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Ein 55-Milliarden-Euro großer Fehler

31. Oktober 2011

Es ist der größte Rechenfehler Deutschlands. Ein Buchungsversehen bei der sogenannten Bad Bank der verstaatlichten Hypo Real Estate senkt die Staatsschulden um 55 Milliarden Euro. Rechenchaos oder Kontrolldesaster?

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Das Logo der Hypo Real Estate (Foto: ap)
Bild: AP/Montage DW

55,5 Milliarden Euro - diese Zahl beschäftigt derzeit eine ganze Nation. Denn seit vergangenem Wochenende ist klar: Deutschlands gigantischer Schuldenberg ist genau um diesen riesigen Betrag geringer als angenommen. Grund dafür sind aber weder sprudelnde Staatseinnahmen, noch über Nacht herbeigeführte Sparanstrengungen. Der Grund ist vielmehr ein simpler Rechenfehler bei einem Geldinstitut, das nach der Finanzkrise 2008 vom deutschen Staat zwangverstaatlicht wurde. So machte ein Bericht des Onlineportals stern.de am Freitag (28.10.2011) öffentlich, dass der Bad Bank des verstaatlichten Geldinstituts Hypo Real Estate (HRE) Fehlbuchungen in gigantischem Ausmaß unterlaufen ist. Während viele Details noch unklar sind, hat die Suche nach Ursachen und Schuldigen längst begonnen.

Eine Pleitebank im Buchhaltungschaos

Thomas Oppermann (SPD) (Foto: dpa)
Thomas Oppermann (SPD): "Das ist kein Betrag, den die schwäbische Hausfrau in einer Keksdose vergisst"Bild: picture-alliance/dpa

Der Ort, an dem dieser 55,5 Milliarden-Euro-Rechenfehler unterlaufen sein soll, ist die Bad Bank FMS Wertmanagement. Vor gut einem Jahr wurden dorthin giftige Wertpapiere in Höhe von 175 Milliarden Euro von der Pleitebank HRE ausgelagert. Diese Finanzderivate sollten dann unter der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums abgewickelt werden. Fehlerhafte Doppelbuchungen sollen jetzt der Grund sein, warum die Bilanz der Bad Bank überhöhte Schulden von 55,5 Milliarden Euro auswiesen. Grundlegende Bilanzierungsregeln seien verletzt worden, schlussfolgern Experten wie Finanzwissenschaftler Professor Martin Weber von der Universität Mannheim im Interview mit DW-World.de. "Hier wurde Brutto mit Netto verwechselt".

So seien Verbindlichkeiten und Sicherheitsleistungen hinsichtlich eines Vertragspartners nicht gegeneinander aufgerechnet, sondern fälschlicherweise addiert worden. Webers Beispiel: "Ich habe Ihnen einen Kredit von 100 Euro gegeben, das heißt, sie stellen für mich ein Risiko von 100 Euro dar", erklärt Weber das Grundprinzip des vorliegenden Falls. "Wenn sie mir aber schon 50 Euro gezahlt haben, dann ist das Restrisiko für mich nur noch 50 Euro groß." Der unterlaufene Fehler sei, dass in der Bilanz beide Positionen addiert, und nicht miteinander verrechnet worden seien. Stattdessen fand bei den Buchhaltern der Bad Bank jeder einzelne Posten in der Bilanz Eingang und addierte sich so zu einer unvorstellbar großen Zahl: 55,5 Milliarden Euro.

Wer trägt die Schuld am Rechenchaos?

Joachim Poß (SPD) (Foto: dpa)
Joachim Poß (SPD): "Hier haben hochbezahlte Banker versagt"Bild: picture-alliance/ZB

Dass die Rechnungen der Bilanz vom vergangenen Jahr falsch waren, das gestand das Management der Bad Bank im zurückliegenden Halbjahresbericht ein. Das Bundesfinanzministerium bestätigte diesen Fehler am Freitag, erstmals erfahren habe man davon aber bereits Anfang Oktober, sagte ein Ministeriumssprecher am Montag. Unterdessen wird der Ruf nach politischer Verantwortung lauter, ebenso wie nach personellen Konsequenzen im Management der Pleitebank. "Das ist kein Betrag, den die schwäbische Hausfrau in einer Keksdose versteckt oder vergisst", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, an die Adresse von Bundesfinanzminister Schäuble. Ob der sein Ministerium noch im Griff habe, müsse jetzt schnell geklärt werden.

Auch Grüne und Linke fordern schnelle Aufklärung. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick sagte: "Wenn eine Fehlbuchung in dieser Größenordnung vorkommen kann, zeigt das, dass offenbar niemand einen wirklichen Überblick über diese riesigen Wertpapierbestände hat." Finanzminister Schäuble spricht von einem ernsten Vorgang, weist aber eine direkte Verantwortung für die Panne bei der Staatsbank zurück. Noch sei es der falsche Moment, Schuldige für die Fehler beim Namen zu nennen, betonte ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble daraufhin.

Das Firmenschild einer Frankfurter Niederlassung der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers (PWC) (Foto: dpa)
Hat auch PriceWaterhouseCoopers den Fehler in den Bilanzen übersehen?Bild: picture alliance/dpa

Neben den politisch Verantwortlichen rückt zunehmend aber auch die für die Pleitebank zuständige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) ins Visier der Kritik. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß kritisierte am Sonntag in Berlin, "dass hier hochbezahlte Banker und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft offensichtlich versagt haben."

In einer Pressemitteilung ließ das gescholtene Unternehmen PwC unterdessen mitteilen, dass es keine Anhaltspunkte für Fehler im betreffenden Jahresabschluss vom 31. Dezember 2010 gegeben habe. "Wir haben uns nicht verrechnet", sagt Pressesprecher Oliver Heieck im Interview mit DW-World.de. Weil die Bad Bank der HRE aber wesentliche Teile ihrer internen Bilanzbuchhaltung an einen externen Dienstleister ausgelagert habe, sei die Prüfung nur auf der Basis der vorgelegten Unterlagen möglich gewesen. "Wenn aber die Buchungsbelege falsch sind, kann am Ende auch die Rechnung nicht stimmen", reicht Heieck die Verantwortung für das Rechenchaos weiter.

Klaus-Peter Feld, Vorstandsmitglied des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) springt ihm dabei zur Seite. Auch er sieht das Auslagern der Buchhaltung bei mehr und mehr Unternehmen als grundsätzliches Problem an. "Am Ende dieser Kette kann der Abschlussprüfer keine Sicherheit mehr haben", sagt Feld gegenüber DW-World.de. Schuld zuweisen, das will Finanzwissenschaftler Professor Martin Weber aus Mannheim den Wirtschaftsprüfern für den 55-Milliarden-Euro-Fehler keine. Ein solcher Fehler sei aber "super peinlich", auch wenn die Hauptverantwortung woanders liege, sagt Weber: "Letztlich haftet, wer auch unterschreibt und das ist der Vorstand der Bank".

Weniger Staatsschulden, aber kein Geldregen

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) (Foto: dpa)
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bestellte die Verantwortlichen ins Ministerium einBild: picture alliance/dpa

Die Berücksichtigung der Buchungspanne führt dazu, dass die deutschen Staatsschulden schlagartig von 83,7 Prozent um 2,6 Prozentpunkte auf 81,1 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung sinken. Ein Sprecher des Finanzministeriums bemühte sich am Montag indes, die Euphorie angesichts klammer Staatsfinanzen klein zu halten: "Wir sind leider nicht allesamt um 55 Milliarden reicher geworden". Der Rechenfehler verringere lediglich die an die Europäische Union nach Brüssel gemeldete Staatsschuld, weil die Bad Bank sich inzwischen zu 100 Prozent in Staatsbesitz befinde. Bundesfinanzminister Schäuble hat die Verantwortlichen der FMS Wertmanagement, der HRE sowie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC am Mittwoch (02.11.2011) zu sich ins Ministerium einbestellt. Dann wird es wieder um unvorstellbargroße Geldsummen gehen, wohl aber auch um klitzekleine Details.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Arne Lichtenberg