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KonflikteUkraine

Aktuell: Polizei geht brutal gegen Anti-Kriegs-Proteste vor

24. September 2022

Russische Sicherheitskräfte nehmen Hunderte Demonstranten fest. Die G7-Staaten verurteilen die "Referenden" in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine aufs Schärfste. Der Überblick.

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Russland | Russische Strafverfolgungsbeamte nehmen eine Person während einer Kundgebung fest
Festnahme in der russischen Hauptstadt MoskauBild: REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Hunderte Festnahmen bei Anti-Kriegs-Protesten
  • G7-Staaten verurteilen Scheinreferenden in Ukraine
  • Russland entlässt Vize-Verteidigungsminister
  • Selenskyj warnt vor Rekrutierung durch Russland
  • Finnland verschärft Einreiseregeln für Russen

 

Die russische Polizei ist mitunter brutal gegen Teilnehmer von Anti-Kriegs-Protesten vorgegangen. Allein in Moskau gab es bei einer Demonstration gegen die Teilmobilmachung in Russland für den Krieg in der Ukraine mehr als 100 Festnahmen. In St. Petersburg wurden in sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, die zeigen, wie Männer in Kampfuniform und mit Helm auf Demonstranten einknüppeln. Das Menschenrechtsportal OVD-Info berichtet unter Berufung auf Zeugen, die Sicherheitskräfte setzten Elektroschocker ein. Landesweit kamen demnach mehr als 700 Menschen in Gewahrsam.

Auch in Chabarowsk im äußersten Osten des Landes sowie in Nowosibirsk, Irkutsk, Tomsk und Tschita in Sibirien gingen zahlreiche Menschen auf die Straße. Einige hielten Plakate mit Aufschriften wie "Wir sind kein Fleisch" in die Höhe.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am vergangenen Mittwoch - sieben Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine - angeordnet, dass mutmaßlich 300.000 Reservisten in den Krieg ziehen müssen. Bei vielen Russen löste das Panik aus. Noch am selben Abend kam es zu Protesten in etwa 40 Städten.

Russland | Russlands stellvertretender Verteidigungsminister Dmitri Bulgakow
Offiziell auf einen anderen Posten versetzt: Vize-Verteidigungsminister Dmitri Bulgakow (Archivbild)Bild: Sergei Bobylev/TASS/dpa/picture alliance

Russland entlässt Vize-Verteidigungsminister

Genau sieben Monate nach Beginn des Krieges ist der russische Vize-Verteidigungsminister Dmitri Bulgakow seines Amtes enthoben worden. Offiziell begründete das Ministerium den Schritt mit der Versetzung des Politikers auf einen anderen Posten. Bulgakows Nachfolger soll Generaloberst Michail Misinzew werden, der bislang das nationale Zentrum für Verteidigungsmanagement leitete. Er soll künftig insbesondere für die Logistik der Armee zuständig sein

Misinzew ist auch im Ausland bereits bekannt. So wurde er für die schweren Angriffe auf die südukrainische Hafenstadt Mariupol verantwortlich gemacht, die Ende Mai von den Russen erobert worden war. Während der wochenlangen Belagerung wurden ukrainischen Angaben zufolge Tausende Zivilisten getötet und ein Großteil der Stadt zerstört. In Großbritannien steht Misinzew, der auch als "Schlächter von Mariupol" bezeichnet wird, deshalb auf einer Sanktionsliste.

Nach jüngsten Niederlagen war Russlands militärische Führung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu zuletzt auch in kremlnahen Kreisen in die Kritik geraten. Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven musste sich die russische Armee vor rund zwei Wochen aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw zurückziehen.

Ukraine, Luhansk | Start des Scheinreferendums
Mobile Wahlurnen für das Scheinreferendum in LuhanskBild: Dmitry Rogulin/TASS/dpa/picture alliance

"Klarer Bruch der UN-Charta" durch Russland

Die sieben führenden Industriestaaten des Westens (G7) haben das Vorgehen Moskaus in der Ukraine scharf verurteilt. Die Scheinreferenden in besetzten Gebieten dienten als "Vorwand", um den Status von souveränem ukrainischem Territorium zu verändern, das russischer Aggression zum Opfer gefallen sei, betonten die Staats- und Regierungschefs in einer gemeinsamen Erklärung. Das sei "ein klarer Bruch der Charta der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts". Die am Freitag von Russland und seinen Stellvertretern begonnenen Scheinreferenden hätten keinerlei Legitimität, so die G7.

Russland missachte die "demokratischen Normen" mit seiner "offenen Einschüchterung der örtlichen Bevölkerung". Die Abstimmungen spiegelten nicht den Willen des ukrainischen Volkes wider, das sich beständig den russischen Versuchen widersetzt habe, Grenzen mit Gewalt zu ändern. "Wir werden diese Referenden niemals anerkennen", versicherten die Staats- und Regierungschefs. Auch eine zu erwartende Annexion der Gebiete werde man niemals akzeptieren. 

Die G7-Staaten bedauerten zudem die weitere Eskalation des Konflikts, einschließlich der angeordneten Teilmobilmachung und der "unverantwortlichen Atomrhetorik" Russlands. Man sei bereit, weitere wirtschaftliche Sanktionen gegen Einzelne und Gruppen zu verhängen, die Russlands illegale Aktivitäten unterstützten.

Die G7 stünden zu ihrem Versprechen, der Ukraine jegliche militärische, finanzielle und humanitäre Unterstützung zu geben, die sie zur Verteidigung ihrer Souveränität und territorialen Einheit brauche, hieß es weiter. Dazu gehöre auch Hilfe beim Wiederaufbau des Landes, um die es unter anderem bei einer internationalen Expertenkonferenz in Berlin am 25. Oktober gehen werde. "Wir werden der Ukraine beistehen, solange dies nötig ist." Der G7 gehören neben Deutschland die USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan an.

UN-Sicherheitsrat tagt zu Scheinreferenden

Der UN-Sicherheitsrat in New York will sich am Dienstag auf Antrag der USA und Albaniens mit den Scheinreferenden in der Ostukraine befassen. Für die Vereinten Nationen soll die Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, sprechen. Die Ukraine hatte in einem Brief an den Rat eine entsprechende Sitzung verlangt. UN-Generalsekretär António Guterres hatte eine mögliche Annexion zuletzt als Verletzung des Völkerrechts bezeichnet.

Selenskyj: "Vermeiden Sie Einberufungen!"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte die Bürger in den besetzten Gebieten vor der Rekrutierung durch das russische Militär. "Verstecken Sie sich auf jeden Fall vor der russischen Mobilisierung. Vermeiden Sie Einberufungen", sagte Selenskyj in einer neuen Videoansprache. Wer schon von der russischen Armee eingezogen worden sei, solle deren Aktivitäten sabotieren und an Kiew melden, um dann so schnell wie möglich zu fliehen, fügte der 44-jährige Staatschef hinzu.

Ukraine | Präsident Wolodymyr Selenskyj
Wolodymyr Selenskyj meldet sich täglich zu WortBild: Ukrainian Presidency/Handout/AA/picture alliance

Nach Selenskyjs Angaben hat die ukrainische Armee seit Beginn ihrer Offensive 9000 Quadratkilometer zurückerobert und 400 Ortschaften befreit. Dies sei auch dank der Hilfe der örtlichen Bevölkerung gelungen, hob er hervor. Der Vormarsch habe Kiews Position während der UN-Vollversammlung gestärkt. "Die Ukraine hat gezeigt, dass nicht nur die Wahrheit mit uns ist, sondern auch die Stärke", meinte Selenskyj.

Michel verlangt UN-Suspendierung Russlands 

EU-Ratspräsident Charles Michel hat die Suspendierung Russlands aus dem UN-Sicherheitsrat gefordert. "Wenn ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates einen nicht provozierten und nicht zu rechtfertigenden Krieg auslöst, einen Krieg, der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilt wurde, sollte seine Suspendierung vom Sicherheitsrat meiner Meinung nach automatisch erfolgen", sagte Michel bei der UN-Generalversammlung in New York. Faktisch ist es allerdings nicht möglich, Entscheidungsprozesse in dem mächtigsten UN-Gremium gegen den Willen einer Vetomacht wie Russland durchzusetzen.

UN-Vollversammlung | Charles Michel
Charles Michel bei seiner Rede vor der UN-VollversammlungBild: Julia Nikhinson/AP/dpa/picture alliance

Ein robustes multilaterales System setze gegenseitiges Vertrauen voraus, so Michel weiter. Das aktuelle System sei jedoch nicht ausreichend integrativ und repräsentativ. "Der Gebrauch des Vetorechts sollte die Ausnahme sein, wird aber zur Regel. Eine Reform ist dringend erforderlich", betonte der Belgier. Der für 2024 geplante UN-Zukunftsgipfel sei eine "historische Gelegenheit", um solch radikale Änderungen vorzunehmen.

Kein Treffen von Baerbock und Lawrow in New York

Ein anvisiertes Treffen zwischen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und dem russischen Chefdiplomaten Sergej Lawrow in New York ist geplatzt. "Nachdem sie ihre Anfragen zu Verhandlungen mit Sergej Lawrow am Rande der UN-Vollversammlung gestellt und von der russischen Seite einen Terminvorschlag bekommen haben, sind die EU-Delegationen vom Radar verschwunden", kritisierte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Dabei bezog sie sich offenbar auch auf ein angebahntes Gespräch zwischen Baerbock und Lawrow.

USA, New York | Sitzung des UN Sicherheitsrat | Außenministerin Annalena Baerbock
Annalena Baerbock diese Woche im UN-SicherheitsratBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Diplomatische Eiszeit zwischen Ukraine und Iran

Die ukrainische Regierung hat dem iranischen Botschafter in Kiew wegen des Vorwurfs der Lieferung von Kampfdrohnen an Russland die Akkreditierung entzogen. Damit kann er seinen Verpflichtungen im Gastland nicht mehr nachkommen und muss der diplomatischen Praxis folgend wohl nach Teheran zurückkehren. "Daneben wird die Zahl des diplomatischen Personals der iranischen Botschaft in Kiew erheblich reduziert", heißt es in einer Erklärung des ukrainischen Außenministeriums.

Ukraine | Iranische Botschaft in Kiew
Die iranische Botschaft in Kiew (Archivfoto)Bild: Mohammad Javad Abjoushak/SOPA Images/ZUMA/picture alliance

Erst Stunden zuvor war in der Hafenstadt Odessa ein Mensch durch einen Drohnenangriff getötet worden. Ende August hatte der US-Geheimdienst darüber berichtet, dass Russland iranische Drohnen angekauft habe, um sie in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine einzusetzen. Offiziell haben weder Moskau noch Teheran den Kauf bestätigt.

Ukraine beendet Exhumierungen bei Isjum

Die ukrainischen Behörden haben die Exhumierung der Leichen nahe der zurückeroberten Stadt Isjum abgeschlossen. Insgesamt seien 447 Leichen wieder ausgegraben worden, teilte die Staatsanwaltschaft der ostukrainischen Region Charkiw mit. Nach ihren Angaben handelt es sich um 425 Zivilisten, darunter fünf Kinder, sowie 22 ukrainische Soldaten. Nun würden alle notwendigen Schritte ergriffen, "um die Todesumstände zu klären und das russische Militär zu bestrafen", fügte die Staatsanwaltschaft hinzu.

"Die meisten (Leichname) weisen Anzeichen eines gewaltsamen Todes auf, 30 weisen Folterspuren auf", twitterte der Gouverneur von Charkiw, Oleg Synegubow. Es seien Leichen mit Strick um den Hals, mit gefesselten Händen, mit gebrochenen Gliedmaßen, amputierten Genitalien und Schusswunden gefunden worden.

Ukraine | Massengräber in Isjum
Massengräber bei Isjum in der Provinz Charkiw (Aufnahme vom 16. September)Bild: kyodo/dpa/picture alliance

Finnland verschärft Einreiseregeln für Russen

Finnland will die Einreise ins Land für Russen deutlich beschränken. Russischen Staatsbürgern werde es nicht mehr möglich sein, "aus touristischen Gründen" einzureisen, sagte der finnische Außenminister Pekka Haavisto. Ins Land würden russische Bürger nur noch dann kommen können, wenn es "einen anderen Grund" für eine Einreise gebe.

Nach der Teilmobilmachung der Streitkräfte hatte sich die Zahl der Einreisen russischer Staatsbürger nach Finnland zuletzt verdoppelt.

Oppositioneller Nawalny muss erneut in Einzelhaft

Der inhaftierte Kremlkritiker Alexej Nawalny ist nach Kritik an Präsident Putin erneut in Einzelhaft verlegt worden. "Was ich zur Mobilisierung (der Armee) gesagt habe, hat nicht gefallen - also kriegst Du, Nawalny, zwölf Tage (Karzer)!", sagte der Oppositionelle dem Internetportal Mediazona zufolge während einer Gerichtsverhandlung. In einer Verhandlung zuvor hatte er dem Kremlchef vorgeworfen, "Hunderttausende in seine Verbrechen" zu verstricken, indem er sie in den Krieg gegen die Ukraine schicke.

Alexej Nawalny
Alexej Nawalny sitzt seit 2021 im Gefängnis (Archiv)Bild: Vladimir Kondrashov/AP/dpa/picture alliance

Nawalny wurde bereits wiederholt in der Isolierzelle eingeschlossen. Der 46-Jährige betonte, dass er sich davon nicht einschüchtern lasse. Am Freitag wiederholte er seine Vorwürfe gegen den russischen Staatschef. "Putin fesselt Hunderttausende mit Blut, seinen Mobilmachungen und 'Referenden'", kritisierte Nawalny. Nach Angaben von Amnesty International wird dem Oppositionellen, der wegen angeblichen Betrugs zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, unter anderem der vertrauliche Austausch mit seinem Anwalt verweigert.

jj/kle/wa/ack (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.