Aktuell: Kiew hat in Berlin Wunschzettel vorgelegt
19. April 2022Das Wichtigste in Kürze:
- Deutsche Waffenlieferungen mit Partnern abgestimmt
- Offenbar russische Geländegewinne in Ostukraine
- Moskau weist europäische Diplomaten aus
- UN gehen von Millionen Bedürftigen aus
- Putin ehrt Soldaten nach Gräueltaten von Butscha
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. "Wir haben die deutsche Rüstungsindustrie gebeten uns zu sagen, welches Material sie in nächster Zeit liefern kann", sagte Scholz nach einer Schaltkonferenz mit westlichen Staats- und Regierungschefs der G7 sowie osteuropäischen NATO-Partnern in Berlin. "Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung."
Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition "und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann", so Scholz. Lieferungen aus Bundeswehrbeständen soll es nach den Angaben des Kanzlers dagegen kaum noch geben. "Hier müssen wir inzwischen erkennen, dass die Möglichkeiten, die wir haben, an ihre Grenzen stoßen."
Deutsche Waffen schon jetzt im Einsatz
Unterstützung sagte Scholz den osteuropäischen Partnern zu, die der Ukraine aus ihren Beständen Waffensysteme liefern wollten, die dort bereits genutzt würden. Wenn osteuropäische NATO-Partner Waffen sowjetischer Bauart aus ihren alten Beständen an die Ukraine liefern und anschließend für sich selbst "Ersatz beschaffen" wollten, werde Deutschland "hilfreich" sein, betonte Scholz. Darüber hinaus liefere Deutschland bereits "Waffen mit erheblicher Auswirkung" an die Ukraine und werde dies weiterhin tun. "Wir liefern Waffen, die auf große Entfernung eingesetzt werden können, auch in den Gefechten, die jetzt stattfinden." Scholz war zuletzt innerhalb der Regierungskoalition unter Druck geraten, auch Panzer und schwere Waffen zu liefern.
Unterdessen kündigten die NATO-Mitgliedsstaaten USA, Großbritannien und Kanada die Lieferung von Artilleriegeschützen an.
Russisches Militär rückt im Osten vor
Russland hat in der Nacht zum Dienstag nach eigenen Angaben dutzende Luftangriffe im Osten der Ukraine geflogen. Dies war nach Angaben der Regierung in Kiew der Beginn der befürchteten neuen russischen Offensive im Osten des Landes. Nach Angaben örtlicher Behörden übernahmen russische Einheiten die Kontrolle über die Stadt Kreminna. Dabei sollen nach Angaben des Gouverneurs der Region Luhansk, Serhij Gaidai, mehrere hundert Zivilisten getötet worden sein.
Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, "hochpräzise luftgestützte Raketen" hätten zahlreiche ukrainische Stellungen in Teilen des Donbass getroffen, darunter seien auch militärische Einrichtungen in den Regionen Luhansk und Charkiw. Das Ministerium forderte alle ukrainischen Soldaten auf, "unverzüglich die Waffen niederzulegen".
Zweite Phase des Kriegs
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Video-Ansprache am Montagabend, dass "die Schlacht um den Donbass" begonnen habe. Stabschef Andrij Jermak sprach von einer zweiten Phase des Kriegs. Ukrainische Medien berichteten am Dienstag über eine Reihe von teils heftigen Explosionen entlang der Frontlinie in der östlichen Region Donezk und über Beschuss in Marinka, Slawjansk und Kramatorsk.
Auch in Charkiw im Nordosten der Ukraine, in Mykolajiw im Süden und in Saporischschja im Südosten hat es demnach Explosionen gegeben. In vielen Städten und Orten gab es Luftalarm.
Beim Beschuss der Großstadt Charkiw waren am Montag nach ukrainischen Angaben drei Menschen getötet und 15 verletzt worden. "Die Granaten fielen direkt vor Häuser, auf Kinderspielplätze und in die Nähe von humanitären Hilfsstellen", teilte Gouverneur Oleh Synjehubow mit. Er warf der russischen Armee einen Angriff auf Zivilisten vor.
Russland verspricht sicheren Rückzug
Die russische Armee hat den ukrainischen Soldaten, die sich in einem Stahlwerk in Mariupol verschanzt haben, einen sicheren Rückzug im Fall einer Kapitulation zugesagt. Die russischen Streitkräfte hätten "einen humanitären Korridor" für die ukrainischen Soldaten und anderen Kämpfer eingerichtet, die "freiwillig ihre Waffen niedergelegt haben", teilte das russische Verteidigungsministerium mit.
Zuvor hatte Moskau den Einheiten in der seit Wochen umkämpften ukrainischen Hafenstadt erneut ein Ultimatum gestellt. Den Verteidigern von Mariupol werde "das Überleben garantiert", wenn sie ihre Waffen niederlegten.
Seit Beginn der Belagerung des strategisch wichtigen Hafens von Mariupol Anfang März hat Moskau die ukrainischen Streitkräfte wiederholt aufgefordert, die Waffen niederzulegen. In der vergangenen Woche ergaben sich dort mehr als tausend ukrainische Soldaten, doch mehrere hundert weitere verstecken sich nach Angaben von pro-russischen Separatisten noch immer im Stahlwerk der Asow-Stahl-Gruppe. Mariupol ist seit dem 1. März vollständig von russischen Truppen eingeschlossen und beinahe komplett erobert. In der weitgehend zerstörten Stadt sollen noch mehr als 100.000 Zivilisten ausharren.
Moskau weist 36 europäische Diplomaten aus
Als Antwort auf die Ausweisung Dutzender russischer Diplomaten hat Russland 21 Diplomaten aus Belgien und 15 aus den Niederlanden zu unerwünschten Personen erklärt, wie das Außenministerium in Moskau mitteilte. Sie müssen Russland innerhalb von zwei Wochen verlassen. Zuvor hatten die Niederlande 18 russische Diplomaten wegen des Vorwurfs der Spionage - auch mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine - ausgewiesen.
Auch Luxemburg wurde aus Protest gegen die Ausweisung eines russischen Diplomaten eine entsprechende Reaktion angekündigt. Von den Strafmaßnahmen sind auch vier Mitarbeiter der österreichischen Botschaft betroffen. Deutschland hatte Anfang April 40 russische Diplomaten zu "unerwünschten" Personen erklärt. Eine Reaktion darauf steht noch aus.
UN stellen sich auf sechs Millionen Bedürftige ein
Angesichts der schweren Angriffe wird die Lage für die Menschen in der Ukraine nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) immer schlimmer. Die UN-Organisation rechnet in dem Land inzwischen mit sechs Millionen Bedürftigen. Das WFP habe 60.000 Tonnen Lebensmittel bereitgestellt, was für zwei Millionen Menschen zwei Monate lang reiche.
Ein Drittel davon sei in der Ukraine eingekauft worden. Es gebe zwar Nahrungsmittel, aber die Menschen kämen entweder nicht zu Märkten, Feldern oder Geschäften oder sie hätten kein Geld. Fast fünf Millionen Menschen sind inzwischen ins Ausland geflohen, davon mindestens 360.000 Menschen nach Deutschland.
Gefangenenaustausch
Kiew berichtete unterdessen von einem weiteren Gefangenenaustausch. "Heute haben wir 60 Soldaten ausgetauscht, darunter zehn Offiziere", teilte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk mit. Darüber hinaus seien Kiew 16 Zivilisten übergeben worden. Wie viele Russen im Gegenzug ausgetauscht wurden, sagte sie nicht.
Russland beklagt Beschuss aus der Ukraine
Russische Behörden meldeten erneut einen Angriff auf eigenes Territorium, der vom Nachbarland aus erfolgt sei. Im Dorf Golowtschino in der Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine sei eine Frau verletzt worden, teilte der Gouverneur des Gebietes, Wjatscheslaw Gladkow, auf Telegram mit. Die ukrainischen Behörden wiesen die Vorwürfe zurück. Die Region grenzt an Charkiw.
Anfang April hatten nach russischen Angaben zwei ukrainische Kampfhubschrauber im Gebiet Belgorod ein Öllager beschossen und in Brand gesetzt. Die Ukraine hat das weder bestätigt noch dementiert. Russland drohte der Ukraine angesichts des Beschusses damit, in der Hauptstadt Kiew wieder verstärkt Kommandostellen für Raketenangriffe ins Visier zu nehmen.
Weitere US-Waffenlieferungen eingetroffen
Die ersten Waffenlieferungen aus dem neuen militärischen Hilfspaket der USA für die Ukraine sind an den Grenzen des Landes eingetroffen. Vier Flugzeuge hätten bereits am Sonntag militärisches Gerät für die Ukraine angeliefert, teilte ein hochrangiger Vertreter des Pentagons mit.
Das Weiße Haus hatte die neuen Militärhilfen im Volumen von 800 Millionen Dollar für den Kampf der ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Invasionstruppen am Mittwoch angekündigt. Zu dem neuem Hilfspaket gehören 200 gepanzerte Personentransporter vom Typ M113, elf Mi-17-Hubschrauber, 18 155-Millimeter-Haubitzen, 100 weitere Panzerfahrzeuge sowie Artilleriemunition.
Auszeichnung nach Gräueltaten in Butscha
Der russische Präsident Wladimir Putin hat Soldaten geehrt, die in der ukrainischen Stadt Butscha im Einsatz waren. Putin würdigte die 64. Motorschützenbrigade in Moskau für besondere Verdienste, Heldentum und Tapferkeit, wie der Kreml mitteilte.
Die Bilder getöteter ukrainischer Zivilisten aus der Vorortgemeinde der Hauptstadt Kiew hatten Anfang des Monats rund um die Welt für Entsetzen gesorgt. Insgesamt wurden in Butscha mehr als 400 Leichen gefunden, teils mit auf den Rücken gebundenen Händen.
Die Ukraine wirft den russischen Soldaten deshalb schwerste Kriegsverbrechen vor. Der ukrainische Geheimdienst sprach von "Massenmord", den die Armee begangen habe. Russland bestreitet, etwas mit den Gräueltaten zu tun zu haben. Inzwischen laufen internationale Ermittlungen.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
uh/ehl/gri/ack/jj/se (afp, rtr, dpa)