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Politik

Öffnung im Westen, Abschottung im Osten

Roman Goncharenko
16. Juni 2017

Mit dem Ende der Visumspflicht für die Europäische Union ist für viele Ukrainer ein Traum wahr geworden. Doch die neuen Reiseerleichterungen im Westen dürften schärfere Kontrollen im Osten zur Folge haben.

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Ukrainische Bürger freuen sich über die Visaliberalisierung mit der EU bei einem Konzert in Kiew
Die Abschaffung der EU-Visumspflicht haben Ukrainer mit einem großen Konzert in der Hauptstadt Kiew gefeiertBild: Getty Images/AFP/S. Supinsky

Seit rund einer Woche dürfen Ukrainer ohne Visum in die Europäische Union einreisen. Die wichtigste Voraussetzung: ein biometrischer Reisepass, in dem persönliche Merkmale wie Fingerabdrücke digital gespeichert sind. Insgesamt seien seit Inkrafttreten des Abkommens am 11. Juni knapp 315.000 Bürger des osteuropäischen Landes in die EU eingereist. Das teilte die ukrainische Grenzschutzbehörde in Kiew am Freitag mit. Davon seien 8690 Personen ohne Visum gereist, hätten also direkt von der neuen Regelung profitiert.

Ein Traum wird wahr

Für Olena aus Kiew ist wie für viele ihrer Landsleute ein Traum wahr geworden. Sie zählte zu den ersten Ukrainern, die visumsfrei in die EU reisen durften. "Ich habe sehr lange, zehn bis 15 Jahre, darauf gewartet", sagte die junge Frau der DW in der Ankunftshalle des Flughafens Köln/Bonn. Olena kam am vergangenen Sonntag mit einem Linienflugzeug aus der ukrainischen Hauptstadt. "Man muss jetzt nicht mehr mühsam ein Visum beantragen und kann auch Geld sparen", freute sie sich. "Alles ging glatt. Ich habe nur auf Englisch das Ziel meiner Reise erklärt", erzählte Serhij, der ebenfalls aus Kiew kam, über die Passkontrolle am deutschen Flughafen.

Um bei Streitfällen schnell helfen zu können, haben ukrainische Konsulatsmitarbeiter EU-weit mobile Gruppen eingerichtet. Ihre Dienste wurden jedoch in den ersten Tagen selten in Anspruch genommen. Insgesamt 16 Ukrainern wurde laut Grenzschutzbehörde in Kiew bisher die Einreise in die EU verweigert.

Die ukrainische Schriftstellerin Kateryna Babkina beschreibt in ihrem Gastbeitrag für die DW Eindrücke, die viele Ukrainer in diesen Tagen teilen. "Die Visafreiheit mit der EU befreit uns nicht von Grenzen und Trennlinien", so Babkina. Flugtickets und Hotels seien weiterhin teuer, auch Fremdsprachen seien nicht einfacher geworden. "Doch man muss nicht mehr beweisen, dass man okay ist." Die EU habe die Ukraine angenommen. Was die Schriftstellerin meint, ist: Ukrainer fühlen sich nicht mehr wie Reisende zweiter Klasse.

Kiew, Ukraine - Plakat mit einem ukrainischen Passport vor der EU-Fahne
"Ohne Visa" steht auf einem Plakat im Zentrum von Kiew.Bild: Imago/Zumapress/S. Glovny

Die Ukraine kehrt nun teilweise zu einem Zustand vor der EU-Osterweiterung 2004 zurück. Damals führte der EU-Beitritt von gut einem Dutzend Ländern des früheren Ostblocks zu einer Visumspflicht für das Nachbarland. Das war ein schwerer Schlag besonders für Westukrainer, die oft ins benachbarte Polen oder in die Slowakei reisten, um dort einzukaufen oder zu arbeiten.

Auch heute ist Polen das Ziel Nummer eins für die meisten Ukrainer, die ohne Visum reisen. Die neuen Erleichterungen gelten allerdings nur für Touristen. Wer in der EU arbeiten oder studieren möchte, braucht weiterhin ein Visum.

Nur jeder Zehnte mit biometrischem Reisepass

Bisher haben rund vier Millionen Ukrainer einen biometrischen Reisepass und damit gut zehn Prozent der Bevölkerung. Die langen Schlangen bei den Passbehörden lassen vermuten, dass diese Zahl bald steigen dürfte.

Die EU ihrerseits zeigt sich zufrieden mit dem neuen Reiseverkehr. "Wir hoffen, dass möglichst viele Ukrainer EU-Länder besuchen können", so ein EU-Vertreter in Kiew nach Inkrafttreten der neuen Regelung. Sollte die Zahl der reisenden Ukraine rapide steigen, hat sich Brüssel abgesichert und könnte das Abkommen über die Visafreiheit suspendieren.

Visa für Russen im Gespräch 

Als der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am 11. Juni an der ukrainisch-slowakischen Grenze eine symbolische Tür nach Europa öffnete, erklärte er den Abschied seines Landes von Russland für abgeschlossen. Dieser Abschied beschleunigte sich nach der Krim-Annexion 2014.

Mit der Öffnung im Westen zur EU könnte die Ukraine nun in den kommenden Wochen eine Visumspflicht für Russland einführen. Das ukrainische Parlament könnte bereits Ende Juni dieses Thema anstoßen. Das Außenministerium in Kiew teilte mit, man sei dazu bereit.

Doch es gibt auch Skeptiker. Einige Politiker in Kiew fürchten eigene Nachteile. Eine Visumspflicht mit Russland würde die Ukraine Millionen kosten und wäre daher zu teuer für das wirtschaftlich angeschlagene Land. Andere sprachen sich dafür aus, Russen nur mit biometrischen Pässen in die Ukraine einreisen zu lassen. Diese Neuregelung scheint wahrscheinlich. Dabei hat sich die Ukraine seit der Krim-Annexion immer stärker von Russland abgeschottet, unter anderem mit einem Zaun an der Grenze und der Einstellung des Flugverkehrs.

Häme in Russland

In Russland selbst gab es in den Medien und sozialen Netzwerken viel Häme über die neue Reisefreiheit der Nachbarn. Europa lasse die Ukrainer als Sklaven einreisen, giftete ein Journalist in einem staatlichen TV-Sender. Skeptische Töne gab es in den vergangenen Monaten auch vom Präsidenten Wladimir Putin. Es sei unfair, dass Ukrainer nicht in der EU arbeiten dürften, sagte der Kremlchef mit kaum versteckter Ironie.