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Bundeswehr will EU-Bürger anwerben

Paul Vorreiter11. August 2016

Der Druck auf die Bundeswehr, sich militärisch im Ausland einzusetzen, wächst. Über Einsätze im Inneren wird diskutiert. Um die Aufgaben erfüllen zu können, überlegt die Bundeswehr, EU-Bürger als Soldaten zu rekrutieren.

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Niederländische und deutsche Soldaten von oben fotografiert (Foto: picture alliance/dpa)
Bald könnten Niederländer Bundeswehr-Soldaten werden, statt - wie bisher - nur mit ihnen zusammenzuarbeitenBild: picture-alliance/dpa

Selten schaffen es technokratisch formulierte Texte, für so viel Wirbel zu sorgen. Von der Bundesregierung erfährt man, eine Öffnung der Bundeswehr für EU-Ausländer böte "nicht nur ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit der Bundeswehr, sondern wäre auch ein starkes Signal für eine europäische Perspektive". So steht es im Weißbuch, einem Strategiepapier, das die sicherheitspolitischen Ziele des Kabinetts skizziert.

Einfacher ausgedrückt: Mit Soldaten aus dem EU-Ausland könnte die Bundeswehr ihre angestrebte Zielmarke aus 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten womöglich besser erreichen. En passant würde sie auch noch bunter werden.

Wenige kulturelle Differenzen

Das Verteidigungsministerium geht von einer leichten Integration der Ausländer aus der Europäischen Union aus: "EU-Bürgerinnen und Bürger verfügen über ein vergleichbares Bildungsniveau, es gibt geringe kulturelle Differenzen und die deutsche Sprache, deren Beherrschung Grundvoraussetzung für den Dienst in der Bundeswehr ist und bleibt, ist weit verbreitet", sagte eine Sprecherin gegenüber der DW.

Einer Umsetzung der Idee stehen aber auch viele Hürden im Weg. Seit Gründung der Bundeswehr vor 61 Jahren dürfen nur deutsche Staatsangehörige Soldaten werden. So sieht es das Soldatengesetz vor, das für die geplante Öffnung geändert werden müsste. Die Bundeswehr kann bislang nur in begründeten Einzelfällen andere Staatsbürger aufnehmen.

Nur ein einziger EU-Bürger ist bislang Bundeswehr-Soldat

Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums erklärte gegenüber DW, dass nur eine einzige Ausnahmeentscheidung bekannt ist. Ein rumänischer Mediziner ist seit 2014 als Bundeswehr-Sanitätsoffizier im Einsatz. Im zivilen Bereich sieht es anders aus. Zwölf EU-Ausländer sind als Beamte und 550 weitere als Arbeitnehmer im In- und Ausland für die Bundeswehr beschäftigt.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte, die Öffnung sei nicht etwas, was in Kürze passiere. Sie verwies auf ähnliche Möglichkeiten im Beamtenrecht, doch seien hier "noch viele Fragen zu beantworten".

Das Verteidigungsministerium benannte gegenüber der DW noch weitere Aspekte, die vor einer Änderung des Soldatengesetzes vorgenommen werden müssten. Es müsse zunächst mit den europäischen Partnern geklärt werden, wie die Öffnung der Bundeswehr aufgenommen würde. Außerdem müsse geprüft werden, wie mit Reservisten anderer EU-Armeen umzugehen sei oder wie eine Angleichung von Rentenansprüchen aussehen könnte. In vielen Fragen stünde man "erst am Anfang". Auch das Potenzial möglicher EU-Rekruten könne daher nicht beziffert werden.

Gutes Signal, aber nicht überzubewerten

Im Gespräch mit DW bewertete der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, den Vorstoß grundsätzlich positiv. Der SPD-Politiker sieht Parallelen zur bereits vollzogenen Öffnung für EU-Bürger in Teilen des öffentlichen Dienstes: "Mit großen Zahlen muss man da nicht rechnen. Denn dazwischen steht erstmal die Sprachbarriere. Natürlich muss man deutsch sprechen, wenn man in der deutschen Armee dienen will, und dazwischen stehen sicher noch einige rechtliche Probleme. Denn Länder, die selbst noch eine Wehrpflichtarmee unterhalten, kommen natürlich nicht in Frage für die Anwerbung für deutsche Streitkräfte."

Hans-Peter Bartels und Alexander Neu (Fotos: picture alliance/Gerd Seidel via Wikimedia Commons)
Geteilter Meinung: Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Bartels, und Linken-Verteidigungsexperte NeuBild: Gerd Seidel via Wikimedia Commons

Das betrifft allerdings nicht mehr viele EU-Staaten. Unter den Mitgliedern steht die Wehrpflicht noch in Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Österreich und Zypern.

Scharfe Kritik kommt vom Bundeswehrverband. Dieser verweist auf ein besonderes Treueverhältnis von Staat und Soldat. Soldat sei kein Beruf wie jeder anderer, sagte Verbandschef André Wüstner. Gerade die soldatische Identität habe eine enorme nationale Ausprägung – trotz europäischen Wertesystems. Das müsse der Politik immer wieder bewusst gemacht werden.

Know-How aus Krisenländern abgezogen

Alexander Neu, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags und Abgeordneter der Linken, hält die Aufnahme von EU-Bürgern in die Streitkräfte unter mehreren Gesichtspunkten für problematisch. Er zeigte sich im DW-Gespräch überzeugt, dass das Besoldungsgefälle in Europa viele potenzielle Rekruten nach Deutschland locken würde.

So kritisierte Neu, dass vor allem junge Männer aus wirtschaftlich schwachen Ländern abgeworben würden, wie Rumänien, Bulgarien oder Teilen des ehemaligen Jugoslawiens: "Junge Männer, die eigentlich für die dortigen Volkswirtschaften benötigt würden, würden dann nach Deutschland kommen, was die dortigen Volkswirtschaften nicht unbedingt fördern würde."

Zusammenarbeit mit anderen EU-Armeen hat lange Tradition

Mit der Öffnung für EU-Ausländer würde die Bundeswehr Neuland betreten. Viel routinierter ist sie dagegen bereits in der Zusammenarbeit mit Soldaten anderer EU-Länder. Seit Oktober 1989 gibt es die Deutsch-Französische Brigade. Im August 1995 kam das Deutsch-Niederländische Korps dazu. Im Eurokorps arbeiten unter anderem deutsche, französische und belgischen Soldaten zusammen. 2014 waren etwa 2300 niederländische Fallschirmjäger in die deutsche "Division Schnelle Kräfte" eingegliedert worden.

Diese Form der engen Kooperation passt auch zu den Vorschlägen, die die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini kürzlich für eine neue europäische Außen- und Sicherheitsstrategie vorgelegt hatte. So soll es zwar eine EU-Armee nicht geben, wohl aber mehr Zusammenarbeit und Handlungsfähigkeit im Verteidigungsbereich der Europäischen Union, um auf Krisen besser reagieren zu können.