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Politik

Aktuell: NATO-Beitrittsprotokolle für Finnland und Schweden

5. Juli 2022

Damit leiten die Botschafter der 30 NATO-Staaten in Brüssel den notwendigen Ratifizierungsprozess ein. Die Wiederaufbau-Konferenz in Lugano richtet Forderungen an die Ukraine. Ein Überblick.

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Nach der Unterzeichnung applaudieren die NATO-Botschafter, Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) und neben ihm die Außenministerin Schwedens,  Ann Linde, und der finnische Ressortchef Pekka Haavisto
Nach der Unterzeichnung applaudieren die NATO-Botschafter, Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) und neben ihm die Außenministerin Schwedens, Ann Linde, und der finnische Ressortchef Pekka Haavisto Bild: Wiktor Nummelin/TT NYHETSBYR?N/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • NATO startet Aufnahmeverfahren für Finnland und Schweden
  • Konferenz in Lugano umreißt Prinzipien für Wiederaufbau 
  • Deutschland rüstet sich für eventuellen Gasmangel
  • UN werfen beiden Kriegsparteien Misshandlungen vor
  • Russland macht Schritt in Richtung Kriegswirtschaft

 

Die Botschafter der 30 NATO-Staaten haben in Brüssel den Ratifizierungsprozess für den Beitritt Finnlands und Schwedens zur Allianz gestartet. "Die Unterzeichnung der Beitrittsprotokolle leitet den Ratifizierungsprozess in jedem der Mitgliedsländer ein", betonte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nach der Unterzeichnung der Beitrittsprotokolle müssen die 30 NATO-Mitgliedsstaaten noch die Beitritte billigen. 

Finnland und Schweden hatten im Mai wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine mit ihrer traditionellen militärischen Neutralität gebrochen und einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft gestellt. Die Aufnahme wurde dann vergangene Woche beim Gipfeltreffen in Madrid auf den Weg gebracht. Kurz vor Beginn des Treffens hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen wochenlangen Widerstand gegen einen Beitritt der beiden EU-Länder zu dem Bündnis aufgegeben. 

Sieben Prinzipien für Wiederaufbau der Ukraine

Die Ukraine hat sich mit internationalen Partnern auf sieben Prinzipien für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes geeinigt. "Dies ist der Beginn eines langen Prozesses", sagte der Schweizer Präsident Ignazio Cassis, Gastgeber der Konferenz mit rund 1000 Teilnehmern in Lugano im Kanton Tessin. In der Erklärung geht es um die Verpflichtung auf einen demokratischen Prozess, an dem die ganze Gesellschaft teil hat, die Einbindung privater Unternehmen, eine grüne Transformation hin zu einer CO2-freien Gesellschaft, eine digitalisierte Verwaltung und Aufbauprojekte frei von Vetternwirtschaft und Bereicherung.

Ernste Themen vor heiterer Kulisse: Die Teilnehmer der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz am Luganer See
Ernste Themen vor heiterer Kulisse: Die Teilnehmer der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz am Luganer See Bild: Alessandro della Valle/EDA/KEYSTONE/picture alliance

Der Wiederaufbauprozess muss transparent sein", heißt es in der Erklärung weiter. "Die Rechtsstaatlichkeit muss systematisch gestärkt und die Korruption beseitigt werden." Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal erklärte seinerseits, die Bevölkerung seines Landes wisse sich durch das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in den Sieg im von Russland begonnenen Krieg bestärkt.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze kündigte an, dass Deutschland 2024 eine weitere Konferenz zum Wiederaufbau ausrichten wolle. Es gehe in den kommenden Jahren um "Wiederaufbau, Erholung und Reformen" in der Ukraine, sagte die Ministerin. Auf dem Weg zu diesem Ziel wolle Deutschland 2024 die internationale "Ukraine Reform Conference" ausrichten.

Deutsche Regierung bereitet sich auf Engpass bei Gasversorgung vor

Die Bundesregierung rüstet sich mit Hochdruck für einen russischen Gas-Lieferstopp und für eine Rettung von Versorgungsunternehmen. Das Bundeskabinett billigte dafür den Entwurf eines reformierten Energie-Sicherungsgesetzes (Ensig), das der Regierung zahlreiche Optionen gibt, falls es zu einer Verschärfung der Gas-Krise kommen sollte. Dazu gehören auch Instrumente zur Stützung von angeschlagenen Versorgern wie Uniper bis hin zu einem staatlichen Einstieg.

Bundestag und Bundesrat sollen dem Ensig noch diese Woche zustimmen, was als sicher gilt. Damit kann das Gesetz noch vor der geplanten Sperrung der wichtigen Gas-Leitung Nordstream 1 beschlossen werden. Die Wartung der Pipeline ist ab 11. Juli für zehn Tage angesetzt. Es wird allerdings befürchtet, dass dies wegen der Spannungen mit Russland länger dauern könnte oder letztlich auch gar kein Gas mehr hindurchgeleitet wird. 

Berlin PK Wirtschaftsminister Habeck
Wirtschaftsminister Robert Habeck will den angeschlagenen Energiekonzern Uniper schützen, damit es nicht zu einem Dominoeffekt kommtBild: TOBIAS SCHWARZ/AFP

Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, er wolle einen Dominoeffekt durch die Probleme des Gasversorgers Uniper unbedingt verhindern. Sonst wären andere Firmen auch betroffen und die Versorgungssicherheit könnte womöglich gefährdet werden.

Finnland konfisziert 865 Güterwaggons russischer Firmen 

Finnland hat infolge der EU-Sanktionen fast 900 Güterwaggons russischer Unternehmen beschlagnahmt. Dies geht aus Schreiben der staatlichen finnischen Bahngesellschaft VR wie auch der russischen Staatsbahn hervor. Letzteres liegt der Nachrichtenagentur Reuters vor. In diesem auf den 6. Juni datierten Schreiben an das russische Verkehrsministerium ist von 865 beschlagnahmten Waggons die Rede. VR bestätigte, dass Waggons beschlagnahmt wurden, die russischen Behörden wollten sich nicht dazu äußern. Die beschlagnahmten Waggons gehören Unternehmen, die entweder direkt oder über Anteilseigner von den EU-Sanktionen betroffen sind.

UN beschuldigen beide Kriegsparteien

Sowohl ukrainische wie auch russische Truppen haben nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht verletzt. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet warf in Genf beiden Kriegsparteien vor, militärische Stellungen in die Nähe ziviler Gebäude zu legen und "menschliche Schutzschilde" zu benutzen.

Es gebe Folter und Misshandlung von Kriegsgefangenen, ohne dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen würden. Auch Fälle von Vergewaltigung und anderer sexualisierter Gewalt seien in russisch wie in ukrainisch kontrollierten Gebieten dokumentiert. Es bestünden "erhebliche Befürchtungen, dass Angriffe der russischen Streitkräfte nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar sind", sagte Bachelet. In einem "wesentlich geringeren Umfang" gelte dies auch für ukrainische Truppen im Osten des Landes.

Schweiz | UN Menschenrechtsrat | Michelle Bachelet
Die Tötungen, die Folter, die willkürlichen Festnahmen müssten aufhören, fordert Michelle BacheletBild: Valentin Flauraud/KEYSTONE/picture alliance

Bis zum 3. Juli verzeichnete das UN-Menschenrechtsbüro in Genf mehr als 10.000 getötete oder verletzte Zivilisten, hauptsächlich aufgrund des Einsatzes von Sprengwaffen in Wohngebieten. Die tatsächliche Zahlen lägen weitaus höher, betonte Bachelet.

Russland auf dem Weg zur Kriegswirtschaft

Mit zwei Gesetzentwürfen ebnet das russische Parlament den Weg für den Umbau einer auf den Krieg ausgerichteten Wirtschaft. Beide Entwürfe, die in erster Lesung gebilligt wurden, würden es der Regierung ermöglichen, die Unternehmen zu verpflichten, das Militär mit dringend benötigten Gütern zu beliefern. Die Mitarbeiter könnten zudem zu Überstunden und Urlaubsverzicht gezwungen werden, um den Krieg in der Ukraine zu unterstützen. Vize-Ministerpräsident Juri Borissow sagte in der Duma, die Maßnahmen seien nötig, um dem Militär in einer Zeit zu helfen, in der Russlands Wirtschaft unter "kolossalem Sanktionsdruck" des Westens stehe.

Um die Versorgung mit Waffen und Munition zu gewährleisten, müsse die Arbeit des militärisch-industriellen Sektors und der Firmen, die Teil der Kooperationsketten sind, optimiert werden. In einer beigefügten Erläuterung heißt es, das Militär benötige neue Materialien und Waffenreparaturen, um seinen Ukraine-Feldzug fortzusetzen. Dazu müsse die staatliche Beschaffung von Verteidigungsgütern organisiert werden. Beide Gesetzentwürfe müssen noch die zweite und dritte Lesung durchlaufen, vom Oberhaus geprüft und von Präsident Wladimir Putin unterzeichnet werden.

Duma verschärft Vorgehen gegen Medien  

Das russische Unterhaus hat die Gesetzgebung gegen ausländische und einheimische Medien weiter verschärft. Ein von der Duma in Moskau verabschiedetes Gesetz gibt dem Generalstaatsanwalt weitreichende Vollmachten: Sie können die Arbeit von ausländischen Medien in Russland einschränken oder untersagen, wenn deren Regierungen russische Medien "unfreundlich" behandeln. 

Blick in den Plenarsaal der Duma, des Unterhauses des Parlaments in Moskau
Blick in den Plenarsaal der Duma - des Unterhauses des Parlaments in Moskau Bild: Iranian Presidency/ZUMA/picture alliance/dpa

Das Gesetz ermöglicht der Staatsanwaltschaft zudem die sofortige Suspendierung russischer Medien, wenn diese Informationen verbreiten, die als unwahr eingestuft werden, an "Respekt gegenüber Gesellschaft oder Verfassung" mangeln oder die russischen Streitkräfte in Misskredit bringen. Ein Gericht muss nun nicht mehr vorher eingeschaltet werden. Die Verbreitung von "diskreditierenden Informationen über die russischen Streitkräfte" kann schon jetzt mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden. 

Die verschärften Regeln gegen ausländische Medien werden als Vergeltungsmaßnahme gegen entsprechende Verbote in westlichen Staaten dargestellt. So wurde in mehreren Staaten ein Sendeverbot gegen den russischen Staatssender Russia Today ausgesprochen, dem die Verbreitung von "Desinformation" durch den Kreml vorgeworfen wird.

Ex-Geheimdienstler Regierungschef von Region Cherson

Sergej Elisejew, ein früherer russischer Geheimdienstagent, ist zum Regierungschef der von Russland besetzten Region Cherson in der Südukraine ernannt worden. Dies teilte die Regionalverwaltung im Onlinedienst Telegram mit. Elisejew war bislang erster stellvertretender Regierungschef der russischen Exklave Kaliningrad. Der 51-Jährige ist Absolvent der Akademie des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB und war laut der Website der Region Kaliningrad in verschiedenen Funktionen für den Dienst tätig.

Regierungschef mit Geheimdienst-Vergangenheit: Sergej Elisejew steht nun der von Russland besetzten Region Cherson vor
Regierungschef mit Geheimdienst-Vergangenheit: Sergej Elisejew steht nun der von Russland besetzten Region Cherson vorBild: Valery Sharifulin/TASS/IMAGO

Die russische Armee hatte das an die annektierte Krim-Halbinsel grenzende Gebiet um die Stadt Cherson bereits kurz nach Beginn ihres Krieges gegen die Ukraine Ende Februar eingenommen. Seitdem wird die Region immer näher an Russland herangeführt. Es wurden russische Pässe ausgegeben und der russische Rubel wurde als Zahlungsmittel eingeführt. Ende Juni wurde zudem eine erste russische Bank eröffnet. 

Russische Grenzregionen wehklagen über Beschuss durch Ukraine 

Die beiden russischen Grenzregionen Brjansk und Kursk haben der ukrainischen Seite erneut Beschuss vorgeworfen. Der Brjansker Gouverneur Alexander Bogomas schrieb auf Telegram, das Dorf Sernowo sei mit Artillerie beschossen worden, verletzt worden sei niemand. Auch aus den betroffenen Kursker Dörfern gab es bisher keine Informationen über mögliche Opfer. 

Russland beklagt immer wieder Beschuss auch auf dem eigenen Staatsgebiet. Den bislang folgenschwersten Angriff auf russischem Gebiet gab es in der Nacht zum Sonntag in der Grenzregion Belgorod. Dabei starben vier Menschen.

Ukraine rüstet sich zur Verteidigung von Donezk

Seit der Eroberung der Stadt Lyssytschansk am vergangenen Wochenende kontrolliert Russland die gesamte Verwaltungsregion Luhansk - nun rüstet sich die Ukraine für die Verteidigung der von ihr kontrollierten Gebiete im Oblast Donezk. Teile beider Provinzen werden bereits seit 2014 von pro-russischen Separatisten kontrolliert; die vollständige Eroberung der beiden Oblasten ist ein erklärtes Kriegsziel des Kreml.

Ukraine Slovjansk Krieg Russland
Zerstörung in Slowjansk im Oblast Donezk, wo der russische Beschuss stärker wirdBild: Pavel Nemecek/dpa/CTK/picture alliance

Per Videobotschaft stimmte die Führung in Kiew Armee und Bevölkerung auf Durchhalten nach der Eroberung Lyssytschansks ein: "Das war der letzte Sieg für Russland auf ukrainischem Boden", sagte Präsidentenberater Oleksyj Arestowytsch in einem Online-Video. "Das waren mittelgroße Städte. Und dafür haben sie vom 4. April bis 4. Juli gebraucht; das sind 90 Tage. So viele Verluste..."

Neben der erwarteten Schlacht um Donezk hoffe die Ukraine auf Gegenoffensiven im Süden, sagte Arestowytsch. Russland könne seine gegenwärtig im Osten konzentrierten Truppen nicht so schnell dorthin verlagern: "Und es können keine weiteren Kräfte mehr von Russland zugeführt werden. Sie haben einen hohen Preis für Sjewjerodonezk und Lyssytschansk bezahlt."

sti/AR/ehl/uh/kle (dpa, afp, rtr)