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PolitikEuropa

Ukraine-Krieg: Selenskyj auf Werbeteour wider die Skepsis

11. Oktober 2024

Weil der Ukraine-Gipfel in Ramstein abgesagt wurde, wirbt der ukrainische Präsident Wolodynyr Selenskyj nun in europäischen Hauptstädten um mehr Unterstützung. Unter den Verbündeten wachsen Skepsis und Kriegsmüdigkeit.

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Zwei Männer geben sich die Hand, dahinter eine deutsche und eine ukrainische Flagge
Das jüngste Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (links) und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fand Ende September am Rande der UN-Vollversammlung in New York stattBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Selenskyj dürfte enttäuscht sein. Denn das ursprünglich für den 5. Oktober geplante, aber abgesagte Treffen der Ukraine-Unterstützer auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz war als starkes Symbol gedacht: Erstmals seit Kriegsbeginn wollten die Staats- und Regierungschefs selbst zusammenkommen, auf Einladung und in Anwesenheit von US-Präsident Joe Biden.

Ein Treffen kurz vor der US-Präsidentschaftswahl, deren Ausgang sich wohl auch auf die Ukraine-Unterstützung entscheidend ausgewirkt hätte. Doch Biden sagte wegen Wirbelsturms "Milton" kurzfristig ab. Was bleibt, sind nun einzelne Reisen des ukrainischen Präsidenten unter anderem nach Berlin, London, Paris, und Rom.

Selenskyj blitzt in Washington mit seinem "Siegesplan" ab

Einfacher wird es dadurch nicht für Selenskyj. In Washington hatte er schon seinen "Siegesplan" präsentiert, ohne auf große Begeisterung zu stoßen, auch weil der Plan offenbar wenig Neues enthält. US-Medienberichten zufolge hat Selenskyj erneut mehr Militärhilfe gefordert und um die Erlaubnis gebeten, weitreichende westliche Waffen auf Ziele in Russland abfeuern zu dürfen  was ihm in Washington verweigert wurde.

Bundeskanzler Olaf Scholz, der sonst bei solchen Entscheidungen gern im Gleichschritt mit Biden geht, hatte sogar gesagt, selbst wenn Biden grünes Licht dafür gäbe, käme das mit ihm nicht infrage: "Wir werden das nicht machen, und dafür haben wir gute Gründe."

Zwei Männer sitzen nebeneinander auf Sesseln hinter einem Blumenbouquet und vor einem Kamin, darüber Ölgemälde
Wolodymyr Selenskyj hat Joseph Biden schon im September seinen "Siegesplan" vorgelegt - Biden schien nicht recht überzeugtBild: Susan Walsh/dpa/AP/picture alliance

Selenskyj trifft mit seiner Bitte bei seinen wichtigsten Verbündeten auf Skepsis. "Man muss leider feststellen", sagt der Sicherheitsexperte Nico Lange der DW, "dass wir gerade in einer Phase sind, wo sehr viele Partner der Ukraine, insbesondere die großen Partner, nur immer wieder verkünden, was sie schon verkündet haben. Und die Dinge, die als Hilfe schon lange angekündigt sind, immer wieder neu verpacken. Aber es kommt weder in der Qualität noch in der Quantität jetzt entscheidend was hinzu."

Unentschiedene Kriegssituation 

Dabei scheint die Lage im Kriegsgebiet nicht gerade rosig für die Ukraine. Selbst ukrainische Militärs geben zu, dass die eigenen Streitkräfte sowohl an der Ost- wie Südfront stark unter Druck stehen. Nach einer Wende, wie noch vor wenigen Wochen mit dem ukrainischen Vorstoß auf das russische Gebiet Kursk, sieht es nicht mehr aus, im Gegenteil: Die ukrainische Armee befindet sich in der Defensive. Anfang Oktober teilte die Armeeführung mit, dass sie sich angesichts heftiger russischer Angriffe aus der seit Kriegsbeginn umkämpften Stadt Wuhledar im Osten des Landes zurückgezogen habe.

Angestrahltes zerstörtes Wohnhaus vor nächtlicher Kulisse
Der russische Beschuss ukrainischer Städte, wie hier Anfang Oktober in Charkiw, geht unvermindert weiterBild: Ukrainian National Police via AP/picture alliance

Nico Lange sieht die Situation etwas optimistischer: "Russland erreicht seine Ziele nicht, kommt zwar im Donbass voran, aber ist weit davon entfernt, den gesamten Donbass im Jahr 2024 einzunehmen. Russland hat auch das Gebiet Kursk nicht befreit. Es würden also gar nicht so viele Ressourcen benötigen, damit die Ukraine Russland unter Druck setzen kann." Leider fehle im Westen die Entschlossenheit und auch ein Plan, was genau das Ziel der Unterstützung sei. "Der Mythos, Russland wäre am Ende unendlich stark, hält sich leider in den Köpfen", klagt Lange.

Kriegsmüdigkeit und Angst wächst unter den Verbündeten

Unter den westlichen Verbündeten der Ukraine machen sich Kriegsmüdigkeit und Angst vor einer Konfrontation mit Russland breit. Das zeigt sich auch an den Wahlergebnissen in einigen europäischen Ländern. In Österreich zum Beispiel wurde Ende September die rechte FPÖ stärkste Partei. Sie lehnt sowohl die Ukraine-Unterstützung als auch die EU-Sanktionen gegen Russland ab.

In Deutschland bekamen bei drei Landtagswahlen im September Parteien deutliche Zuwächse, die ebenfalls die Waffenhilfe an die Ukraine beenden wollen: die rechteAlternative für Deutschland (AfD) und das neugegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das sich von der Linkspartei abgespalten hat.

Wahlplakat des BSW mit dem Spruch "Wir geben Frieden wieder eine Heimat"
Wahlplakat des Bündnis Sahra Wagenknecht: Das BSW wird für Koalitionen gebrauchtBild: dts/IMAGO

Das BSW wird voraussichtlich in allen drei Bundesländern gebraucht, um Regierungsmehrheiten ohne die AfD zusammenzubekommen. Diese Machtposition wirkt sich bereits aus, noch bevor Koalitionen mit dem BSW überhaupt gebildet sind: Führende Landespolitiker der konservativen CDU und der Sozialdemokraten fordern bereits die Bundesregierung auf, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen – entgegen der Linie ihrer Bundesparteien, die sich hinter die Ukraine-Unterstützung stellen.

Bundeskanzler Scholz versucht sich als Friedenskanzler

Allerdings hat sich auch Bundeskanzler Scholz von der SPD ein wenig der geänderten Stimmung angepasst. Öfter als noch vor einigen Monaten betont er jetzt, man müsse die Möglichkeiten für einen Frieden ausloten. Wie zum Beweis seiner Vermittlungsbereitschaft versuchte er kürzlich, mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu telefonieren, blitzte aber offenbar im Kreml ab.

Flugkörper in der Luft
Den deutschen Marschflugkörper Taurus verweigert Scholz der UkraineBild: Bundeswehr/dpa

Dass Scholz auf der anderen Seite der Ukraine weiterhin die dringend geforderten deutschen Taurus-Marschflugkörper verweigert, hält der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul für einen Fehler: "Für die Ukraine und für die europäische Sicherheit ist das mehr als bitter", schreibt Wadephul der DW. "Es ist überfällig, dass die Bundesregierung endlich weitreichende Waffen wie den Taurus liefert und der Ukraine vor allem und im Einklang mit dem Völkerrecht erlaubt, auch militärische Ziele auf russischem Boden zu bekämpfen, um sich effektiv verteidigen zu können. Die Partner erwarten hier von Deutschland Initiative und Führungsverantwortung."

US-Präsidentschaftswahl könnte als verändern

Noch wichtiger als das, was in Deutschland passiert, ist für die Ukraine aber die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA. Die USA sind der mit Abstand wichtigste militärische Unterstützer Kiews. Der Republikaner Donald Trump hat im Wahlkampf gesagt, die USA sollten "raus" aus der Ukraine, und er hat Selenskyj vorgeworfen, er widersetze sich einem "Deal" mit Putin, den Krieg zu beenden. Dagegen will die Demokratin Kamala Harris an der Ukraine-Unterstützung festhalten.

Zwei Gruppen von Männern sitzen sich gegenüber, dazwischen ein breiter Tisch
Donald Trump (rechts) und Wolodymyr Selenskyj (zweiter von links) trennt ein weiter Abstand, ein Treffen zwischen beiden hier im September im Trump Tower brachte sie auch nicht näherBild: Alex Kent/Getty Images

Doch was Trump bei einem Wahlsieg wirklich tun würde, wisse man nicht, meint Sicherheitsexperte Lange, weil Trump unberechenbar sei, und fügt hinzu: "Man kann es sich auch nicht so einfach machen und sagen, wenn Harris gewinnt, dann ist alles prima. Weil die Biden-Administration zwar an der Spitze der Unterstützung der Ukraine stand, aber auch für die Zögerlichkeit und Langsamkeit eine ganz große Verantwortung trägt."

Abgesagter Gipfel in Rammstein offenbart Schwäche Europas

In jedem Fall ist es allein schon ein negatives Symbol, dass nach Bidens Absage die Europäer einen Ukraine-Solidaritätsgipfel nicht selbst auf die Beine stellen können – oder wollen. Es zeigt, wie abhängig sie auch in dieser Frage von amerikanischer Führung sind. Der Gipfel mit Biden als Gastgeber in Ramstein soll nach amerikanischen Angaben nachgeholt werden. Fragt sich nur wann. Die Zeit ist knapp. Am 5. November wird in den USA gewählt.

Verabschieden sich die USA von Europa?

 

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik