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Politik

Wohin mit den russischen Panzerwracks?

Igor Burdyga
13. November 2022

Russland hat in der Ukraine bereits tausendfach militärisches Gerät hinterlassen. Manches wird zu Altmetall zerlegt oder zu Kunstobjekten verarbeitet. Aber gibt es auch eine geregelte Entsorgung?

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Zerstörter Panzer in Tschernihiw, 10. April 2022
Zerstörter Panzer in Tschernihiw Bild: Igor Burdyga/DW

Seit dem Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine berichtet der Generalstab der ukrainischen Armee täglich über zerstörtes russisches Militärgerät. Inzwischen seien es über 2750 Panzer, 5580 gepanzerte Fahrzeuge, 4170 Autos, 1770 Artilleriesysteme sowie Hunderte Luftabwehrsysteme, Flugzeuge, Hubschrauber und vieles mehr.

Experten des niederländischen Projekts "Oryx", die Foto- und Videomaterial von der Front analysieren, konnten fast 7600 Objekte aus offenen zugänglichen Quellen identifizieren. Ein Drittel dieser Ausrüstung wurde vom ukrainischen Militär in nahezu unbeschädigtem Zustand erbeutet. Insbesondere seit der erfolgreichen Gegenoffensive in der Region Charkiw wird Russland manchmal als wichtigster Lieferant von Panzern an die ukrainische Armee bezeichnet. Doch die meisten Waffen, 4649 Objekte, wurden nach Erkenntnissen der Experten völlig zerstört.

Sondereinheiten prüfen Überreste

Wie die DW von einer Quelle im Verteidigungsministerium in Kiew erfuhr, müssen die örtlichen Militärverwaltungen Listen mit der von den Russen zurückgelassenen Ausrüstung führen und diese Informationen an die ukrainische Armee weiterleiten. "Sondereinheiten, sie werden auch 'Kannibalen' genannt, fahren raus und prüfen die Überreste. Sie holen, was zur Reparatur der ukrainischen Ausrüstung verwendet werden kann", so der Gesprächspartner.

Ein Student in einem ausgebrannten russischen Panzer im Gebiet Tschernihiw, 5. Juni 2022
Ein Student in einem ausgebrannten russischen Panzer im Gebiet TschernihiwBild: Instagram/@senykstas

Die Reste von kaputten Panzern, selbstfahrenden Geschützen und Schützenpanzern der russischen Armee liegen seit Monaten auf den Straßen und Feldern der Ukraine herum und rosten vor sich hin. Manche Militärs sagen, die Wracks könnte man vielleicht noch als Schießziele bei Manövern nutzen. Doch dafür müsste man sie zu den Truppenübungsplätzen schaffen.

Altmetall für Händler und die Industrie?

Seit der ukrainischen Gegenoffensive im Frühjahr in der Region Kiew wird die zerstörte russische Ausrüstung auch von Metallhändlern ins Visier genommen. Schon im April schätzte die ukrainische Ausgabe von Forbes die damalige Menge von Altmetall auf einen Wert von 45 Millionen Dollar. Seitdem haben sich Berichten zufolge die russischen Verluste an Ausrüstung verdreifacht.

Ukrainische Altmetallhändler bewerten die ausgebrannten Panzer jedoch viel geringer, vor allem wegen der Besonderheiten der Legierungen bei Panzern, die nicht zum Umschmelzen in Metallbetrieben geeignet sind. "Panzerungen werden aus hochlegierten Stahlsorten hergestellt. Sie haben besondere Eigenschaften, zum Beispiel einen höheren Schmelzpunkt, sind aber weniger verformbar. Man kann sie in der großen Metallurgie nicht gebrauchen", sagt Walentyn Makarenko, Chef der Firma "Interpipe Vtormet".

Passanten bei der Ausstellung zerstörter Russischer Panzer in Kiew am 22. August 2022
Präsentation eines zerstörten russischen Panzers in Kiew im August 2022Bild: Igor Burdyga/DW

Der Verband für Sekundärmetalle "UAVtormet" verweist darauf, dass der Markt für Altmetall stagniert. Der Export sei schon seit Jahren durch hohe Zollsätze eingeschränkt und die Inlandsnachfrage seit Kriegsbeginn durch Schließungen in der Metallbranche deutlich gesunken. Nach Angaben des Verbands ging die Stahlproduktion in der Ukraine in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 66 Prozent zurück, und die Beschaffung von Schrott um 73,5 Prozent auf 830.000 Tonnen.

Das größte Metallunternehmen der Ukraine, das Werk von ArcelorMittal in Krywyj Rih, erklärte gegenüber der DW, es habe genügend Schrott für die Stahlproduktion. "Die Bestände übersteigen 80.000 Tonnen, so besteht keine Notwendigkeit, zusätzlich militärische Ausrüstung zu verwenden, die zudem nicht für unsere Produktion geeignet ist", sagt Wolodymyr Hajdasch, Kommunikationschef des Unternehmens.

Mahnende Wrack-Ausstellungen

In Krywyj Rih wird derweil zerstörtes russisches militärisches Gerät im Stadtzentrum ausgestellt. Wie der stellvertretende Bürgermeister Serhij Miljutin der DW sagte, kommen seit der jüngsten Offensive der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet Cherson neue Ausstellungsstücke hinzu: "Wir denken, dies wird eine Dauerausstellung - sowohl vor unserem Sieg als auch danach."

Die ukrainische Regierung hatte bereits im April angeregt, solche Ausstellungen in verschiedenen Städten, aber auch im Ausland zu organisieren. Eine der ersten besteht seit Ende Mai auf dem Sankt-Michaels-Platz in Kiew.

Russische Panzer mit Graffiti "Russischer Tod" in Odessa
"Russischer Tod" - ein von Künstlern in Odessa bemalter russischer PanzerBild: Instagram/@lbws_168

In Odessa beteiligten sich Künstler an einer im September eröffneten Ausstellung zerstörter Panzer und Schützenpanzerwagen. Die Wracks wurden auf verschiedene Weise umgestaltet und bemalt. Einer der Kreativen ist Ihor Matroskin. Er glaubt, solche Ausstellungen könnten die Menschen im Land daran erinnern, wie nahe die Front ist. Gleichzeitig würden sie zeigen, wie sich Waffen in unfähigen Händen in ein Stück Eisen verwandeln. Solche Ausstellungen würden auch nach dem Krieg nicht an Bedeutung verlieren, ist der Graffitikünstler überzeugt.

Schafft die Ukraine eine Entsorgung?

Was auch immer Kunstschaffende aus den russischen Waffen machen können, der Schrott muss dann doch irgendwie entsorgt werden - zumal er der Umwelt schadet. Darauf weist Firmenchef Makarenko von "Interpipe Vtormet" hin. Doch das ukrainische Militär habe keine Erfahrungen mit einer solchen Entsorgung, sagt er. In den letzten Jahren hätten sich auch Reste ukrainischer Militärausrüstung in Fabriken und Deponien angesammelt.

Der Gesprächspartner der DW im ukrainischen Verteidigungsministerium sagte, die Regierung arbeite an einem Plan zur Entsorgung militärischen Geräts. Doch Makarenko meint, der Staat werde wohl kaum die Kosten für die Entsorgung und Verarbeitung ausgebrannter Panzer übernehmen wollen. "Dafür sollte man gezielt internationale Hilfe suchen, denn europäische Recyclingunternehmen verfügen über die entsprechenden Technologien und Erfahrungen." Der Verband "UAVtormet" meint in diesem Zusammenhang, die Notwendigkeit, den Schrott zu entsorgen, könnte die ukrainischen Behörden zwingen, bestehende Hürden für den Export von Altmetall zu beseitigen.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Statuen gegen den Krieg: Guerilla-Kunst in Budapest