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Politik

Türkei steigt aus Istanbul-Konvention aus

20. März 2021

Gewalt gegen Frauen ist in der Türkei ein verbreitetes Problem. Nun tritt die Türkei aus einem Abkommen aus, das Frauen schützen soll. Die Empörung ist groß. Auch in Berlin.

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Türkei Protest nach Austritt aus Instanbul Konvention
Frauen protestieren in Instanbul gegen den Rückzug der Türkei aus der Instanbul-KonventionBild: Emrah Gurel/AP Photo/picture alliance

Die Türkei ist aus der sogenannten Istanbul-Konvention ausgetreten, die Frauen vor Gewalt schützen soll. Eine entsprechende Entscheidung des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde im Amtsblatt veröffentlicht. Die Konvention des Europarats aus dem Jahr 2011 ist das weltweit erste verbindliche Abkommen gegen Gewalt an Frauen, von Vergewaltigung in der Ehe über häusliche Gewalt bis zur weiblichen Genitalverstümmelung. Die Übereinkunft wurde am 11. Mai 2011 in Istanbul zur Unterschrift ausgelegt. Sie wurde inzwischen von 45 Staaten und der Europäischen Union (EU) unterzeichnet; Deutschland gehörte zu den ersten Unterzeichnern.

Konservative Politiker in der Türkei hatten einen Austritt mit der Begründung gefordert, die Übereinkunft schade der Einheit der Familie und fördere Scheidungen. Die Ministerin für Familie, Arbeit und Sozialpolitik, Zehra Zumrut, verkündete nun auf Twitter, die Garantie von Frauenrechten in den türkischen Gesetzen und in der Verfassung reiche aus. "Unser Justizsystem ist dynamisch und stark genug, um bei Bedarf neue Regelungen zu implementieren."

"Weiterhin Bürger zweiter Klasse"

Der Europarat sprach von "verheerenden Nachrichten" und einem "herben Rückschlag" bei den Bemühungen, Frauen zu schützen. Der Austritt gefährde den Schutz von Frauen nicht allein in der Türkei, sondern "in ganz Europa und darüber hinaus", heißt es in einer Erklärung.

Auch die türkische Oppositionspartei CHP kritisierte den Schritt der Regierung scharf. Die stellvertretende Vorsitzende Gökce Gökcen erklärte, der Rückzug aus dem Abkommen bedeute, dass Frauen "weiterhin Bürger zweiter Klasse" blieben. Damit werde zugelassen, "dass sie getötet werden". Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu schrieb auf Twitter, der Austritt aus der Konvention sei "sehr schmerzhaft". Dies missachte den jahrelangen Kampf von Frauen.

In den vergangenen Monaten waren mehrere Tausend Frauen in Istanbul und anderen Städten auf die Straße gegangen. Sie hatten verlangt, an der Konvention festzuhalten.

Türkei Präsident Recep Tayyip Erdogan
Hatte versprochen, stärker gegen Gewalt an Frauen vorzugehen: Präsident Recep Tayyip Erdogan (Archivbild)Bild: Adem Altan/AFP/Getty Images

Kundgebungen gegen den Regierungskurs

In der Türkei demonstrierten am Samstag tausende Menschen gegen den Austritt des Landes aus dem internationalen Abkommen gegen Gewalt an Frauen. In der Metropole Istanbul forderten die Teilnehmer einer Kundgebung Staatspräsident Erdogan auf, die Entscheidung zu revidieren und dem Abkommen wieder beizutreten. Die Demonstranten zeigten Plakate mit den Porträts ermordeter Frauen. Eine Demonstrantin sagte in Istanbul der Deutschen Welle: "Die 'Istanbul-Konvention' ist ein Mittel zum Schutz für uns Frauen. Und jetzt hat die Regierung den Weg für mehr Gewalt gegen Frauen geebnet. Und das ist der Grund, warum wir jetzt hier sind." Kleinere Kundgebungen gab es laut Medienberichten auch Ankara und Izmir.

Türkei Protest nach Austritt aus Instanbul Konvention
Zum Protest in Istanbul kamen Tausende zusammen Bild: Emrah Gurel/AP Photo/picture alliance

Die Generalsekretärin der Organisation "Wir werden Frauenmorde stoppen", Fidan Ataselim, betonte, die Regierung gefährde mit dem Austritt das Leben von Millionen Frauen. In einem auf Twitter geteilten Video sagte sie: "Ihr könnt Millionen Frauen nicht zu Hause einsperren, ihr könnt Millionen Frauen nicht von den Straßen und Plätzen ausradieren." 

Die Regierung in Ankara versicherte dagegen, der Kampf gegen die an Frauen verübte Gewalt werde fortgesetzt. In dieser Sache werde an dem Prinzip der "Null-Toleranz" festgehalten, sagte Familienministerin Zehra Zumrut Selcuk der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Vizepräsident Fuat Oktay schrieb auf Twitter, die Türkei müsse andere nicht imitieren. Die Lösung für den Schutz von Frauenrechten "liegt in unseren eigenen Bräuchen und Traditionen".

Deutliche Kritik aus Berlin

Das Auswärtige Amt in Berlin sieht in dem Austritt "ein falsches Signal an Europa, aber vor allem an die Frauen in der Türkei". Erst vor wenigen Wochen habe Präsident Erdogan einen Aktionsplan für Menschenrechte vorgestellt, der sich auch mit der Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen beschäftige. Die Kündigung einer wichtigen Konvention des Europarats dazu werfe die Frage auf, wie ernst es die Türkei mit den im Aktionsplan angekündigten Zielen meine. Weder kulturelle, religiöse noch anderweitige nationale Traditionen könnten als Deckmantel dienen, um Gewalt gegen Frauen zu ignorieren.

Die Grünen-Politikerin Roth verurteilte den Austritt ebenfalls scharf. Die Bundestagsvizepräsidentin sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Austritt zeige, "wie hohl und substanzlos die bisherigen Behauptungen und Ankündigungen von Erdogan und seiner Regierung sind, man arbeite an der Wiederannäherung zu Europa und an einem neuen Menschenrechtsplan".  In einer gemeinsamen Erklärung mit dem Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir hieß es, der Austritt aus der Istanbul-Konvention sei "ein weiteres Zeichen dafür, dass die universalen Menschenrechte für die türkische Regierung nichts als ein Störfaktor sind".

Der Rückzug der Türkei aus der Istanbul-Konvention zeige, "wie sehr Erdogan Frauenrechte missachtet", erklärten in Berlin die frauenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Cornelia Möhring, und der europapolitische Sprecher Andrej Hunko. Die Konvention sei ein "Manifest, das die Vision einer Gesellschaft vertritt, in der Frauen nicht den Männern untergeordnet sind, sondern in der eine vollständige Gleichstellung der Geschlechter herrscht."

Verbreitetes Problem

Gewalt gegen Frauen ist in der Türkei nach wie vor ein verbreitetes Phänomen. Nach Angaben der Organisation "Wir werden Frauenmorde stoppen" wurden allein im vergangenen Jahr mindestens 300 Frauen im Land von Männern getötet. Am 8. März, dem Weltfrauentag, hatte Präsident Erdogan gesagt, er wolle stärker gegen Gewalt an Frauen vorgehen und die Familie, deren Fundament "Mann und Frau" seien, als Institution stärken.

jj/mak/kle (dpa, afp, rtr)