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Ukrainische Künstler zur aktuellen Lage

24. Februar 2022

Ukrainische Künstlerinnen und Künstler wie Oksana Lyniv und Andrej Kurkow fordern im DW-Gespräch vom Westen ein entschiedeneres Handeln gegenüber Russland.

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Porträt von Oksana Lyniv mit Dirigentenstab bei den Bayreuther Festspielen 2021
Dirigentin Oksana Lyniv macht sich große Sorgen um ihre HeimatBild: picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele

Wut, Trauer und Empörung über die Untätigkeit der Weltpolitik - diese Gefühle dominieren in der ukrainischen Kulturszene. Aber auch Angst: um die Familien, um Freunde und die Möglichkeit, weiterhin dem geliebten Beruf nachzugehen. Von Seiten ukrainischer Künstlerinnen und Künstler schlägt dem Aggressor, der eindeutig mit dem russischen Staat identifiziert wird, eine kaum zu bändigende Hasswelle entgegen. DW hat mit einigen von ihnen einen Tag vor den Angriffen am 24. Februar 2022 gesprochen: 

Oksana Lyniv, Dirigentin: "Die Welt hat Putin-Russlands wahres Gesicht gesehen"

"Endlich liegen Putins wahre Absichten klar und offen", sagt Oksana Lyniv. "Er will einen unabhängigen Staat vernichten, eine Nation mit eigener Kultur, eigenem Alphabet, eigener Sprache und Geschichte, eigenen Künstlerinnen und Künstlern, einer eigenen Identität. Unsere Entwicklung als europäischer Staat, für die wir uns 30 Jahre lang seit der Unabhängigkeit eingesetzt haben und die mit dem Maidan einen hohen Preis gefordert hat, ist akut in Gefahr.

Nun hat die Welt Putin-Russlands wahres Gesicht gesehen, das leider weit entfernt ist vom selbsterklärten Idealbild als Land der Kunst und des Humanismus. Am Anfang der Entwicklung stand die Annexion der Krim, die in aller Welt verurteilt wurde. Jetzt zielt Putin auf die ganze Ukraine. In den Jahrzehnten seiner Regierungszeit hat der Diktator in Russland einen Polizeistaat aufgebaut. Aber in der Ukraine würde so was nicht gehen, die Ukrainer lehnen Unfreiheit entschieden ab! All diejenigen, die sich noch in postsowjetischen Erinnerungen wiegten und vom 'Brudervolk' schwärmten, haben nun einen entschiedenen Weckruf bekommen: Ein wahrer Bruder kommt nicht mit dem Gewehr zu dir und lauert dir vor der Tür auf - nur ein Mörder. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die ganze Welt beweisen muss, was ihnen die Lehren von zwei Weltkriegen wert sind, um eine blutige Schlacht mitten in Europa zu verhindern."

Porträt von Dichter Serhij Zhadan
Dichter, Übersetzer, Festspielmacher - aber vor allem Bürger: Serhij ZhadanBild: Maksym Kosmenko

Serhij Zhadan, Dichter und Schriftsteller: "Wir sind in erster Linie Bürger"

"Heute sind wir vor allem Bürger, nicht Künstler. Wie eigentlich immer während eines Krieges. Wir sind ein Land und eine Nation, wir unterstützen unsere Armee, alle meine Kollegen fahren als Volontäre an die Front. Wir verstehen aber sehr wohl, dass die jetzige Lage eine Übergangssituation ist, sie kann sich von heute auf morgen auch ändern. Wir hoffen natürlich alle, dass sich dieser Krieg nicht weiter ausbreitet - bis nach Charkiw oder Kiew. Ich freue mich zwar, dass sich einige russische Künstler klar positioniert haben, aber ihre Stimmen haben keine Chance, gehört zu werden. Ich habe viele langjährige Freunde, auch unter den Künstlern, Autoren, die wirklich daran glauben, dass die Ukraine Russland angreifen will und ähnliches - da hat die Putin-Propaganda schon ihre Wirkung gezeigt."

Filmemacher Sergeij Loznitsa steht mir verschränkten Armen in einem Kinosaal.
Filmemacher Sergej Loznitsa sieht die Situation als "chronisch dramatisch"Bild: Angel Navarrete/El Mundo/imago images

Sergej Loznitsa, Filmemacher: "Leider wiederholt sich die Geschichte"

"Acht Jahre lang hat die Russische Föderation Krieg gegen die Ukraine geführt. Acht Jahre lang hat Westeuropa versucht, diesen Krieg zu ignorieren, hat weiter mit dem Aggressor zusammengearbeitet und ihn unterstützt. Jetzt ernten wir alle die Früchte dieser 'weitsichtigen' Befriedungspolitik. Die russischen Machtorgane haben sich an allen Friedensbemühungen die Füße abgetreten und sind weitergezogen. Wenn jetzt keine harte Reaktion der EU- und NATO-Staaten erfolgt, endet das schlecht für alle. Leider wiederholt sich die Geschichte, und leider lernt niemand aus ihr."

Porträt des ukrainischen Schriftstellers Andrej Kurkow
Hat keine Illusionen: Schriftsteller Andrej KurkowBild: Anke Waelischmiller/SVEN SIMON/picture alliance

Andrej Kurkow, Schriftsteller: "Wo sind die Stimmen der Künstler aus Frankreich, Deutschland, den USA?"

"Die nächsten zwei Wochen entscheiden darüber, womit diese ganze Geschichte enden wird - oder eben nicht. Entscheidend dafür wird die Reaktion der Europäischen Union und der großen Industrienationen auf Putins Anerkennung der sogenannten Separatisten-Republiken im Osten der Ukraine sein. Eine klare Reaktion würde Putin zwingen, entweder ganz zu stoppen oder zumindest eine lange Pause von seinen weiteren Aktionen einzulegen. Leider haben wir als Schriftsteller und generell Künstler weniger Einfluss auf die Situation, als unsere Kollegen während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Das geschriebene, gesprochene Wort hat an Gewicht verloren. Das bedeutet aber nicht, dass man schweigen darf. So ist es uns in der Ukraine schon wichtig, dass es einen offenen Brief der russischen Künstler gibt oder eine Stellungnahme des russischen PEN-Zentrums. Da kann ich nur sagen: endlich! Denn der Krieg Russlands gegen die Ukraine geht schon seit acht Jahren. Was mir fehlt: eine klare Positionierung der führenden Künstler aus anderen Ländern der Welt. Wo sind die Stimmen der Künstler aus Frankreich, Deutschland, den USA? Es ist an den Künstlern, ihre Regierungen wachzurütteln. Denn die Politik hat offensichtlich noch nicht verstanden, wie gefährlich das, was gerade passiert, für uns alle ist."

Porträt von Katja Petrowskaja mit ihrem Buch "Vielleicht Esther"
Mit ihrem Roman-Erstling "Vielleicht Esther" wurde Katja Petrowskaja berühmt. Heute hat sie Angst um ihr Land.Bild: Imago/Star-Media

Katja Petrowskaja, Schriftstellerin: "Der Westen muss den Gürtel enger schnallen"

"Den gerade entfachten Krieg kann niemand gewinnen. Und für Gespräche ist es zu spät. Man braucht totale, wirksame Sanktionen. Der Westen muss den Gürtel enger schnallen und auf russisches Öl und Gas verzichten. Wir haben es mit einem Tyrannen zu tun, der am Krieg verdient - das ist seine Geldquelle, sein 'Bussinnes-Modell'. Damit muss Schluss sein."