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PolitikEuropa

Aktuell: Bundestag für NATO-Erweiterung

8. Juli 2022

Deutschland gibt grünes Licht für den Beitritt von Finnland und Schweden zur NATO. Beim G-20-Treffen in Indonesien sorgt Russlands Außenminister Lawrow im Streit um den Ukraine-Krieg für einen Eklat. Unser Überblick.

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Bildergalerie Regierungsviertel | Deutsche Fahne ist aufgezogen vor dem Reichstagsgebäude
Das Reichstagsgebäude in Berlin ist Sitz des Deutschen Bundestags (Archivbild)Bild: Winfried Rothermel/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze: 

  • Bundestag befürwortet NATO-Beitritt von Finnland und Schweden
  • Russischer Außenminister verkürzt Aufenthalt beim G20-Treffen
  • Haftstrafe für Moskauer Abgeordneten nach Kriegskritik
  • Baerbock auf Bali: "Russland greift die internationale Ordnung an"
  • Britische Regierung erwartet Verschnaufpause bei Angriffen

 

Der Bundestag hat den Weg für eine NATO-Mitgliedschaft von Finnland und Schweden frei gemacht. Die Mehrheit der Abgeordneten billigte in Berlin ein Gesetz, das die Voraussetzung zur Annahme entsprechender Protokolle durch Deutschland ist. Dafür stimmten die Fraktionen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP sowie aufseiten der Opposition die Union und mehrheitlich die rechtspopulistische AfD. Ein klares Nein kam nur von der Linken. Die eigentliche Ratifizierungsurkunde stellt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus.

Der Schritt Schwedens und Finnlands ist eine unmittelbare Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Am Dienstag hatten die Botschafter der 30 Bündnisstaaten im Hauptquartier in Brüssel in Anwesenheit der Außenminister der beiden nordischen Länder bereits die sogenannten Beitrittsprotokolle unterzeichnet. Bisher haben Kanada, Estland, Norwegen, Dänemark und Island den Beitritt ratifiziert.

Deutschland | Bundestag Tobias Lindner
Staatsminister Tobias Lindner spricht im Bundestag zum NATO-Beitritt der beiden NordländerBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Die Bundesregierung warb zum Auftakt der Debatte im Bundestag um Zustimmung. "Die geplanten Beitritte Finnlands und Schwedens zum Nordatlantischen Verteidigungsbündnis sind von herausragender Bedeutung für uns und unsere Partner angesichts der Erschütterungen, die wir aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Europa und in der ganzen Welt erfahren", sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Tobias Lindner, im Namen der Regierung.

Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Agnes Strack-Zimmermann, sprach anschließend von einem guten Zeichen, dass Deutschland mit seiner frühen Entscheidung den Weg geebnet habe für den Beitritt Finnlands und Schwedens. In Interview der Deutschen Welle zeigte sie sich optimistisch, dass die anderen Länder mit der Zustimmung nachziehen werden. "Und ich gehe auch davon aus, dass letztendlich auch die Türkei zustimmen wird."

Strack-Zimmermann: "Wir schreiben Geschichte"

Eine Bedrohung für Russland sei der Beitritt keinesfalls. Die russische Armee habe Soldaten von der finnischen Grenze abgezogen, um in der Ukraine zu kämpfen. "Ganz so dramatisch scheint es Wladimir Putin also nicht zu sehen, denn er weiß, dass die NATO kein Angriffs-, sondern ein reines Verteidigungsbündnis ist."

Eklat um Lawrow bei G20-Treffen auf Bali

Beim G20-Treffen der führenden und aufstrebenden Wirtschaftsmächte in Indonesien hat der russische Außenminister Sergej Lawrow für einen Eklat gesorgt. Lawrow verließ den Saal im Luxushotel Mulia gleich nach seiner Rede und hörte sich die Wortmeldungen seiner Kritiker gar nicht mehr an. Anschließend warf er dem Westen vor, den Übergang zu einer friedlichen Lösung des Konflikts in der Ukraine zu verhindern. Wenn die EU und die USA einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld anstrebten, "dann haben wir wahrscheinlich mit dem Westen nichts zu besprechen", sagte er vor Journalisten.

Lawrow sorgt für Eklat bei G20-Treffen

Lawrows Sprecherin Maria Sacharowa hatte zuvor der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mitgeteilt: "Lawrow führt noch bilaterale Gespräche, danach wendet er sich an die Presse und reist ab." Er wollte demnach weder am offiziellen Essen noch an der Nachmittagssitzung teilnehmen.

Mit seinem Rückzug aus dem Plenum habe sich Lawrow auch der Replik der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock entzogen, hieß es aus Delegationskreisen. Baerbock sprach als amtierende Vorsitzende der G7-Gruppe führender demokratischer Wirtschaftsmächte direkt nach Lawrow.

"An internationaler Kooperation nicht interessiert"

Die Ministerin sagte, die Abwesenheit Lawrows, gerade auch bei der Sitzung zum Thema Ernährungssicherheit, unterstreiche, dass er an internationaler Kooperation und dem Austausch mit den anderen G20-Staaten "nicht interessiert" sei. Die internationale Gemeinschaft sei jedoch in der Verantwortung, dass die Auswirkungen dieses Krieges nicht auf andere Regionen dieser Welt übergreifen. "Russland greift die internationale Ordnung an", so die Grünen-Politikerin. "Russland ist durch die Auswirkungen des Krieges eine Gefahr für die ganze Welt."

Indonesien | G20 Treffen Bali
Außenministerin Annalena Baerbock bei der Sitzung der G20-Minister auf Bali Bild: Dita Alangkara/AFP/Getty Images

Russland erklärte sich auf Bali immerhin bereit, mit der Ukraine und der Türkei über Getreide zu verhandeln. Es sei aber unklar, wann solche Gespräche stattfinden könnten, sagte Außenminister Lawrow. In der Ukraine lagern Millionen Tonnen Getreide, die nicht exportiert werden können. Lawrow kritisierte, dass auf dem G20-Treffen von den westlichen Staaten mehr über Russland als über die weltweiten ökonomischen Probleme gesprochen werde.

Haftstrafe für Moskauer Abgeordneten nach Kriegskritik

Ein Moskauer Kommunalpolitiker ist nach öffentlicher Kritik an der russischen Offensive in der Ukraine zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gericht in der russischen Hauptstadt befand Alexej Gorinow für schuldig, "wissentlich Falschinformationen" über die russische Armee verbreitet zu haben.

Der 60-Jährige habe aus "politischem Hass" gehandelt, sagte Richterin Olesja Mendelejewa. Er und eine weitere Abgeordnete, Jelena Kotjonotschkina, hätten die Russinnen und Russen über den Militäreinsatz in der Ukraine "in die Irre geführt" und ihnen "Angst und Schrecken eingejagt", fügte die Richterin hinzu. Gorinow hielt während der Verhandlung einen Zettel hoch, auf dem stand: "Braucht ihr diesen Krieg noch?". Ein Gerichtsdiener versuchte, die Worte vor den Kameras abzuschirmen. Kotjonotschkina ist inzwischen aus Russland geflohen.

Russland Moskau | Der Abgeordnete Alexej Gorinow im Gericht
"Braucht ihr diesen Krieg noch?" Alexej Gorinow während der Gerichtsverhandlung in MoskauBild: KIRILL KUDRYAVTSEV/AFP/Getty Images

Gorinow hatte im März den russischen Militäreinsatz kritisiert. Er forderte, auf einen Malwettbewerb für Kinder in seinem Wahlkreis zu verzichten, solange in der Ukraine "jeden Tag Kinder sterben". Zudem sprach er von "Krieg" - und nicht wie offiziell vom Kreml vorgegeben von einer "militärischen Spezialoperation". Sein Auftritt wurde gefilmt und auf der Video-Plattform Youtube verbreitet.

Russische Oppositionelle reagierten schockiert auf das Urteil. Die Behörden gehen seit der Entsendung russischer Truppen in die Ukraine verstärkt gegen abweichende Meinungen vor. Anfang März wurden für die "Verbreitung falscher Informationen" über die russische Armee bis zu 15 Jahre Haft eingeführt. Nach Ansicht von Aktivisten soll der Straftatbestand Kritiker zum Schweigen bringen. Gorinow ist der erste Mandatsträger der Opposition, der wegen seiner Äußerungen nach dem neuen Paragrafen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Putin warnt den Westen

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die westlichen Staaten vor weiteren Sanktionen wegen des Ukraine-Konflikts gewarnt. "Die Fortsetzung der Sanktionspolitik kann zu noch schwerwiegenderen - ohne Übertreibung: katastrophalen - Folgen auf dem Weltenergiemarkt führen", sagte Putin bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit der Regierung. "Sanktionen gegen Russland werden für die Länder, die sie verhängen, weitaus größere Verluste bedeuten", bekräftigte er erneut. Putin begrüßte die Weigerung anderer erdölproduzierender Länder, ihre Fördermengen zu erhöhen, um sanktioniertes russisches Öl zu kompensieren und einen Preisanstieg zu verhindern.

Kremlchef Putin bei seiner Ansprache
Kremlchef Putin bei seiner vom Fernsehen übertragenen AnspracheBild: Alexei Nikolsky/AP Photo/picture alliance

Zuvor hatte der Kremlchef erklärt, die Militäraktion in der Ukraine stehe erst ganz am Anfang. "Jeder sollte wissen, dass wir noch nicht ernsthaft begonnen haben", sagte Putin in einer seiner schärfsten Reden seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar.

"Der kollektive Westen" habe einen "Krieg" in der Ukraine entfesselt, sagte Putin weiter. Russland lehne Friedensverhandlungen nicht ab. "Aber diejenigen, welche sie ablehnen, sollten wissen, dass es härter wird mit einer Einigung mit uns" zu einem späteren Zeitpunkt, fügte Putin hinzu.

Siehe auch: NATO gegen Putin: Verteidigung oder Aggression?

Selenskyj ruft mit Nachdruck nach mehr Waffen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Westen mit Nachdruck zu weiteren Waffenlieferungen aufgerufen. "Je größer die Verteidigungshilfe für die Ukraine jetzt ist, desto eher wird der Krieg mit unserem Sieg enden und desto geringer werden die Verluste aller Länder der Welt sein", sagte er in seiner täglichen Videobotschaft. Kiews Partner besäßen genaue Informationen über die Bedürfnisse der Ukraine. Das gelte sowohl für die Luftverteidigung als auch für moderne Artillerie.

Vor dem Hintergrund des angekündigten Rückzugs von Boris Johnson als britischer Premierminister hob Selenskyj die Rolle Großbritanniens als Waffenlieferant hervor. London habe Kiew unter anderem Systeme zur Luftverteidigung und Panzerabwehr überlassen, aber auch Artillerie, Munition und gepanzerte Fahrzeuge. "Die Rolle Großbritanniens beim Schutz der Freiheit ist wirklich global."

Britisches Verteidigungsministerium erwartet Verschnaufpause bei Angriffen

Nach der weitgehenden Eroberung der Region Luhansk im Osten der Ukraine rechnet das Verteidigungsministerium in London mit einer Umgruppierung der russischen Truppen. Diese würden wahrscheinlich eine Pause einlegen, um ihre Einheiten neu aufzustellen, bevor sie weitere Angriffe im Gebiet Donezk starten.

Die russische Armee werde ihre Kräfte wahrscheinlich in Richtung der Stadt Siwersk konzentrieren. Die Truppen könnte auch versuchen, auf die Stadtgebiete von Slowjansk und Kramatorsk vorzurücken, erklärte das Ministerium auf Twitter. Zuletzt hatten die russischen Streitkräfte nach einem heftigen Dauerbombardement Geländegewinne im Osten der Ukraine erzielt, sich aber von der ukrainischen Schlangeninsel südlich von Odessa zurückgezogen.

Angriffe auf Sloviansk, Ukraine
Schwerer russischer Beschuss in Slowjansk in der Region Donezk am 5. Juli 2022Bild: Marko Djurica/Reuters

Deutsches Energie-Sicherungsgesetz kann in Kraft treten

Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat der Regierung in der Gaskrise freie Hand zur Stützung von Versorgern und zur Abfederung der Kundenpreise an die Hand gegeben. Die Länderkammer billigte die Reform des Energie-Sicherungsgesetzes. Auf dieser Basis kann der Bund schnell auf eine weitere Verknappung der Gaslieferungen und noch höhere Preise reagieren.

So können Regelungen in Kraft gesetzt werden, um nach dem Vorbild der Rettung des Unternehmens Lufthansa in der Corona-Krise angeschlagene Importeure wie Uniper zu stützen – notfalls bis hin zu einem Staatseinstieg. Auch enthält die Novelle Regelungen, wie die Importeure ihre Mehrkosten schneller und gleichmäßiger weitergeben können. Eingemottete oder zur Abschaltung vorgesehene Kohlekraftwerke können danach wieder angefahren werden, um dafür Gaskraftwerke vom Netz zu nehmen.

Deutschland | Kohlekraftwerk Rheinhafen Karlsruhe
Das Kohlekraftwerk im Rheinhafen von Karlsruhe (Archivbild)Bild: Zoonar/picture alliance

Mit Blick auf die Kohlemeiler hat Wirtschaftsminister Robert Habeck bereits eine Ministerverordnung angekündigt, sobald der Bundespräsident in den nächsten Tagen das Gesetz unterschreibt. Das soll helfen, sich vor allem für den Winter zu rüsten, in dem das Verbrennen von Gas zur Stromerzeugung ersetzt wird. Im Auge hat der Bund dabei die ab Montag für eine reguläre Wartung anstehende Sperrung der zentralen Gaspipeline Nord Stream 1. Regulär sollten die Arbeiten nur zehn Tage dauern. Habeck hält aber auch eine längere Abschaltung durch Russland aus politischen Gründen für möglich.

Keine Parlamentsmehrheit für die Lieferung von 200 Fuchs-Panzern

Die Forderung von CDU und CSU, der Ukraine kurzfristig 200 Transportpanzer vom Typ Fuchs zu liefern, hat im Bundestag keine Mehrheit gefunden. Das Parlament stimmte in der vergangenen Nacht gegen einen entsprechenden Antrag der Unionsfraktion.

Sitzung des Deutschen Bundestages
Sitzung des Deutschen BundestagesBild: Political-Moments/IMAGO

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte vor einem "Ausplündern" der Bundeswehr gewarnt. "Wir unterstützen die Ukraine mit allem, was möglich und verantwortbar ist. Aber wir müssen die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands gewährleisten", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Scholz glaubt an lange Solidarität mit der Ukraine

Bundeskanzler Olaf Scholz ist überzeugt, dass Deutschland seine Solidarität mit der Ukraine lange aufrechterhalten kann. Er habe sehr vorsichtig bei dem Thema agiert, sagt Scholz im ZDF.

Vielleicht sei dies die Grundlage dafür, dass dann auch die Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten bleibe, wenn die Lage schwieriger werde, fügte er auf die Frage nach den Folgen der hohen Energiepreise für die Stimmung in der Bevölkerung hinzu.

Bund und Länder wollen ukrainische Flüchtlingskinder aufmuntern

Ukrainische Kinder und Jugendliche, die vor dem russischen Angriffskrieg aus ihr Land nach Deutschland geflohen sind, sollen mehr "Sonnenstunden" erleben können. Bund und Länder stocken das gleichnamige Programm auf mehr als eine Million Euro auf. Damit werden kulturelle Angebote für Kinder und Jugendliche aus der Ukraine ermöglicht. Das Programm "Sonnenstunden" soll Einrichtungen und Organisationen unterstützen, situationsbezogen und zügig kulturelle Angebote zu konzipieren und umzusetzen. Nach Angaben der Kulturstiftung der Länder liegen mehr als 400 Anträge vor.

Deutschland Claudia Roth
Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien (Archivbild) Bild: Tom Weller/dpa/picture alliance

"Wie so oft sind auch in diesem Krieg wieder vor allem Kinder und Jugendliche die Leidtragenden der sinnlosen Zerstörung und Gewalt", sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Die vielerorts ehrenamtlich getragenen Projekte würden geflüchteten Kindern und Jugendlichen mit speziellen Kulturangeboten "ein paar Lichtblicke in diesen düsteren Zeiten" verschaffen, so die Grünen-Politikerin.

rb/ack/kle/sti/jj/uh (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.