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Konflikte

Aktuell: Scholz wirft Putin Imperialismus vor

1. Mai 2022

Der Kanzler geht auf einer DGB-Kundgebung mit Moskau hart in Gericht. Außenministerin Baerbock verlangt den Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine. Am Azov-Stahlwerk läuft eine Evakuierungsaktion. Ein Überblick.

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Düsseldorf | 1. Mai - Gewerkschaftskundgebung – Olaf Scholz
Der Kanzler musste sich in Düsseldorf mit lauter Stimme gegen kritische Kundgebungsteilnehmer durchsetzenBild: David Young/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Scholz verspricht Ukraine weitere militärische Unterstützung
  • Ukrainischer Botschafter will modernste Waffen von Deutschland 
  • Nancy Pelosi überraschend in Kiew 
  • Bis zu 100 Menschen können Stahlwerk in Mariupol verlassen
  • Hollywood-Star Jolie trifft Flüchtlinge in Westukraine

 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Russlands Präsident Wladimir Putin Imperialismus vorgeworfen. Die Ukraine sei von dem großen Nachbarn Russland angegriffen worden, "ein Land, das auch andere überfällt", sagte Scholz auf einer DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Düsseldorf. Es könne nicht sein, dass Russland versuche, mit Gewalt Grenzen zu verschieben. "Das ist Imperialismus. Das wollen wir in Europa nicht haben", fügte Scholz hinzu. "Wir werden nicht zulassen, dass mit Gewalt Grenzen verschoben und Territorien erobert werden." Russische Truppen waren bereits 2008 in Georgien einmarschiert und sind in der international nicht anerkannten Republik Transnistrien auf dem Gebiet der Republik Moldau stationiert.

Deshalb werde man die Ukraine weiter mit Geld, humanitärer Hilfe, aber auch mit Waffen unterstützen. Er respektiere jeden Pazifismus, sagte der SPD-Politiker auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Aber es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die Putin'sche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen", sagte Scholz. Er forderte Putin auf, die russischen Angriffe zu stoppen, die Truppen zurückzuziehen und die Unabhängigkeit der Ukraine zu respektieren.

Bei der DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Düsseldorf stieß Bundeskanzler Scholz auf teils heftige Kritik
Bei der DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Düsseldorf stieß Bundeskanzler Scholz auf teils heftige Kritik Bild: Piero Nigro/ aal.photo/IMAGO

Demonstranten titulieren Kanzler als "Kriegstreiber"

Scholz reagierte mit seinen Worten auch auf massive Störungen durch Demonstranten. Sein Auftritt wurde von Trillerpfeifen und lautstarken Sprechchören begleitet, in denen er als "Kriegstreiber" und "Lügner" bezeichnet wurde. Auch wurde immer wieder "Frieden schaffen ohne Waffen" skandiert.

Auch in der "Bild am Sonntag" hatte der Kanzler zuvor Kritik an seiner Ukraine-Politik zurückgewiesen. "Ich treffe meine Entscheidungen schnell - und abgestimmt mit unseren Verbündeten. Übereiltes Agieren und deutsche Alleingänge sind mir suspekt", sagte Scholz dem Blatt. Der Kanzler war wegen seines zurückhaltenden Kurses zuletzt immer mehr unter Druck geraten.

Annalena Baerbock spricht auf einer Veranstaltung der Grünen zur Landtagswahl am 8. Mai in Schleswig-Holstein
Außenministerin Annalena Baerbock am Samstag auf einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei in AhrensburgBild: Markus Scholz/dpa/picture alliance

Der Abzug aller russischen Soldaten aus der Ukraine ist für die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa und ein Ende der Sanktionen gegen Russland. "Ein Frieden zu Bedingungen, die Russland diktiert hat, würde weder der Ukraine noch uns in Europa die ersehnte Sicherheit bringen", sagte Baerbock der Zeitung "Bild am Sonntag". Schlimmstenfalls wäre dies eine Einladung zum nächsten Krieg – noch näher an deutschen Grenzen. 

Putin habe die Friedensordnung in Europa unwiederbringlich zertrümmert. Einen Weg zurück zu der Zeit vor dem 24. Februar gebe es nicht: "Auf Putins Zusagen allein können wir uns nie wieder verlassen." Deshalb müsse man der Ukraine jetzt helfen, den russischen Einmarsch abzuwehren und sich gegen zukünftige Angriffe zu schützen. "Erst wenn alle in Europa wieder einsehen, dass bei einem Krieg am Ende kein Land Sieger, sondern alle nur Verlierer sind, gibt es wieder echten Frieden," sagte Baerbock der Zeitung.  

Melnyk will modernste Waffen von Deutschland

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, fordert weiter modernste deutsche Waffen für den Abwehrkampf der Ukraine gegen die russische Armee. Die zugesagten Gepard-Panzer seien schon  40 Jahre alt, beklagte er in der "Bild am Sonntag". Doch um Russland zu besiegen, "brauchen wir  modernste deutsche Waffen". Konkret nannte er die zügige Ausfuhr von 88 Leopard-Panzern, 100 Marder-Panzern, Panzerhaubitzen "und vielem mehr".

Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine, in Berlin
Botschafter Andrij Melnyk ist nach wie vor mit den Waffenlieferungen Deutschlands unzufriedenBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Die Befürchtung, durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei zu werden, bezeichnete Melnyk "als völligen Quatsch". Für Putin sei Deutschland längst Kriegspartei. Wer eine Ausweitung seines Kriegs verhindern möchte, "muss uns jetzt helfen, Putin in die Schranken zu weisen".

Merz kündigt Reise nach Kiew an

Im Gegensatz zu Kanzler Scholz will Oppositionsführer Friedrich Merz zeitnah in die ukrainische Hauptstadt Kiew reisen - laut Medienberichten schon am Montagabend. Die deutschen Christdemokraten verbreiteten auf Twitter eine Nachricht von Merz' Stabschef Jacob Schrot, in der dieser ohne Nennung eines Datums schrieb: "In der Tat ist eine Reise von Friedrich Merz in die Ukraine geplant." Merz wolle signalisieren, dass die Ukraine in ihrem Freiheitskampf nicht allein stehe, sondern Deutschland an ihrer Seite habe.

Nancy Pelosi in Kiew

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat unangekündigt Kiew besucht und dort mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Sie wolle den Ukrainern "für ihren Kampf für die Freiheit" danken, sagte Pelosi laut einem von der ukrainischen Präsidentschaft veröffentlichten Video. "Wir versprechen, für Sie da zu sein, bis der Kampf beendet ist."

Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses bekräftigte in einer Erklärung zudem, "dass weitere US-Hilfe auf dem Weg" sei. Es werde in Washington gerade daran gearbeitet, die von Präsident Joe Biden beim Kongress beantragte zusätzliche Unterstützung von 33 Milliarden Dollar (rund 31 Milliarden Euro) für die Ukraine im Krieg gegen Russland umzusetzen. Selenskyj seinerseits dankte den USA auf Twitter für ihren Beitrag "zum Schutz der Souveränität und Integrität unseres Staates". 

Bewohner aus der Gegend um das Azov-Stahlwerk treffen im ​​​​Dorf Bezymennoje in der sogenannten Volksrepublik Donezk ein
Bewohner aus der Gegend des Azov-Stahlwerks treffen im ​​​​Dorf Bezymennoje in der Region Donezk ein Bild: Alexander Ermochenko/REUTERS

UN, Kiew und Moskau bestätigen Evakuierungsaktion in Mariupol 

Im belagerten Mariupol läuft nach Angaben der Vereinten Nationen eine Evakuierungsaktion zur Rettung von im Azov-Stahlwerk festsitzenden ukrainischen Zivilisten. Der Einsatz erfolge in Koordination mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und den Konfliktparteien Russland und Ukraine, teilte ein UN-Sprecher in Genf mit. Demnach war ein Konvoi zur Rettung der Zivilisten am Freitag gestartet und hatte am Samstagmorgen die von den russischen Truppen eingekesselte Hafenstadt erreicht. Nähere Angaben zu der Aktion könnten aus Sicherheitsgründen nicht gemacht werden.

Ukraine-Konflikt I Flucht und Evakuierung aus Mariupol
Von den Strapazen gezeichnet: Eine Mutter und ihre Kinder aus Mariupol in einem Aufnahmezentrum in BesimenneBild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Die Initiative wurde inzwischen auch vom ukrainischen Staatschef Selenskyj bestätigt. Seine Angaben zufolge sind bereits rund 100 Zivilisten auf dem Weg in die ukrainische Stadt Saporischschja. Sie seien zunächst in Bussen in ein Aufnahmezentrum im Dorf Besimenne in der von Russland beherrschten Donezk-Region gefahren worden. Am Montag würden sie dann nach Saporischschja gebracht. Die Hoffnungen ruhen darauf, dass dies der Beginn einer größeren Aktion sein könnte.

Das russische Verteidigungsministerium teilte hingegen mit, es seien bislang etwa 80 Menschen herausgebracht worden. Die Aktion habe auf Initiative Putins stattgefunden. Ukrainischen Angaben zufolge sollen in den Bunkeranlagen des Stahlwerks insgesamt rund 1000 Zivilisten Zuflucht gesucht haben. Russland wiederum spricht von rund 2500 ukrainischen Kämpfern und ausländischen Söldnern, die sich dort ebenfalls verschanzt haben sollen. 

Ukrainische Sabotageakte in Russland?

In einer zum russischen Verteidigungsministerium gehörenden Anlage nahe der ukrainischen Grenze ist nach Behördenangaben ein Feuer ausgebrochen. Bei dem Brand in der Region Belgorod sei ein Mensch leicht verletzt worden, teilten die Behörden mit. In der ebenfalls nahe der Grenze zur Ukraine gelegenen russischen Region Kursk brach derweil eine Brücke einer für den Güterverkehr genutzten Bahnstrecke ein. Es handele sich um "Sabotage", schrieb Regionalgouverneur Roman Starowojt. 

In den vergangenen Wochen hatte es eine ganze Reihe von Bränden in militärischen Anlagen, Waffenlagern und Treibstoffdepots in Russland gegeben. Russland beschuldigte die ukrainischen Streitkräfte bereits mehrfach, Angriffe auf russischem Gebiet verübt zu haben.

WFP: Millionen Tonnen Getreide in Ukraine blockiert

Millionen Tonnen dringend benötigter Lebensmittel in der Ukraine können derzeit nicht genutzt werden. "Derzeit sitzen knapp 4,5 Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Häfen und auf Schiffen fest", sagte der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Deutschland, Martin Frick, der Deutschen Presse-Agentur. Probleme bei der Ausfuhr der Lebensmittel gibt es derzeit unter  anderem, weil Häfen und Seewege im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine blockiert sind.

Die Ukraine war bis Kriegsbeginn einer der weltweit wichtigsten Erzeuger von Weizen sowie ein großer Mais-Produzent. UN-Angaben zufolge wurden 2020 beispielsweise gut 30 Millionen Tonnen Mais und  knapp 25 Millionen Tonnen Weizen in dem Land geerntet. Viele Länder, etwa in Nordafrika, sind abhängig von günstigem Weizen aus der Ukraine. "Die Nahrungsmittel der Ukraine werden in der Welt  dringend benötigt", so Frick.

Viele Haushalte ohne Gasversorgung

Der Vorstandschef des größten ukrainischen Energieversorgers, Naftogaz, Yuriy Vitrenko, beklagt massive Schäden am Gasleitungsnetz seines Landes durch russische Truppen. "Täglich gibt es durch Bombardements neue Zerstörungen an der Infrastruktur, die wir ständig versuchen zu reparieren", sagte Vitrenko dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Nach seinen Angaben sind "213.000 ukrainische Haushalte derzeit ohne Gas". Es gebe gewaltige Schäden am Gasnetz in Metropolen wie etwa Mariupol oder Charkiw, aber auch viele zerstörte Leitungen in den kleineren Städten und Dörfern in der Ostukraine. "Die Menschen brauchen das Gas für die Heizung, zum Kochen und für warmes Wasser", sagte Vitrenko.

Ukraine Jurij Vitrenko, Chef des ukrainischen Staatsunternehmens "Naftohas Ukrainy"
Der Vorstandschef des größten ukrainischen Energieversorgers, Naftogaz, Yuriy VitrenkoBild: DW

Außenminister Kuleba bittet China um Sicherheitsgarantien

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat China um Schutzgarantien gebeten und Russland scharf kritisiert. "Die Ukraine prüft derzeit die Möglichkeit, Sicherheitsgarantien von ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, einschließlich China, und anderen Großmächten zu erhalten", sagte Kuleba der Nachrichtenagentur Xinhua. "Dies ist ein Zeichen unseres Respekts und Vertrauens in die Volksrepublik China." Die dortigen Staatsmedien veröffentlichten das Interview. Kuleba warf Moskau vor, mit dem Krieg gegen die Ukraine Chinas Infrastruktur-Initiative der "Neuen Seidenstraße" und die chinesische Wirtschaft zu gefährden. 

Peking hatte der Ukraine 2013 zugesagt, ihr beizustehen, sollte sie angegriffen oder mit Atomwaffen bedroht werden. Seit Russlands Invasion hält sich die chinesische Führung jedoch bedeckt. Die Regierung in Peking hat den russischen Angriff auf die Ukraine nicht offiziell verurteilt und stattdessen wiederholt den USA und der NATO vorgeworfen, Russland zu provozieren und den Konflikt durch Waffenlieferungen an die Ukraine anzuheizen.

Johnson und Blinken sagen weitere Hilfen zu

Der britische Premierminister Boris Johnson hat dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj seine Unterstützung versichert. Der Premier sei mehr denn je bestrebt, der Ukraine unter die Arme zu greifen, sagte ein Sprecher Johnsons nach einem Telefonat der beiden Politiker. Johnson wolle weitere zusätzliche militärische Hilfe leisten, damit die Ukraine sich selbst verteidigen könne. Johnson habe dem Land auch zusätzliche wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung angeboten.

Großbritanien I Boris Johnson
Solidarisch: Boris Johnson in LondonBild: Rob Pinney/Pool/AP/picture alliance

US-Außenminister Antony Blinken bekräftigte ebenfalls die weitere "robuste Unterstützung" Washingtons für die Ukraine. In einem Gespräch informierte er seinen ukrainischen Kollegen Kuleba außerdem über die Rückkehr von US-Diplomaten nach Lwiw in der kommenden Woche und baldmöglichst auch nach Kiew.

Jolie stattet Lwiw Überraschungsbesuch ab

Inmitten des russischen Angriffskriegs ist die Hollywood-Schauspielerin und UNHCR-Sonderbotschafterin Angelina Jolie in die Westukraine gereist, um dort geflüchtete Menschen zu treffen. Jolie habe unter anderem in einem Krankenhaus Kinder besucht, die vor rund drei Wochen bei einem Raketenangriff auf den Bahnhof im ostukrainischen Kramatorsk verletzt wurden, teilte die Verwaltung des Gebiets Lwiw mit.

Angelina Jolie im westukrainischen Lwiw
Unerwartet: Angelina Jolie (r.) im westukrainischen LwiwBild: VEduard Tomilchenko/AP/picture alliance

Fotos zeigen, wie die 46-Jährige Kinder in den Arm nimmt und Selfies mit medizinischem Personal macht. "Für uns alle war der Besuch unerwartet", sagte Gouverneur Maxym Kosyzkyj. Viele Menschen hätten ihren Augen nicht getraut. In einem Video war außerdem zu sehen, wie Jolie während eines Luftalarms in einen Luftschutzkeller eilt.

sti/qu/se/kle/wa/rb (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.