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PolitikEuropa

Ukraine: Kiew plant schon mit westlichen Kampfjets

4. Februar 2023

Die Entscheidung für westliche Kampfflugzeuge ist längst getroffen, sagen ukrainische Analysten. Im Moment gehe es nur noch darum, welcher Flugzeug-Typ das sein soll.

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Zwei Polnische Luftwaffe F-16 Kampfflugzeuge im Januar in der Luft
F-16-Kampfflugzeuge der polnischen Luftwaffe auf Patrouille über dem BaltikumBild: Lithuanian Ministry of National Defense/AP Photo/picture alliance

In der Ukraine sind Militäranalysten überzeugt, dass das Land schon in wenigen Monaten über westliche Maschinen verfügen wird. "Das Thema Kampfjets ist auf der Tagesordnung, und ich denke, die Lösung steht in den nächsten Monaten an", sagt der in Kiew bekannte Militäranalyst Taras Chmut im DW-Gespräch. Schon "in der zweiten Jahreshälfte, Richtung Jahresende, könnten sie vielleicht in der Ukraine sein".

Er gehe zu "99,8 Prozent" davon aus, dass "die politische Entscheidung" schon getroffen sei. Die praktische Umsetzung des Kampfjet-Plans liege für ihn schon jetzt "bei 70 Prozent": Also die Klärung von Fragen des Trainings ukrainischer Piloten und Bodenpersonal. Er ist überzeugt, dass die ukrainischen Militärs sich zügig an das "Überdenken der Einsatztaktik" machten, um eine moderne Kampfjet-Flotte in ihre Planungen zu integrieren.

Diskussion zur Verwirrung des Kreml

Zwar hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Interview mit der Zeitung "Der Tagesspiegel" geäußert, Kampfjet-Lieferungen stünden nicht auf der Tagesordnung. Tatsächlich könnte aber die Diskussion Kiews mit den mehr als 50 westlichen Unterstützer-Staaten der Ukraine-Kontaktgruppe unter Führung der USA zu diesem Thema schon weit gediehen sein - und die ukrainische Einschätzung näher an den tatsächlichen Planungen liegen, als die öffentliche Debatte im Westen, vor allem in Deutschland, glauben macht.  

Drei Feuerwehrmänner gehen durch zerstörtes Haus, im Hintergrund glimmt noch ein Feuer
Zerstörung in der südukrainischen Stadt Cherson nach russischem Raketenangriff Ende Januar Bild: GENYA SAVILOV/AFP/Getty Images

Bei den Kampfjets "handelt es sich um Waffen mit einem deutlich größeren strategischen Potenzial, die den Kriegsverlauf wesentlich mehr als Panzer beeinflussen können", glaubt der Kiewer Militärexperte Chmut. Mitte Februar soll sich die Ukraine-Kontaktgruppe erneut auf dem US-Militärstützpunkt im deutschen Ramstein treffen. "Die Arbeiten zur Beschaffung von F-16-Kampfflugzeugen gehen weiter", schrieb Andrij Jermak, der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, bereits Ende Januar, gut eine Woche nach dem letzten Ramstein-Treffen. "Wir haben positive Signale aus Polen, das bereit ist, sie uns in Abstimmung mit der NATO zu überlassen."

Dass US-Präsident Joe Biden zuletzt auf die Frage einer Journalistin, ob die USA F16-Kampfjets an die Ukraine abgeben würden, mit einem "Nein" antwortete, ordnet die "New York Times" schon als "Playbook" ein, also als ein bekanntes Muster: Erst fragt demnach die Ukraine öffentlich nach modernem westlichen Militärgerät, das von der Biden-Administration zunächst abgelehnt wird. Diese schlägt dann im Stillen vor, dass die Ukraine den gleichen Waffentyp viel schneller von den europäischen Verbündeten erhalten könnte. Dann ginge es in öffentlichen Stellungnahmen hin und her, bis sich schließlich in Washington die Tore für weitere Waffensysteme öffneten. Ein öffentlich aufgeführtes mediales Theater also, das womöglich vor allem dazu beitragen soll, die russischen Angreifer und den Kreml zu verwirren. 

US-Denkfabrik kritisiert deutsches Zögern

Dabei haben die monatelangen Diskussionen um die Lieferung westlicher Kampfpanzer wie des Leopard 2 aus deutscher Produktion die Entscheidung für westliche Kampfjets für die Ukraine jetzt womöglich sogar beschleunigt. An der Front im Osten und Süden der Ukraine hat die russische Armee gleich an mehreren Stellen Offensiven gestartet, um die Initiative im Kriegsgeschehen zurückzugewinnen. Die ukrainische Armee ist anders als nach den erfolgreichen Rückeroberungen bis zum Spätsommer vergangenes Jahr jetzt wieder unter Druck. In Washington fällt das Urteil über die monatelange Zurückhaltung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz kritisch aus.

"Die ständigen Verzögerungen bei der Bereitstellung von westlichem Material, wenn sich abzeichnete, dass es benötigt wird oder bald benötigt werden würde, haben zur Verlängerung des Konflikts beigetragen", schrieb Ende Januar das Institute for the Study of War (ISW).

Zwar seien die im Januar gemachten Zusagen für Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge wichtig "für weitere Gegenoffensiven". Aber die Verzögerungen "bei der Erteilung dieser Zusagen haben die Ukraine möglicherweise um die Chance einer Gegenoffensive in diesem Winter gebracht". Und der deutsche Ukraine-Experte Nico Lange von der Münchener Sicherheitskonferenz schreibt in seinem aktuellen Blog zur militärischen Lage in der Ukraine von einer "verpassten Chance für die Ukraine". Russland habe "Zeit bekommen, die Truppendichte zu erhöhen, Verteidigungsstellungen zu befestigen und neue Truppen auszubilden und heranzuführen", so Lange. "Russlands Angriffe könnten im schlechtesten Fall dazu führen, dass die Ukraine zu wenige Reserven zurückbehält und zu wenig Zeit für die Übung mit verbundenen Waffen und eine bestmögliche Vorbereitung der Gegenangriffe hätte." 

Wie stark die russischen Streitkräfte die russischen Linien in der Ukraine mittlerweile entlang der Front verstärkt haben, zeigt eine Karte der US-Denkfabrik American Enterprise Institute. 

Gleichzeitig haben die Unterstützer-Staaten der Ukraine unter US-Führung bereits bei ihrem letzten Ramstein-Treffen im Januar einen qualitativ großen Sprung in der Qualität der zugesagten Waffen gemacht. Vor allem mit der Lieferzusage für die GLSDB-Rakete (Ground-Launched Small Diameter Bomb) der US-Firma Boeing und des schwedischen Saab-Konzerns. Die Waffe verfügt nach Hersteller-Angaben über eine Reichweite von 150 Kilometern und war erst im Herbst vergangenen Jahres und damit nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 überhaupt auf den Rüstungsmarkt gebracht worden. 

Kleine Kampfjet-Einheiten verteilt auf die Ukraine?

In London hatte die renommierte Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI), das die britischen Streitkräfte berät, bereits Anfang November, und damit zur Hochphase der westlichen Kampfpanzer-Diskussion, Kampfjets für die Ukraine gefordert. "Die ukrainische Luftwaffe braucht moderne westliche Kampfflugzeuge und Raketen", um die russische Luftwaffe auf Distanz zu halten. Dabei würde bereits "eine kleine Anzahl westlicher Kampfflugzeuge eine große abschreckende Wirkung haben", schreibt der Militärexperte Justin Bronk. RUSI empfiehlt die Verteilung westlicher Kampfjets in kleinen Teams in der Ukraine. "Jedes westliche Kampfflugzeug, das kurz- bis mittelfristig geliefert wird, muss in der Lage sein, verstreut zu operieren, indem es mobile Wartungsgeräte und kleine Unterstützungsteams einsetzt und von relativ unwegsamen Start- und Landebahnen aus fliegt, um zu vermeiden, dass es durch russische Langstrecken-Raketenangriffe neutralisiert wird."

Kampfjet mit Leiter für den Piloten, im Hintergrund eine Gruppe Soldaten und hohe Bäume
Französischer Kampfjet Rafale: Präsident Macron schließt Lieferung an die Ukraine nicht ausBild: Michael Varaklas/AP Photo/picture alliance

Ende Januar hat der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Jurij Ihnat, in einem Interview mit dem französischen Fernsehen tief in die ukrainische Wunschliste blicken lassen. "Wir müssen bis zu fünf taktische Flugzeugbrigaden mit einem einzigen westlichen Mehrzweckflugzeugtyp aufstellen", sagt Ihnat in dem vor wenigen Tagen ausgestrahlten Gespräch. Im Moment gehe es lediglich noch darum, "welcher Typ das sein wird".

Mitarbeit: Iryna Ukhina