Ukraine: Mit Haustier auf der Flucht
28. März 2022Vielleicht wird auch Luna die zwei Wochen der Flucht nicht vergessen: die hektische Abreise aus der hart umkämpften Millionenstadt Charkiw, die Zugfahrt in den voll besetzen Waggons im Arm der 21-jährigen Adana, mit den vier neugeborenen Katzen auf einer Kuscheldecke am Nebentisch, und die Ankunft in Köln nach den Stationen Polen und Hannover.
Jetzt wuselt Luna wie ein kleiner Wirbelwind durch die Wohnung im Kölner Norden, springt mit einem Riesensatz auf den Stuhl, wie ein Flummi zurück auf den Boden und von da aufs Sofa. Luna ist ein Jack Russell Terrier, gerade einmal sechs Monate alt. Für Adana, die mit ihrer Mutter und den zwei kleinen Brüdern aus der Ukraine geflohen ist, ist sie längst mehr als ein Hund - ein Lichtblick, Rettungsanker und Fels in der Brandung in düsteren Zeiten:
"Wenn wir wieder sehr traurig sind, spielen wir zusammen mit ihr. Luna sorgt dafür, dass wir uns alle sehr nah sind. Sie gibt und positive Gefühle und hilft uns, schlechte Emotionen zu verarbeiten."
Haustiere als Seelentröster für ukrainische Flüchtlinge
Luna war das Neujahrsgeschenk für Adana und ihre drei Geschwister, ihr ältester, 18-jähriger Bruder musste in der Ukraine zurückbleiben. Kurz hatten sie überlegt, den Jack Russell Terrier bei ihm in Charkiw zu lassen, doch das brachte die Familie nicht übers Herz. Völlig erschöpft am Hauptbahnhof in Köln angekommen, sollte ausgerechnet Luna dafür sorgen, direkt eine Bleibe zu bekommen. Denn der Flüchtlingshelfer Jan wurde auf den Hund aufmerksam.
"Ich habe mir vorgestellt, ich wäre Flüchtling und müsste fliehen, dann würde ich meine zwei Hunde natürlich auch mitnehmen. Und dann hatte ich gelesen, dass es vor allem für Familien mit Haustieren schwierig ist, eine Unterkunft zu erhalten. Von daher war klar, dass ich so eine Familie gerne aufnehmen würde."
Wanda trifft Luna: Jack Russell Terrier vereint
Und so wohnt Luna aus der Ukraine jetzt mit Wanda aus London und Lilou aus Paris zusammen, eine internationale Hunde-WG mit drei Jack Russell Terriern. Jan ist Fotograf, er hat kurzerhand sein Fotostudio leergeräumt, um Platz zu schaffen für die Flüchtlingsfamilie. Lunas erster Amtsgang: zum Tierarzt.
"Wir haben sie direkt gegen Tollwut impfen lassen, weil wir wussten, dass sie noch keine Impfung hatte", sagt Jan, "zwei Tage später hat mich meine Tierärztin, für die das auch Neuland war, angerufen und gesagt, Luna muss auch noch gechippt werden und drei Wochen in Quarantäne."
Seit diesem Freitag ist Luna mit ihrem Mikrochip auch registriert. Organisiert hat das die Hilfsorganisation Blau-Gelbes Kreuz, die schon mehr als 400 ukrainische Flüchtlinge nach Köln gebracht hat. Man könnte auch sagen, der Jack Russell Terrier ist in Deutschland angekommen. Dabei ist das für Hunde normalerweise gar nicht so einfach.
Trennung von Herrchen wegen Tollwutgefahr?
Denn das Problem ist: hat eine Familie mit Haustier nicht so viel Glück wie Adana und landet statt in einer privaten in einer Sammelunterkunft, müssen die Tiere ins Tierheim, weil sie in den meisten Flüchtlingsunterkünften nicht erlaubt sind. Ein Grund: anders als Deutschland gilt die Ukraine noch nicht als tollwutfrei.
Damit droht eine Überlastung der deutschen Tierheime, in denen die Tiere geimpft werden und in Quarantäne verbleiben. Und für die ukrainischen Kinder gleich das nächste Trauma.
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, fordert deshalb: "Allen Ukrainern, die hierher mit ihren Tieren fliehen konnten, muss deshalb unbedingt eine gemeinsame Unterbringung ermöglicht werden. Eine Trennung wäre eine zusätzliche Belastung für Mensch und Tier, die auf jeden Fall zu vermeiden ist."
Schröder hat auch schon Nancy Faeser geschrieben; die Innenministerin hat versprochen, sich zu kümmern. Wer geglaubt hat, das Durcheinander bei der Verteilung der ukrainischen Flüchtlinge würde sich nur auf Zweibeiner beschränken, sieht sich getäuscht. Wohl noch nie in der Geschichte waren bei einer Massenflucht so viele Vierbeiner dabei - Deutschland konnte diese Entwicklung so nicht vorhersehen.
Deutschland macht die Grenzen für Tiere aus Heimen zunächst zu
Und was ist mit den den Tieren, die in ukrainischen Tierheimen zurückgelassen wurden und dort feststecken? Wenn das jemand beantworten kann, dann ist es Babette Terveer. Sie ist Vorsitzende der Tierschutzorganisation "Notpfote Animal Rescue", hat mit dem "Federheim" Deutschlands erstes Tierheim nur für Vögel gegründet und wurde 2021 mit dem ersten Tierschutzpreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. Die unermüdliche Tierschützerin ist gerade wieder Richtung Ukraine unterwegs, zum zweiten Mal schon, um erneut 35 Hunde zu retten.
Sie sagt: "Es ist unfassbar, dass wir bei der Flucht der Tiere die Verantwortung auf Länder wie Ungarn und Polen abschieben, die eh' schon Probleme mit dem Tierschutz haben. Deutschland erlaubt wegen der Tollwut keine direkte Einreise von Tieren aus Tierheimen aus der Ukraine, sondern beharrt auf einer 30-tägigen Quarantäne in EU-Ländern wie Ungarn. Und dort müssen wir die Tiere dann nochmal impfen, selbst wenn ihre Impfungen aus dem Tierheim Kiew gültig und dokumentiert sind."
Vor zwei Wochen startete Terveer ihre erste Rettungsaktion: mit einem Zwölf-Tonner, vier Transportern und 18 Tonnen Tierfutter im Gepäck machte sie sich Richtung Ukraine auf, lud 15 Kilometer hinter der ungarisch-ukrainischen Grenze an einem Knotenpunkt das Futter ab, und dafür 35 Hunde aus Tierheimen in Kiew ein, um diese dann in einem Tierheim in Ungarn zunächst für die Quarantäne zu parken. Auf der Rückfahrt auch mit dabei: sechs Flüchtlinge mit ihren Tieren, darunter eine Frau, unzertrennlich mit ihrem alten, zehnjährigen Schäferhund.
"Die Flüchtlinge sind alle total erschöpft, die Menschen sind fertig, die Tiere sind fertig. Und viele der Tiere werden einfach in irgendwelche Einkaufstaschen gepackt und mit Netzen abgedeckt, weil bei der Flucht alles schnell gehen muss. Und dann sind da die Helfer, die das Risiko auf sich nehmen und alle paar Tage nach Kiew fahren, um dort pro Fahrt 10 bis 15 Hunde zu evakuieren", berichtet die Tierschützerin.
Drei Bären mittlerweile in Deutschland eingebürgert
In den Tierheimen in der Ukraine gibt es in der Regel nur Hunde und Katzen, sagt Babette Terveer. Doch was passiert mit den Vierbeinern, die keine Haustiere sind, mehr als 100 Kilogramm auf die Waage bringen und die mitten ins Kriegsgeschehen geraten? Wenn Sie Glück haben, können sie sich auf Menschen wie Magdalena Scherk-Trettin verlassen. Sie ist Wildtier-Projektkoordinatorin der Tierschutzorganisation "Vier Pfoten". Oder auch Bärenretterin, wenn man so will.
"Wir standen schon vor Kriegsbeginn in engem Kontakt mit unseren Partnern in der Ukraine und waren somit auf den Worst Case vorbereitet. Nach Kriegsausbruch sind wir von einer Organisation kontaktiert worden, die ein Schutzzentrum in der Region Kiew mit sieben Bären betreibt, und die große Angst hatte, dass den Tieren etwas passiert. Wir haben sie dann in unser Schutzzentrum nahe Lwiw evakuiert."
Der "Bärenwald Domazhyr" kümmert sich um 30 Bären, die "Vier Pfoten" aus missbräuchlicher Gefangenschaft innerhalb der Ukraine gerettet hat. Für drei der sieben Neuankömmlinge ging es danach weiter nach Deutschland. Die Bärenjungen Asuka und Popeye tollen jetzt durch einen Bärenpark in Thüringen, Kragenbärin Malvina erholt sich von den Strapazen in einem Tierschutzzentrum in Schleswig-Holstein. Nach dem Krieg in der Ukraine wenigstens ein Happy End für die drei Bären, sagt Scherk-Trettin.
"Popeye und Asuka sind noch in Quarantäne, werden aber in Kürze ins Freigehege entlassen. Sie haben sich schnell an ihre neue Umgebung gewöhnt und sind sehr aktiv. Auch Marina geht es gut, aber sie ist eher eine träge Bärin, sie verschläft gerade den Frühling."