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Musik

U2-Album "Songs Of Experience"

30. November 2017

Das neue U2-Album kündigte sich schon lange an, doch aufgrund der Trump-Wahl haben Bono & Co. es nochmal überarbeitet. Das Ergebnis klingt wie U2 - doch offenbar weiß die Band selbst nicht mehr, wohin sie will.

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Bono
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat alles verändert. Das U2-Album "Songs of Experience" war Ende 2016 quasi im Kasten. Doch dann das! Trumps Wahlsieg war für den U2-Frontmann Bono ein Schock, der nach einer "lyrischen Antwort" schrie. Also setzte sich Bono nochmal an die Songs.

Und? Wie sind sie nun? Darf man gespannt sein - oder sind die Zeiten, in denen U2-Fans die Tage bis zur neuen Platte zählten, endgültig vorbei? Beim letzten Album "Songs Of Innocence" hatte die Band eine solche Entwicklung wohl noch nicht vermutet. Denn mit einem Deal mit dem Musikportal iTunes wollten U2 ihren vermeintlichen weltweiten Fans ein Geschenk machen, indem sie das Album kostenlos für alle iTunes-Nutzer zur Verfügung stellten. Millionen User hatten plötzlich Musik in ihren Playlisten, auf die sie gerne verzichtet hätten. Das ging nach hinten los.

Apple launcht iPhone 6: Tim Cook mit Rock Band U2 auf der Bühne
Apple: U2-Platte für umsonst - und keiner will sie haben...Bild: Reuters/S. Lam

Ermüdungserscheinungen

In den vergangenen Monaten haben U2 ihre Fans häppchenweise mit neuen Songs aus dem Album versorgt, jetzt ist es da. Im Gegensatz zu "Songs Of Innocence" kann man sich dieses Mal aussuchen, ob man die Platte kauft oder nicht.

Vorweg: Wer Bonos Stimme mag und auf klug gedichtete Textzeilen steht, der macht sicher nichts falsch. Musikalisch ist es ein sehr mainstreamiger Mix aus Rock, Pop und - ja - Disco. Es klingt seicht, ein bisschen halbherzig - und einige Refrains muten mit wenig Worten und viel "Whoo" und "Whaa" eher wie Fangesänge im Stadion an. Ist Bono aus der Schockstarre nach Trumps Wahlsieg nicht mehr aufgewacht? Oder warum klingt die Platte so merkwürdig müde?

Auf der Suche nach Trump-Kritik

U2 mit Preis bei den MTV Europe Music Awards 2017 | U2
Als "Rock-Legenden" wurden U2 bei den MTV Europe Music Awards 2017 mit dem "Global Icon Award" ausgezeichnetBild: Reuters/D. Martinez

Auf einem Album, das nach der Trump-Wahl noch einmal überarbeitet werden musste, hätte man vielleicht mehr erwarten können. "The Blackout" war im Spätsommer der erste Vorbote aus "Songs Of Experience". Ja, ansatzweise geht es hier um Demokratieverlust und darum, dass man erst in der Dunkelheit lernt zu sehen. Die Nummer ist radiotauglich und hat Ohrwurmqualitäten.

"Get Out Of Your Own Way" ist intelligent getextet, spielt mit Worten und Reimen, was dem musikalisch oberflächlichen Popsong ein wenig Tiefe verleiht. Weniger filigran getextet könnte der Song auch heißen: "Trump, geh nach Hause".

"American Soul": Nach einem eindrücklichen Intro von Rapper Kendrick Lamar ("Gesegnet sind die Lügner, denn die Wahrheit kann sehr peinlich sein") ist es ein dahingeknüppelter Rocksong ohne melodiösen Anspruch, der sich mit der US-amerikanischen Einwanderungsgeschichte beschäftigt, von den Pilgrim Fathers - den ersten Europäern in Nordamerika - bis zu den Flüchtlingen heute. Klingt nach viel Zündstoff, kommt aber dann mit einem enttäuschend platten Refrain: "Ihr seid Rock'n'Roll, du und ich sind Rock'n'Roll, hergekommen, um die amerikanische Seele zu finden".

Die Luft ist raus

Seltsam blutleer erscheint dieses 14. Studioalbum der Iren, die in den 1980er und 90er Jahren mit Hymnen wie "With Or Without You" oder "I Still Haven't Found What I'm Looking For" Stadien weltweilt gerockt haben. Ist die ganze musikalische Energie von Bono im Zuge der vielen zermürbenden politischen Engagements auf der Strecke geblieben? Es sieht so aus, als wolle sich die Band, die 1983 mit "Sunday, Bloody Sunday" ein lautstarkes Statement gegen den blutigen Nordirlandkonfikt in die Popmusikgeschichte geprügelt hat, so langsam zur Ruhe setzen. Langsam, vielleicht mit noch zwei, drei weiteren Alben, die möglicherweise kein Mensch mehr braucht.

Live Aid-Konzert im Wembley Stadion, Bono (links) mit Paul McCartney
Bono (links) mit Paul McCartney beim Live Aid-Konzert 1985Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb/empics

Der "Musikexpress" beschreibt diesen Zustand mit drastischen Worten: "Künstlerisch torkelt diese Gruppe weiter durch die Musiklandschaft wie ein geköpftes Huhn. Das Blut spritzt in Fontänen aus dem Hals, man geht ihm besser aus dem Weg, irgendwann wird es schon umfallen, aber wann?"

Moralisch zweifelhaft

Bono Sänger von U2
Bono muss sich den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassenBild: Imago/IP3press/N. Kovarik

Vielleicht wird der Umstand, dass U2-Sänger Bono von den Steueroasen Malta und Guernsey Gebrauch gemacht hat, den Zerfallsprozess der Rockband beschleunigen. Denn seit den Enthüllungen der "Paradise Papers" Anfang November hat Bonos Vorbildcharakter als Kämpfer für das Gute erheblich gelitten. Ein denkbar schlechtes Timing, um ein Album mit einer politischen Botschaft zu veröffentlichen.

Und wenn man als treuer alter U2-Fan trotzdem sagt, "komm, für ein U2-Album ist es doch ganz ok" - denn produktionstechnisch ist überhaupt nichts dran auszusetzen - dann müsste einem angesichts Bonos Paradise Papers-Story spätestens am Ende von "Get Out Of Your Own Way" der Kragen platzen.  Kendrick Lamar rappt da einen weiteren Part, in dem es heißt: "Selig sind die Stinkreichen, denn du kannst nur wahrhaft besitzen, was du verschenkst."

Bei U2 geht es eben nicht nur um Musik. Es geht immer um Politik. Dafür sind sie als Rock-Ikonen gefeiert worden, und so wollen wir sie auch im Gedächtnis behalten. Sollte es tatsächlich zu einem weiteren U2-Album kommen, würde Bono besser daran tun, vor seiner eigenen Tür zu kehren, anstatt seine Zeit mit harmlosen Botschaften an den US-Präsidenten zu vergeuden.

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online