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KonflikteUkraine

Ukraine aktuell: Selenskyj will Chinas Einfluss nutzen

27. April 2023

Der ukrainische Präsident will den Dialog mit China fortsetzen. Litauens Präsident Nauseda vermisst eine klare Haltung Pekings zum Krieg in der Ukraine. Nachrichten im Überblick.

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Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache Bild: president.gov.ua

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj spricht von "vernünftigem" Gespräch mit Chinas Staatschef Xi
  • Litauens Präsident Nauseda fordert klare Haltung Chinas  
  • Über 1000 Russen vor Gericht wegen Fahnenflucht und Verweigerung
  • Britischer Geheimdienst: Vorbereitungen für Kämpfe am AKW 
  • Ukrainischer Reporter wird von Scharfschützen erschossen

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sein Telefonat mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping als "langes und ziemlich vernünftiges Gespräch" bezeichnet. Die beiden Politiker hatten am Mittwoch erstmals seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fast eine Stunde lang miteinander gesprochen. "Nun besteht die Möglichkeit, unseren ukrainisch-chinesischen Beziehungen neue Impulse zu verleihen", sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. "Es besteht die Möglichkeit, Chinas politischen Einfluss zu nutzen, um die Prinzipien und Regeln, auf denen Frieden basieren sollte, wieder zu stärken."

China sei - ebenso wie die Ukraine und die Mehrheit der Weltgemeinschaft - an der Stärke souveräner Nationen, deren territorialer Integrität sowie der Vermeidung atomarer Katastrophen interessiert, fügte Selenskyj hinzu. "Wir haben vereinbart, unsere Kommunikation fortzusetzen."

China hat die russische Invasion bis heute nicht verurteilt. In dem Telefonat kündigte Xi allerdings an, einen Gesandten in die Ukraine zu schicken, um in dem Konflikt eine "politische Einigung" zu erzielen.

Aus dem Kreml hieß es nach dem Telefonat zwischen Xi und Selenskyj, man begrüße alle Initiativen, die das Ende des Ukraine-Konflikts näherbringen könnten. Das Präsidialamt in Moskau betonte zugleich, dass man an den eigenen Plänen festhalte. Russland müsse die Ziele seiner sogenannten "speziellen Militäroperation" erreichen.

EU und Deutschland begrüßen Kommunikation

Die EU-Kommission in Brüssel hat das erste direkte Gespräch zwischen dem chinesischen Staatschef und dem ukrainischen Präsidenten begrüßt. "Es ist ein wichtiger, lange überfälliger Schritt von China in der Wahrnehmung seiner Verantwortung als Mitglied des UN-Sicherheitsrats", sagte ein Sprecher. Chinas Führung müsse "ihren Einfluss nutzen, um Russland zur Beendigung des Angriffskriegs zu bringen".

Als gutes Signal bewertete die Bundesregierung das Telefonat. China habe als ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrats eine "besondere Verantwortung zur Beendigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine", sagte ein Regierungssprecher in Berlin. 

Litauen Präsident Gitanas Nauseda
Litauens Präsident Gitanas Nauseda vermisst eine klare Positionierung Chinas Bild: Nina Haase/DW

Chinesische Haltung unklar

In einem Exklusivinterview der Deutschen Welle hob der litauische Präsident Gitanas Nauseda hervor, es sei zunächst wichtig zu wissen auf welcher Seite die Regierung in Peking stehe, ob "China auf der Seite Russlands stehe oder auf der Seite der internationalen, auf Regeln basierenden Ordnung", erläuterte  Nauseda.

Solange China zögere, dazu eine klare Position zu beziehen, sei es sehr schwer vorstellbar, dass das Land ein glaubwürdiger Moderator in diesem Konflikt sein könne. "Bis jetzt haben wir nichts von einer Verurteilung dieses Krieges durch China gesehen und gehört."

Nauseda hält sich zu Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin auf. Dabei geht es um die Unterstützung für die Ukraine sowie um den NATO-Gipfel im Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius. 

Über 1000 Russen vor Gericht wegen Fahnenflucht und Verweigerung

Seit Beginn der Mobilmachung in Russland im Herbst 2022 haben die Behörden einem Medienbericht zufolge mehr als 1000 Soldaten wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung von der Truppe oder Befehlsverweigerung angeklagt. "Stand letzte Aprilwoche sind 1064 Fälle bei Militärgerichten eingegangen", berichtete das unabhängige Portal Mediazona. Das Medium verweist darauf, dass die Strafen für solche Vergehen nach der Mobilmachung verschärft wurden. Insbesondere seit Anfang März lasse sich ein rapider Anstieg von Verfahren gegen unwillige Mobilisierte beobachten. Im März wurden demnach rund 400 solcher Fälle aufgerollt - die bisher vorliegenden Zahlen für April deuten auf ein ähnlich hohes Ergebnis hin.

Putins Russland: Woher kommt das JA zum Krieg?

In mehr als 90 Prozent der Fälle geht es laut Mediazona um das unerlaubte Entfernen von der Truppe. Zwar ist nur ein kleiner Teil der Urteile zugänglich, aber demnach werden die Rekruten von den Gerichten zumeist zu einer Bewährungsstrafe verurteilt - und können damit wieder an die Front versetzt werden. Russlands Präsident Wladimir Putin hat im Herbst 2022 eine Teilmobilmachung verkündet - obwohl er zu Beginn des von ihm befohlenen Angriffskriegs noch versprochen hatte, nur Freiwillige und Zeitsoldaten ins Nachbarland zu schicken. Vorausgegangen waren mehrere Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine.

Britischer Geheimdienst: Vorbereitungen für Kämpfe am AKW

Die russischen Besatzungstruppen in der Ukraine bereiten sich nach Einschätzung britischer Geheimdienstexperten auf Kämpfe am Atomkraftwerk Saporischschja vor. Auf Satellitenbildern sei zu sehen, dass auf den Dächern der Reaktoren teilweise Verteidigungsstellungen mit Sandsäcken errichtet wurden, heißt es im täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London.

Laptop mit täglichem GB-Geheimdienstbulletin
Tägliches Geheimdienstbulletin aus London im Internet: "Verteidigungsstellungen mit Sandsäcken am AKW"Bild: Arnd Riekmann

"Russland hat diese Stellungen wahrscheinlich errichtet, weil es zunehmend besorgt ist über die Aussicht auf eine große ukrainische Offensive", heißt es in der Mitteilung. Der Schritt erhöhe das Risiko von Schäden an dem Sicherheitssystem des Atomkraftwerks, sollten dort Kämpfe stattfinden. Katastrophale Schäden an den Reaktoren seien aber in den meisten plausiblen Szenarien mit Infanterie-Waffen unwahrscheinlich, da die Gebäudestrukturen sehr gut bewehrt seien.

Das Verteidigungsministerium in London veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Russland wirft Großbritannien eine Desinformationskampagne vor.

Stoltenberg drängt zu schnellerer Produktion

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Mitgliedstaaten des Verteidigungsbündnisses zu mehr Tempo beim Ausbau der Produktionskapazitäten für Waffen und Munition aufgefordert. Es gehe darum, weitreichender und rascher zu handeln, sagte der Norweger zum Auftakt einer zweitägigen Konferenz nationaler Rüstungsdirektoren in der NATO-Zentrale in Brüssel.

Jens Stoltenberg
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnt beim Ausbau der Produktionskapazitäten für Munition und Waffen zur Eile Bild: Heiko Becker/REUTERS

In einer Pressemitteilung der NATO hieß es, dies werde die Abschreckung und Verteidigung des Bündnisses verbessern und die weitere Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine ermöglichen.

Ukraine hat bereits 230 Panzer erhalten

Der Westen hat der Ukraine bereits 230 Panzer und mehr als 1550 gepanzerte Fahrzeuge für den Verteidigungskrieg gegen Russland geliefert. Dies entspreche mehr als 98 Prozent der Gefechtsfahrzeuge, die der Ukraine zuletzt über die internationale Kontaktgruppe zur Koordinierung von Militärhilfe zugesagt wurden, erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Rande eines Treffens mit dem luxemburgischen Regierungschef Xavier Bettel in Brüssel.

"Damit wird die Ukraine in eine starke Position versetzt, besetztes Territorium zurückzuerobern", fügte der Norweger hinzu. In naher Zukunft wird mit einer Frühjahrsoffensive der Ukraine gegen die russischen Truppen in dem Land gerechnet. Weiter sagte Stoltenberg, mittlerweile seien mehr als neun ukrainische Panzerbrigaden ausgebildet und ausgestattet worden. Sie bestehen jeweils aus mehreren Tausend ukrainischen Soldatinnen und Soldaten.

Deutschland | Kampfpanzer Leopard 2
Deutsche Kampfpanzer vom Typ "Leopard 2" wurden auch in die Ukraine geliefert (Archivbild)Bild: Peter Steffen/dpa/picture alliance

Zu den Fähigkeiten der russischen Streitkräfte sagte Stoltenberg, man dürfe diese niemals unterschätzen, weil sie versuchten, mangelnde Qualität durch Quantität auszugleichen. "Wir sehen, dass Russland weiter mehr Personal mobilisiert", sagte er. Bei den Kämpfen um die ukrainische Stadt Bachmut habe man zudem gesehen, dass Russland bereit sei, eine hohe Zahl an Toten und Verletzten in Kauf zu nehmen.

Ukrainischer Journalist Opfer eines Hinterhalts in Cherson

Ein ukrainischer Reporter, der für die italienische Tageszeitung "La Repubblica" arbeitete, ist in der Ukraine nach Angaben der Zeitung von Scharfschützen getötet worden. Er und ein italienischer Kollege, der Verletzungen erlitt, seien Opfer eines Hinterhalts russischer Scharfschützen in den Außenbezirken von Cherson geworden, teilte "La Repubblica" mit.

Beide Journalisten trugen nach Angaben der Zeitung kugelsichere Westen - mit dem Wort "Presse" markiert - und hatten viel Erfahrung in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg.

Russland hatte Cherson und Luhansk sowie zwei weitere ostukrainische Regionen im September 2022 für annektiert erklärt. Diese Regionen werden von den russischen Truppen aber nur teilweise kontrolliert.

Sanktionen gegen Kyrill I.

Als zweites EU-Land hat Tschechien offiziell Strafmaßnahmen gegen den orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill I. wegen dessen Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verhängt. Auf Vorschlag von Außenminister Jan Lipavsky erließ die tschechische Regierung ein Einreiseverbot gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt. Wie das Außenministerium in Prag weiter mitteilte, darf Kyrill I. auch keine Gelder aus dem Land erhalten.

Wladimir Putin mit dem Patriarchen von Moskau, Kyrill I.
Der Moskauer Patriarch Kyrill I. und der russische Staatschef Wladimir Putin (Archivfoto) Bild: Vasily Maximov/AP Photo/picture alliance

Lipavsky sagte, der Patriarch stehe auf der Sanktionsliste, "weil der Glaube nicht missbraucht werden darf, um die Gräueltaten zu rechtfertigen, die russische Soldaten in der Ukraine begehen". Der Minister sprach von mehr als 100 Seiten Beweisen wie etwa öffentliche Äußerungen.

Litauen, Großbritannien, Kanada und die Ukraine hatten bereits zuvor Kyrill I. auf ihre Sanktionsliste gesetzt. EU-weite Strafmaßnahmen gegen das Kirchenoberhaupt waren an einem Veto Ungarns gescheitert.

Studie: Ölpreisdeckel wird im großen Stil umgangen

Der von den G7- und weiteren Staaten eingeführte Preisdeckel für russisches Öl wird offenbar großflächig missachtet. Das berichtet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in Bezug auf eine Studie eines internationalen Forscher-Teams im Auftrag des Kiewer KSE-Instituts. Demnach wurden 95 Prozent der in den ersten drei Monaten des Jahres im russischen Exporthafen Kosmino verschifften Ölexporte zu einem Preis von über 60 Dollar pro Fass abgewickelt.

Der Durchschnittspreis habe bei 73 Euro gelegen. Das gehe aus einer Analyse umfangreicher Außenhandelsdaten hervor. Vom Pazifikhafen Kosmino aus werden vor allem asiatische Länder beliefert. In weiter westlich gelegenen Exporthäfen beobachteten die Forscher laut "Spiegel" hingegen, dass die Preisobergrenze weitgehend eingehalten werde.

Der Sanktionsmechanismus geht auf eine Initiative der sieben führenden westlichen Industrienationen (G7), der Europäischen Union sowie Australien zurück. Als Hebel zur Durchsetzung soll der Schiffstransport genutzt werden, der von Unternehmen aus diesen Ländern dominiert wird. Ihnen ist es untersagt, russisches Öl zu transportieren oder Tanker zu versichern, die Produkte zu Preisen oberhalb der vereinbarten Grenzen an Bord haben.

Den KSE-Forschern zufolge verfügen 51 Prozent der den Hafen Kosmino anlaufenden Schiffe entweder über einen Betreiber oder eine Versicherung aus G7-Staaten. Die Studienautoren plädieren dafür, den Preisdeckel deutlich zu senken.

se/mak/AR/jj/uh/kle (rtr, dpa, afp)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.