Vergangenheit Nordzyperns
14. November 2008Türkische Soldaten marschieren zum Atatürk-Denkmal, um dort einen Kranz niederzulegen. Nicht in der Türkei, sondern auf der Mittelmeerinsel Zypern. Seit 1960 ist sie eigentlich ein souveräner Staat, de facto aber seit Sommer 1974 geteilt in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden. Der Süden erhält die Fiktion aufrecht, eigentlicher Repräsentant der ursprünglichen Republik Zypern zu sein, und ist als solcher auch Mitglied der Europäischen Union geworden. Der Norden erklärt am 15. November 1983 seine Unabhängigkeit als "Türkische Republik Nord-Zypern" – eine Eigenstaatlichkeit, die von niemandem in der Welt anerkannt wird. Außer von der Türkei, die Nordzypern mit nahezu 50.000 Militärs unter Kontrolle hält. In den Augen der griechischen Zyprioten ist es ein Besatzungsregime – in den Augen vieler Inseltürken die einzige Garantie dafür, als Minderheit nicht von der griechischen Mehrheit unterdrückt zu werden.
"Ein miserables Szenario"
Bei Zyperns Unabhängigkeit machten die Türken auf der Insel nur knapp 18 Prozent aus, die Griechen aber waren die Mehrheit. Die benachbarte Türkei aber hatte Jahrhunderte lang auf der Insel geherrscht, die Inseltürken sahen sich als Teil des großen Ganzen. Als dann die Briten die Macht übernahmen, ordnete man sich diesen unter. Erst mit der Unabhängigkeit drohte das Missverhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen auch politische Folgen zu haben. Es kam zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Türken auf der Insel, angefeuert vom Ruf nach "Enosis" – Anschluss an Griechenland. Die Verfassung hatte den Türken noch ein Vetorecht eingeräumt, diese Verfassung aber wurde bald ignoriert. Rauf Denktaş, langjähriger Führer der Inseltürken und späterer erster Präsident des türkischen Nordzypern, sah hierin immer einen der Hauptgründe für die Misere: "Das ist ein miserables Szenario! 39 Jahre lang hat die griechisch-zypriotische Seite die Türken zur Minderheit gemacht." Ihre verfassungsmäßigen Rechte seien missachtet worden. "Und die Welt hat das akzeptiert", beschwerte sich Denktaş.
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Als im Frühjahr 1974 rechte "Enosis"-Anhänger Staatspräsident Makarios stürzten, sah die Türkei – gemeinsam mit Großbritannien und Griechenland Garantiemacht für Zyperns Unabhängigkeit – den Augenblick gekommen: In zwei Wellen eroberte die türkische Armee den Norden der Insel und vertrieb die Griechen von dort. Türken aus dem Süden flohen ihrerseits in den Norden. Und Ankara forderte eine neue staatliche Organisation Zyperns auf der Grundlage der neuen Realitäten: Die Insel solle zur Konföderation zweier weitgehend unabhängiger Landesteile werden. Um diese Forderung zu unterstützten erklärte man bereits ein Jahr nach der Invasion den Norden zum "Türkischen Föderativen Staat Zypern". Die Idee der Konföderation wurde aber von den Griechen und dem Ausland abgelehnt. Diverse Versuche in den Folgejahren, eine Neuregelung auf der Insel auszuhandeln, scheiterten. So ging Ankara 1983 einen Schritt weiter: Es erklärte die unabhängige "Türkische Republik Nordzypern" – mit eigener Regierung, eigenem Präsidenten, eigener Flagge und eigener Nationalhymne.
Hoffnung, den Konflikt zu lösen
All das nützte dem Norden wenig. Die Welt war nicht bereit, diesen Staat anzuerkennen. Bewegung kam erst auf, als der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan 2004 das Modell der lockeren Konföderation aufgriff und eine Regelung nach Schweizer Vorbild vorschlug. Bei einem Referendum im April 2004 stimmten die Inseltürken zu – die Griechen lehnten ab. Gleichwohl gab es für die EU grünes Licht, nun auch dem türkischen Norden Hilfe zu gewähren. Man hoffte, dass der festland-türkische Wunsch, sich der EU anzunähern, und der griechisch-zypriotische Antrag auf Aufnahme in die EU die Lösung des Zypern-Konflikts erleichtern würde.
Diese Erwartung wurde enttäuscht, aber die EU nahm Zypern trotzdem auf – in der Hoffnung, dass der Konflikt auf der Insel sich doch noch lösen werde. Bisher ohne Erfolg.
Immerhin aber trat Rauf Denktaş zurück und wurde 2005 durch den flexibleren Mehmet Ali Talat abgelöst. Und auch auf griechisch-zypriotischer Seite kam es zu Veränderungen: Dem nicht zu Konzessionen bereiten Präsidenten Tassos Papadopoulos folgte nach den Wahlen Anfang des Jahres der Kommunist Dimitris Christofias ins Amt. Dieser unterhält eine gute Arbeitsbeziehung zu Talat. Beide beschlossen im Sommer, Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts aufzunehmen. Und wenn diese Gespräche auch sehr schleppend vonstatten gehen, so sind sie doch nach Jahren ein erstes Zeichen von Hoffnung. Mehmet Ali Talat nach dem ersten Treffen: "Wir sind für eine Regelung. Ankara unterstützt uns und wir sind zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, umfassende Vereinbarungen zu treffen."
Abbau von Barrikaden
Eilig haben es beide Politiker aber offenbar nicht. Maßgebliche Fortschritte sind jedenfalls bisher nicht erzielt worden. Außer einige kleinere und eher symbolische Erleichterungen des Alltagslebens, besonders in Nikosia, der einzigen geteilten Hauptstadt weltweit: Die Barrikaden am Übergang vom griechischen in den türkischen Teil wurden abgeräumt, die Trennung besteht aber weiterhin. Ebenso ist ein Ende der türkischen Republik Nordzypern nicht abzusehen.