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Gut integriert: Ukrainische Flüchtlinge in Tschechien

15. März 2023

Tschechien hat die größte Flüchtlingswelle seiner Geschichte erfolgreich bewältigt - zum Nutzen der Wirtschaft. Viele ukrainische Flüchtlinge haben Jobs, die Zahlen widerlegen nationalistische Narrative.

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Gruppe ukrainischer Männer und Frauen bei einem Tschechisch-Sprachkurs in Prag
Ukrainische Flüchtlinge nehmen in der tschechischen Hauptstadt Prag an einem Sprachkurs teilBild: Archiv Luboš Palata

In dem neuen Bürokomplex Waltrovka im Prager Stadtteil Jinonice sind die meisten Fenster der großen modernen Gebäude nicht mehr erleuchtet. Es ist Feierabend, die Menschen sind nach Hause gegangen. Der Komplex, in dem es tagsüber vor Geschäftigkeit wimmelt, ist nun fast vollkommen verwaist.

Nur vor dem Eingang eines der Gebäude steht eine Gruppe von Ukrainern und Ukrainerinnen. Sie warten auf Tereza Matonohova, hauptberuflich Headhunterin. Sie gehört zu den vielen tschechischen Freiwilligen, die in ihrer Freizeit Hunderttausenden von ukrainischen Kriegsflüchtlingen bei ihrer Integration helfen. An diesem Spätnachmittag im März hat Matonohova einen Informations- und Sprachkurs für die Wartenden organisiert.

"Ich habe meine beruflichen Kontakte genutzt und für unsere Treffen einen kostenlosen Raum in einem Unternehmen bekommen", sagt Tereza. Bei den Treffen gehe es um Wohnungsfragen oder die Arbeitssuche. Außerdem erhalten die ukrainischen Flüchtlinge Tschechisch-Unterricht, den ein erfahrener Lehrer gibt. Tereza ist es gelungen, die Kosten für den Lehrer mit den von der tschechischen Regierung für diesen Zweck vorgesehenen Zuschüssen zu finanzieren.

Alle können Tschechisch

"Die Kenntnis der tschechischen Sprache ist die Grundlage, um auf dem tschechischen Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden und eine qualifiziertere Arbeit mit zumindest einem relativ angemessenen Gehalt zu finden", erklärt Tereza der DW. "So können sich die Flüchtlinge allmählich wegbewegen von schlecht bezahlten Jobs wie dem Auffüllen der Regale in Supermärkten hin zu Jobs, bei denen sie ihre wirklichen Fähigkeiten zeigen können."

Zwei ukrainische Frauen in einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Prag: eine liegt auf einer Bank und hält sich die Hände vors Gesicht, die andere sitzt neben ihr und schaut auf ihr Mobil-Telefon
Vor einem Jahr: Ukrainische Flüchtlinge in einer Notunterkunft in Prag - inzwischen sind die meisten Flüchtlinge gut integriertBild: Roman Vondrous/CTK/dpa/picture alliance

Von den Teilnehmern ihres kleinen Kurses nach Feierabend, zu dem in der Regel fünfzehn bis zwanzig Ukrainer und Ukrainerinnen kommen, haben fast alle bereits einen Arbeitsplatz gefunden. "Heute sind weniger Teilnehmende gekommen, denn einige haben Nachmittagsschicht", sagt Tereza. Im Gespräch mit den Anwesenden kann man schnell feststellen, dass sie nach einem Jahr alle Tschechisch können und in der Lage sind, sich in der neuen Sprache über grundlegende Dinge zu verständigen.

Dank Tausender Freiwilliger wie Tereza Matonohova konnte die zehn Millionen Einwohner zählende Tschechische Republik die größte Migrationswelle ihrer Geschichte bewältigen. Seit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine vor mehr als einem Jahr gewährte das Land fast einer halben Million ukrainischer Kriegsflüchtlinge vorübergehenden Schutz. Damit ist Tschechien - im Verhältnis zur Größe der Bevölkerung - einer der Spitzenreiter in der Europäischen Union

Härtetest bestanden

Ein Teil der Flüchtlinge ist inzwischen in die Ukraine zurückgekehrt. Mehr als 100.000 Ukrainer und Ukrainerinnen haben jedoch in Tschechien Arbeit gefunden und neunzig Prozent der ukrainischen Kinder (etwa 50.000) besuchen tschechische Schulen. Sie machen immerhin rund fünf Prozent aller Kinder aus.

Tschechische Kinder in einer Schule in Prag halten selbst gemalte Bilder hoch. Im Hintergrund sieht man zwei Erwachsene, die das Geschehen beobachten.
Ukrainische Kinder in einer Schule in Prag - die Schüler werden hier auch in ihrer Muttersprache unterrichtetBild: Vit Simanek/CTK Photo/dpa/picture alliance

Auf einer Pressekonferenz anlässlich des ersten Jahrestags der Ankunft der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine erklärte Innenminister Vit Rakusan vor Journalisten, dass Tschechien den Härtetest bestanden habe. "Wir haben fast eine halbe Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen können. Und das, ohne dass das Gesundheits- und das Bildungssystem zusammengebrochen sind oder überlastet wurden." Es sei gelungen, Aufnahmemechanismen zu schaffen, die es den Flüchtlingen ermöglicht hätten, sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. "Viele von ihnen haben diese Chance bereits genutzt", so der Minister.

Nicht auf Kosten der Tschechen

Rakusan räumte ein, dass es auch Probleme gegeben habe. "Wir hätten es ohne die Hilfe der tschechischen Bevölkerung, ohne die Bürgermeister, Polizisten, Feuerwehrleute und so weiter nicht geschafft." Inzwischen habe sich die Lage deutlich verbessert. Das Land sei nicht mehr in einer akuten Krise und habe es nicht mehr mit einem Ansturm von Zehntausenden von Menschen zu tun. "Wir haben ein System, das funktioniert", so Rakusan.

Tschechien | Ukraine Krieg | Flüchtlinge in Prag
Als nach Ausbruch des Krieges im Februar 2022 die ersten Flüchtlinge in Tschechien ankamen, mussten sie in Zelten untergebracht werden. Diese Zeit der Krise ist vorbeiBild: Vit Simanek/CTK/dpa/picture alliance

Die Tatsache, dass eine große Zahl von Ukrainern arbeitet und ukrainische Kinder zur Schule gehen, ist ebenfalls wichtig für die Atmosphäre in der Gesellschaft. Trotzdem behaupten Vertreter extremistischer und rechtsnationaler Parteien und Organisationen, die Regierung helfe ukrainischen Flüchtlingen auf Kosten der tschechischen Bürger. Unter ihnen ist auch der Vorsitzende der Oppositionspartei ANO und Finalist bei der Präsidentschaftswahl im Januar, Andrej Babis. Außenminister Jan Lipavsky widerspricht: "Das ist nicht wahr", sagt er der DW. "Die Ausgaben für ukrainische Flüchtlinge machen nur einen Bruchteil der gesamten Finanzhilfe aus, die die Regierung den tschechischen Bürgern in der Energie- und Finanzkrise zur Verfügung gestellt hat."

Qualifizierte Ukrainer in ungelernten Jobs

Laut Informationen des Finanzministeriums belaufen sich die tschechischen Gesamtausgaben für ukrainische Flüchtlinge bis Ende Januar 2023 auf 28,5 Milliarden Tschechische Kronen (rund 1,2 Milliarden Euro). Der größte Teil davon floss in Sozialhilfe für Flüchtlinge. Rund 400 Millionen Euro habe Prag dafür ausgegeben, was etwa 200 Euro pro Monat und pro nicht erwerbstätiger Person ausmache, so das Ministerium auf seinem Twitter-Account.

Doch der Staat hat nicht nur Ausgaben, er profitiert auch von den Ukrainern und Ukrainerinnen, die in Tschechien Arbeit gefunden haben und Steuern und Abgaben zahlen. So hat der Staat bereits rund 350 Millionen Euro an Einkommensteuern und Abgaben von arbeitenden Ukrainern eingenommen. "Die Kosten für die ukrainischen Flüchtlinge werden geringer sein, als ursprünglich erwartet", lautet die Bilanz von Finanzminister Zbynek Stanjura. Die Flüchtlinge hätten sich schnell in die Arbeitswelt integriert und belasteten das Gesundheitssystem weniger stark als befürchtet. Zudem hätten viele Tschechen Geflüchtete aufgenommen und ihnen kostenlosen Wohnraum zur Verfügung gestellt.

Tomas Prouza von der Tschechischen Handelskammer in Prag
Tomas Prouza, Vorsitzender der Union für Handel und TourismusBild: Tim Gosling/DW

Ein Problem allerdings konnte noch nicht gelöst werden: Viele der Neuankömmling arbeiten in unterqualifizierten und schlecht bezahlten Jobs, weil ihre Abschlüsse und Zeugnisse nicht akzeptiert werden. Die Anerkennung von Qualifikationen gestalte sich schwierig, sagt Tomas Prouza, Vorsitzender der Union für Handel und Tourismus und Berater des Ministers für Industrie und Verkehr, der DW. "Es gibt hier Hunderte von ukrainischen Krankenschwestern und Ärzten, aber sie können ihre Abschlüsse in Tschechien nicht anerkennen lassen, weil ihnen die richtigen Papiere aus der Ukraine fehlen." Dabei seien die vielen Flüchtlinge ein großer Gewinn für die tschechische Wirtschaft. Deshalb, so Prouza, sollte sich Tschechien darauf konzentrieren, wie man ihr Berufs- und Arbeitspotenzial voll ausschöpfen könne.

Porträt eines Mannes mit blondem Haar, er trägt ein weißes Hemd und ein blau-schwarz kariertes Sakko
Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag