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Politik

Türkei: Ärztepräsidentin wegen Terrorpropaganda verurteilt

11. Januar 2023

Sebnem Korur Fincanci - eine bekennende Erdogan-Kritikerin - hatte die Untersuchung eines Waffeneinsatzes gegen die PKK gefordert und erhielt dafür eine Haftstrafe. Dennoch geht die Medizinerin gestärkt aus dem Prozess.

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Unterstützer der türkischen Ärztepräsidentin demonstrieren vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul
Unterstützer der türkischen Ärztepräsidentin demonstrieren vor dem Gerichtsgebäude in Istanbul Bild: UMIT BEKTAS/REUTERS

Ein Gericht in der Türkei hat die international hoch angesehene Medizinerin Sebnem Korur Fincanci zu einer Haftstrafe verurteilt, im Anschluss aber ihre Freilassung angeordnet. Das Istanbuler Gericht befand die 63-jährige Vorsitzende des türkischen Ärzteverbandes des Verbreitens "terroristischer Propaganda" für schuldig und verurteilte sie zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis. Haftstrafen von weniger als vier Jahren werden in der Türkei selten vollstreckt, die Verurteilten werden lediglich unter gerichtliche Aufsicht gestellt.

Vor und im Istanbuler Gerichtsgebäude sicherten zahlreiche Polizisten den Prozess ab
Sowohl vor als auch in dem Gebäudekomplex des Istanbuler Gerichts sicherten zahlreiche Polizisten den Prozess ab Bild: OZAN KOSE/AFP

Fincanci saß seit dem 27. Oktober in Untersuchungshaft. Die renommierte Rechtsmedizinerin hatte in einem Fernsehinterview die Untersuchung eines mutmaßlichen Einsatzes chemischer Waffen durch die türkische Armee gegen kurdische Kämpfer gefordert. Pro-kurdische Medien und Oppositionsvertreter hatten die türkische Armee beschuldigt, chemische Waffen gegen die Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eingesetzt zu haben. Laut der PKK wurden bei einem solchen Angriff in den Bergen des Nordiraks 17 Kämpfer getötet.

Rückschlag für die türkische Staatsanwaltschaft

Der türkische Verteidigungsminister nannte die Anschuldigungen "Verleumdung". Staatschef Recep Tayyip Erdogan warf der Ärztin vor, "die Sprache des Terrorismus" zu sprechen. Das Justizverfahren gegen die Vorsitzende des Ärzteverbands - eine entschiedene Kritikerin Erdogans - wurde international als politisch motiviert angeprangert. Die Höchststrafe für "terroristische Propaganda" liegt in der Türkei bei siebeneinhalb Jahren Gefängnis. Das Urteil kann daher als Rückschlag für die türkische Staatsanwaltschaft gesehen werden. In der Türkei sitzen tausende politische Regierungsgegner, darunter viele Kurden, hinter Gittern.

Schon nach der Festnahme von Sebnem Korur Fincanci Ende Oktober 2022 kam es in Istanbul zu spontanen Protesten
Schon nach der Festnahme von Sebnem Korur Fincanci Ende Oktober 2022 kam es in Istanbul zu spontanen Protesten Bild: Onur Dogman/ZUMA Press Wire/picture alliance

Die PKK kämpft seit Mitte der 1980er Jahre für mehr Rechte für die Kurden in der Türkei und gegen den türkischen Staat. Sie wurde in der Vergangenheit immer wieder für Anschläge in der Türkei verantwortlich gemacht. Sie wird von der Regierung in Ankara sowie den meisten westlichen Staaten, darunter die USA und die EU, als Terrororganisation eingestuft.

Sprechchöre für Fincanci im überfüllten Gerichtssaal

Der Prozess gegen Fincanci fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Sowohl im Gerichtsgebäude als auch davor gab es eine starke Polizeipräsenz. Vor der Absperrung am Gericht versammelten sich Unterstützer Fincancis, die für ihre Freilassung demonstrierten. Die Medizinerin sagte in ihrem Schlusswort vor Gericht, dass sie keinen fairen Prozess erwarte. Nach der Urteilsverkündung stimmte das Publikum Sprechchöre in dem überfüllten Gerichtssaal an und feierte die Entscheidung zur Entlassung Fincancis aus der Untersuchungshaft.

Auch wegen Fincancis Zusammenarbeit mit Rechtsmedizinern der UN an Orten wie Bosnien bekam der Prozess gegen sie viel internationale Aufmerksamkeit. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, nannte Fincanci "eine der mutigsten Stimmen der Türkei". Die irische Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders verurteilte die Entscheidung in "diesem politisch motivierten Prozess" als "ungerecht". Das Urteil müsse in der Berufung gekippt werden, hieß es. 

sti/uh (afp, dpa, rtr)