todesurdteil 56 Mal vollstreckt. Ein starkes Argument für Gegner der Todestrafe sind Fälle, in denen die Unschuld eines Verurteilten - manchmal auch zu spät - nachgewiesen wurde. Weiterhin wird die offensichtlich fehlende Abschreckung drohender Todesurteile angeführt. Organisationen wie Amnesty International betonen, dass wissenschaftliche Studien nicht nachweisen konnten, dass die Todesstrafe die Verbrechensrate senkt. Diese Zweifel werden bisher vor allem von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen angeführt. Doch scheint die Todesstrafe inzwischen auch in konservativen Kreisen auf dem Prüfstand zu stehen.

Illinois überprüft Rechtssystem

Dem republikanischen Gouverneur von Illinois, George Ryan, kamen Zweifel an der Richtigkeit von Todesurteilen, nachdem die Unschuld von Todeskandidaten durch DNA-Tests nachgewiesen werden konnte. Im Januar 2000 verfügte er über die Aussetzung der Todesstrafe in seinem Staat und erklärte sich bereit, alle Todesurteile noch einmal zu überprüfen. Umfangreiche Begnadigungen (die Umwandlung des Todesurteils in eine lebenslange Haftstrafe) durch Gouverneure am Ende ihrer Amtszeit sind nicht ungewöhnlich. Die Entscheidungen werden voraussichtlich im November fallen.

Doch Ryan tat einen weitreichenderen Schritt: Er setzte eine Kommission ein, die das über 40 Jahre alte Strafrecht von Illinois auf seine "Fairness" gegenüber dem Angeklagten überprüfen sollte. Im April lieferte die Kommission ihren Bericht ab, in dem die Mehrheit des Gremiums die Abschaffung der Todesstrafe empfahl. Im Falle der Beibehaltung wurden über 80 Empfehlungen abgegeben, um zukünftige Justizfehler weitestgehend zu vermeiden. So soll zum Beispiel das gesamte Polizeiverhör von Verdächtigen in einem Mordfall auf Video festgehalten werden; Richter sollen Entscheidungen der Jury, die zu einem Todesurteil führen, widerrufen können und es wird die Überprüfung jedes Todesurteils durch das höchste Gericht von Illinois, den Supreme Court, empfohlen. Abschließend weist die Kommission darauf hin, dass wegen menschlicher Fehler "niemals garantiert werden könnte, dass keine Unschuldigen Personen zum Tode verurteilt werden".

Maryland: Rassistische Urteile

Kurze Zeit später folgte der Gouverneur von Maryland, Parris Glendening - ebenfalls Republikaner und Befürworter der Todesstrafe - dem Beispiel von Illinois. Im Mai ließ Glendening die Todesurteile in seinem Staat aussetzen. Ihm war aufgefallen, dass unter den Todeskandidaten überpropotional viele Schwarze waren – ein Argument, dass bis dahin meist von Menschenrechtsorganisationen oder Linken aufgeworfen worden war. Es werden nun die Urteile von 6000 Mordfällen auf rassistische Motive überprüft.

Wachsender Widerstand

Menschenrechtsorganisationen stellen fest, dass immer mehr Amerikaner die Gerechtigkeit und den Nutzen der Todesstrafe in Frage stellen. Jamie Felmer von Human Rights Watch betonte in einem Gespräch mit DW-WORLD, dass "selbst unter Befürwortern der Todesstrafe Zweifel über die Gerechtigkeit dieser Strafe" wachsen. Und Sumit Bhattacharyya, USA-Experte der deutschen Sektion von Amnesty International, stellt fest, dass rund 50 Prozent der Amerikaner für die Abschaffung der Todesstrafe sind, wenn das Alternativurteil lebenslänglich ohne Begnadigung lauten würde. "Das ist für die USA ein sehr guter Wert."

Zwei Richter bezeichneten die Todesstrafe als unvereinbar mit dem Bundesrecht, da die verfassungsmäßigen Rechte des Angeklagten nicht garantiert werden könnten. Allerdings betreffen diese Entscheidungen nur Verfahren auf Bundesebene. Die Justizpolitik der einzelnen Bundesstaaten bleibt davon unangetastet. Ob die Staaten Illinois und Maryland mit ihren Untersuchungen die Debatte über eine Abschaffung der Todesstrafe auf eine nationale Ebene heben, wird davon abhängen, in welcher Weise den Empfehlungen der Kommissionen in den kommenden Wochen entsprochen wird.