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PolitikEuropa

Konfrontation statt Deeskalation

Roman Goncharenko | Alexander Sawizkij
14. Januar 2022

Die Gespräche zwischen Russland und dem Westen brachten keine Entspannung im Konflikt um die Ukraine. Experten in Kiew rechnen mit einer Eskalation von russischer Seite. Die Führung in Moskau baut den Druck weiter auf.

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Vertreter der USA und Russlands in Genf
Vertreter der USA und Russlands in Genf Bild: Denis Balibouse/KEYSTONE/REUTERS/dpa/picture alliance

Mit der OSZE-Sitzung in Wien ging am Donnerstag die erste Verhandlungsrunde zwischen Russland und dem Westen zu Ende. Seit Wochenbeginn fanden Gespräche mit den USA und NATO in Genf und Brüssel statt, die Russland Ende 2021 überraschend initiierte hatte. Es ging um die Sicherheitspolitik in Europa und vor allem um eine NATO-Mitgliedschaft postsowjetischer Länder wie der Ukraine und Georgien.

Das westliche Verteidigungsbündnis hatte 2008 den beiden früheren Sowjetrepubliken eine Aufnahme in Aussicht gestellt, das Datum allerdings offengelassen. Russland will das verhindern und droht mit "militärtechnischen Maßnahmen", wie es Präsident Wladimir Putin formulierte.

Druckaufbau trotz Gesprächen

Die Zwischenbilanz: Keine Annäherung. Damit gibt es keine Entspannung im Konflikt um die Ukraine, an deren Grenzen Russland seit dem Spätherbst Truppen zusammengezogen hat. Die USA und die NATO lehnen den russischen Anspruch auf ein faktisches Veto-Recht für die Aufnahme neuer Mitglieder in die Allianz ab.

Formell wird es noch einige Tage dauern, bis die USA ihre Überlegungen aufschreiben und nach Moskau schicken. Weitere Gespräche sind vorerst nicht geplant. Die Regierung in Moskau verkündete mehrmals, dass es keine langen Diskussionen, sondern ein schnelles Ergebnis anstrebt. Eine Deadline gebe es aber nicht.

Russlands Präsident Putin: "Militärtechnische Maßnahmen"
Russlands Präsident Putin: "Militärtechnische Maßnahmen" Bild: Evgenia Novozhenina/REUTERS

Es war auf jeden Fall eine historische Woche, denn so viele Treffen in diversen Formaten in so kurzer Zeit hat es zwischen Moskau und dem Westen noch nie gegeben. Russland eskaliert auch rhetorisch, seine Top-Diplomaten vergleichen die aktuelle Lage mit der Kuba-Krise. Zu Beginn der Verhandlungen kündigte die Regierung in Moskau eine neue Militärübung an der ukrainischen Grenze an.

Auch die USA bauen eine Drohkulisse auf. Noch während der Verhandlungen in Brüssel wurde in Washington ein Gesetzentwurf vorgestellt, der für den Fall einer Eskalation in der Ukraine zum ersten Mal persönliche Sanktionen gegen Kremlchef Putin vorsehen.

Derbe Sprache russischer Diplomatie 

Noch vor Beginn der Gespräche fielen russische Diplomaten mit scharfen bis derben Sprüchen an die Adresse ihrer Gesprächspartner auf. So hat der Leiter der russischen Delegation in Genf, Sergej Rjabkow, der NATO in einem Interview empfohlen "ihren Kram zusammenzupacken und sich auf die Stellungen von 1997 zurückzuziehen".

1997 wurde den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Tschechien und Ungarn erstmals der Beitritt angeboten, später auch weiteren osteuropäischen Staaten. Russland fordert, dass die danach dort stationierten Truppen und Waffensysteme der NATO abgezogen werden. Später hieß aus russischen Verhandlungskreisen, man habe mit den Vertretern aus Washington seine Position "durchgekaut". Von "Engstirnigkeit" der Amerikaner war die Rede.

Spricht so jemand, der sein Gegenüber überzeugen möchte? War das ein Zeichen, dass die Regierung in Moskau nicht an den Erfolg der Verhandlungen glaubt? "Das Ultimatum, das Russland den USA und dem Westen gestellt hatte, hatte von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg", sagte der ehemalige stellvertretende Außenminister Russlands Georgij Kunadse der DW. Moskaus derbe Rhetorik sei eher für das Publikum zu Hause bestimmt. Scharfe Worte bedeuten allerdings nicht, dass nun bald geschossen werde, so Kunadse. 

Ehemaliger Botschafter von Fritsch: "Russland versucht maximalen Druck aufzubauen"
Ehemaliger Botschafter von Fritsch: "Russland versucht maximalen Druck aufzubauen"Bild: picture-alliance/dpa/Tass/A. Geodakyan

Ähnlich sieht es der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch. "Was wir gegenwärtig erleben ist eine starke Sprache als Teil eines doch sehr aggressiven Auftretens", so von Fritsch im DW-Interview. "Russland versucht damit maximalen Druck aufzubauen, um die gemeinsam vereinbarte, europäische Friedensordnung und ihre Regeln einseitig und zur Lasten Dritter zu verändern."

Eine weitere Eskalation sei nicht völlig auszuschließen, auch angesichts "der ungeheuren Erwartungshaltung für die Heimatfront" in Russland, die "schon Sorge" machen müsse, so der Diplomat. Die russische Führung werde sich überlegen müssen, wie sie aus der Situation wieder herauskomme. Von Fritsch glaubt nicht daran, dass auf starke Äußerungen zwingend ein militärischer Konflikt folgt: "Das muss man so nicht sehen. Das ist Teil einer Gesamtinszenierung".

Kiew will mehr Waffen vom Westen   

Anders wird die Lage von ukrainischen Experten bewertet. Nach dem faktischen Scheitern der Gespräche zwischen Russland und dem Westen rechnen sie mit einer neuen Eskalation. "Meine Prognose ist, dass Russlands nächster Schritt eine Eskalation sein wird", sagte der Außenpolitik-Experte Jewhen Mahda der DW. Die Ukraine solle darauf "gefasst" sein. Der frühere ukrainische Außenminister Wolodymyr Ohrysko forderte weitere Waffenlieferungen vom Westen.

Und welche Signale sendet Moskau? Alexander Gruschko, Leiter der russischen Delegation bei den Gesprächen mit der NATO, stellte eine Deeskalation nur bei Erfüllung bestimmter Bedingungen in Aussicht. Er nannte die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, ein Ende der Waffenlieferungen und keine Ausbildungsprogramme für die ukrainische Armee. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Ukraine und der Westen darauf eingehen würden, so Beobachter in Kiew.

Wie sich die Lage weiterentwickeln könnte, skizzierte der Kreml-nahe russische Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow in der Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta". Seine Einschätzung wirkt pessimistisch. Lukjanow beschreibt die Differenzen als "anscheinend unüberbrückbar".

Der Abstand in der Wahrnehmung zwischen Russland und dem Westen sei laut Lukjanow so groß, dass eine "neue und ziemlich gefährliche Eskalation gebraucht werde oder passieren könnte", um beide Seiten zu neuen Vereinbarungsformaten "zu zwingen". Was genau passieren könnte, sei noch unklar.

Leben an der Frontlinie im Donbass