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Umstrittene Pestizide vergiften Argentinien

30. August 2022

Auf den gigantischen Sojaanbauflächen Argentiniens wird kräftig Glyphosat versprüht. Unternehmen wie Bayer und BASF machen mit ihren Pestiziden Milliardenumsätze - einige Mütter aus der Stadt Córdoba wehren sich.

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Argentinien Sojaanbau
Sprüheinsatz auf den Sojafeldern ArgentiniensBild: IVAN PISARENKO/AFP/Getty Images

"Bruder, was ist los, warum wachst Du nicht auf?

Sie kontaminieren Dein Essen und servieren es Dir auf den Tisch.

Ich ertrage es nicht, dass sie den Kindern Argentiniens

Frühstück aus Glyphosat und Pestiziden servieren.

Ich sage es Dir, ich singe es Dir: Hau ab, Monsanto!"

Das Lied der argentinischen Rockband Perro Verde ist schon fast zehn Jahre alt, gesungen hat es auch schon der berühmte Sänger Manu Chao, aber Norma Herrera kann es eigentlich nicht mehr hören. Die Argentinierin hat alles Menschenmögliche getan, damit Unkrautvernichtungsmittel wie Glyphosat endlich aus Argentinien verschwinden, aber es ist ein wenig wie ein Kampf gegen Windmühlen.

Sie sagt: "Glyphosat wird überall auf der Welt immer mehr verboten, aber hier sprühen sie einfach weiter." Tatsächlich ist das Pestizid in der EU derzeit nur noch bis zum 15. Dezember 2022 zugelassen. Während sich Brüssel noch nicht auf eine weitergehende Regelung einigen konnte, soll die Verwendung von Glyphosat in Deutschland nach Plänen der Bundesregierung bis Ende 2023 komplett untersagt sein. In Argentinien gelten derartige Einschränkungen nicht. "Viele Nachbarn sind in den letzten Jahren gestorben, noch heute sterben Menschen an Krebs. Das, was die Sojaunternehmen hier machen, ist nichts anderes als ein Ökozid!"

Herrera gehört zu den "Müttern von Ituzaingó", die sich vor 20 Jahren zusammentaten, als plötzlich drei Fälle von Leukämie wie aus dem Nichts in dem Stadtteil der zweitgrößten argentinischen Stadt Córdoba auftauchten. Darunter auch Normas Tochter. Nur einen Katzensprung von ihrem Haus entfernt: mehrere Fußballfelder große Sojaanbauflächen, die Tag und Nacht per Flugzeug mit dem Unkrautvernichtungsmittel besprüht wurden.

Argentinien l  Madres de Ituzaingó protestieren gegen Pestizide für den Sojaanbau
"Mütter von Ituzaingó" im Kampf gegen Pestizide: Marcela Ferreyra, Norma Herrera, Vita Ayllon, Chavela LindonBild: privat

"Als wir vor 20 Jahren angefangen haben zu protestieren, haben sie uns beschimpft, wir wären ja nur ein paar verrückte Hausmütter, denen das Putzmittel wohl zu Kopf gestiegen sei. Aber als das Leitungswasser hier untersucht wurde, wussten wir, dass wir vergiftet werden: Sie haben einen Cocktail aus schlimmen Sulfaten, Schwermetallen, Arsen und Blei gefunden."

Argentinien weltweiter Glyphosat-Champion

In Ituzaingó ist fast niemand verschont worden, jede Familie kann über Leukämiefälle, Schilddrüsenerkrankungen oder Asthma erzählen, von Nierenfehlfunktionen, Neurodermitis oder auch Fehlgeburten. Herrera und die Mütter erstritten immerhin vor Gericht, dass Pestizide nur in einem Abstand von zweieinhalb Kilometern von Wohnhäusern versprüht werden dürfen.

Argentinien Sojaanbau
In der argentinischen Provinz Misiones soll der Gebrauch von Glyphosat nur noch zwei Jahre erlaubt seinBild: PABLO AHARONIAN/AFP

Zwei Männer landeten sogar im Gefängnis, weil sie Glyphosat auf die Bewohner des Viertels herunterregnen ließen. Ein Pyrrhussieg, denn jedes Jahr landen 200 Millionen Liter Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel auf den Anbauflächen für Soja. Argentinien ist das Land auf der Welt mit dem höchsten Glyphosat-Verbrauch pro Einwohner. Nutznießer: vor allem Europas größter Fleischproduzent Deutschland, weil hierzulande Schweine, Rinder und Hühner in ihren Trögen argentinisches Sojaschrot verschlingen.

"Was ich den Deutschen sagen würde? Jeder Bauer, der Soja von hier kauft, um es an seine Schweine zu verfüttern, begeht einen irreparablen Schaden. Je mehr Soja sie in Deutschland kaufen, desto mehr wird hier produziert. Schuld sind aber vor allem die Regierungen und die multinationalen Unternehmen, die nur eins interessiert: der Profit", sagt Norma Herrera.

Früher Rinderzucht, jetzt Sojafelder

Dass der Kampf der Mütter von Ituzaingó nicht umsonst war, hat vor allem mit einem prominenten Mitstreiter zu tun: Raúl Montenegro, bekanntester Biologe des Landes, der vor 40 Jahren in Córdoba die Stiftung für die Verteidigung der Umwelt (FUNAM) gründete. Für viele die ökologische Stimme Argentiniens schlechthin, bekam er 2004 den Alternativen Nobelpreis für seinen Kampf für mehr Umweltschutz.

Für die Mütter aus Córdoba war er wegen seiner Bekanntheit auch eine Art Bodyguard. Montenegro sagt: "Wir dürfen nicht vergessen, dass nirgendwo sonst auf der Welt so viele Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten bedroht und ermordet werden wie in Lateinamerika."

Deutsche Pestizide vergiften Argentinien
Raúl Montenegro, Träger des Alternativen Nobelpreises, auf einer Demonstration gegen Monsanto in ArgentinienBild: Raúl Montenegro

Denn Soja ist in Argentinien ein profitables Geschäft, 53 Millionen Tonnen werden pro Jahr hergestellt. Ein Großteil davon wandert ins Ausland, Argentiniens neuer Exportschlager soll die chronisch klammen Kassen im Land füllen. Wo früher die berühmten argentinischen Rinder weideten, erstrecken sich jetzt schier endlose Sojafelder - auf einer Anbaufläche dreimal so groß wie Bayern. "In Córdoba ist deswegen weniger als drei Prozent des ursprünglichen Waldes übrig geblieben", sagt Montenegro.

Als der Soja-Boom in Argentinien Anfang des Jahrhunderts begann, bekamen die 45 Millionen Einwohner immer wieder die gleichen Versprechen und Forderungen zu hören: Glyphosat sei problemlos zu kontrollieren und unersetzlich für die Produktion. Ohne diese chemischen Mittel würde die Welt an Hunger sterben, Argentinien stehe deswegen in der Verantwortung. Und vor allem: Das Unkrautvernichtungsmittel sei keineswegs schädlich für die menschliche Gesundheit.

"Hier werden Krankheiten und Todesfälle, die in einer bestimmten Region auftreten, nicht systematisch nach einer bestimmten epidemiologischen Ursache registriert. Das spielt den mächtigen Unternehmen natürlich in die Karten. Argentinien ist außerdem ein Land, in dem es kein kontinuierliches Monitoring über gefährliche toxische Substanzen gibt, und auch kein Register über das Niveau der Kontaminierung im Land", sagt der Biologe.

Weltweit immer mehr Pestizide im Einsatz

Wer wissen will, wie es um die Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel weltweit steht, der muss den Pestizidatlas 2022 lesen. Die Bilanz der 50 Seiten dicken Recherche ist niederschmetternd: Weltweit wurden in den vergangenen zwölf Monaten so große Mengen Pestizide aufgebracht wie nie zuvor. Die Zahl der jährlich von Vergiftungen betroffenen Menschen ist auf 385 Millionen geklettert, Mittel wie Glyphosat sind anerkannt als eine der Hauptverursacher des Artenrückgangs.

Inka Dewitz ist Referentin für internationale Ernährungspolitik bei der Heinrich Böll-Stiftung, welche den Pestizidbericht zusammen mit Naturschutzorganisationen wie BUND und PAN Germany veröffentlicht hat. Sie sagt: "Giftige Pestizide, die in der EU nicht zugelassen oder genehmigt sind, dürfen immer noch exportiert werden und verursachen damit diese Doppelstandards in den Ländern des globalen Südens."

Heinrich Böll-Stiftung Inka Dewitz
"Es gibt bislang keine EU-Richtlinien, die den Export von Glyphosat nach Argentinien verbieten" - Inka DewitzBild: privat

Hauptprofiteure sind vor allem die Chemieriesen Bayer und BASF, die zusammen mit der chinesischen Syngenta Group und Corteva aus den USA stolze 70 Prozent des Weltmarktes dominieren. Ein lukratives Geschäft: Rund die Hälfte des Jahresumsatzes der deutschen Unternehmen wurde durch den Verkauf von Pestiziden erwirtschaftet. 2020 betrug der Umsatz bei Bayer in dieser Sparte 9,8 Milliarden Euro, bei BASF immerhin noch 5,5 Milliarden Euro.

BASF Argentinien sagt auf Anfrage der DW: "Überall auf der Welt, inklusive der Länder in Südamerika, verkauft BASF seine Pflanzenschutzmittel gemäß der Richtlinien des internationalen Verhaltenscodes der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Welternährungsorganisation FAO. Alle Produkte von BASF sind in großem Maß geprüft, evaluiert und von den öffentlichen Behörden abgenommen".

In Argentinien, so BASF, würde die Firma über die Gesundheitskammer CASAFE außerdem an verschiedenen Fortbildungen teilnehmen, für Produzenten, Lehrer von Dorfschulen, Ärzte und Feuerwehrleute. Das BASF-Personal würde schließlich kontinuierlich in Bezug auf den besten Gebrauch der Produkte, den Verkauf und den Transport geschult. 

Auch Bayer sieht sich in der Verpflichtung, den einheimischen Produzenten zu helfen. Und zwar "mit gesunden Produkten für eine Welt im Wachstum, mit einer effizienten Nutzung von natürlichen Ressourcen, um die Umwelt zu bewahren und die Biodiversität zu schützen", heißt es auf der Homepage.

Hält sich die Regierung an die Forderung im Koalitionsvertrag?

"Bayer und BASF halten sich an die jeweiligen nationalen Gesetze und damit ist es für sie im Prinzip in Ordnung. Aber in vielen Ländern sind die Regulierungen viel schlechter und schwächer als in der EU. Und wo die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass Genehmigungen erteilt werden, dahin wird exportiert. Und das sind insbesondere Länder in Lateinamerika", sagt Dewitz.

Wie gefährlich ist Glyphosat?

Einen internationalen Vertrag zur Reduktion von Pestiziden wie Glyphosat, das von der Weltgesundheitsorganisation als "vermutlich krebserregend" eingestuft wurde, gibt es bislang nicht.Immerhin: die Forderung nach einem deutschen Exportverbot hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Jetzt liegt es auch an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen, dies durchzusetzen. "Auf EU-Ebene soll eine neue Chemikalien-Strategie explizit Doppelstandards verbieten und den Umgang mit gefährlichen Substanzen regulieren", sagt Inka Dewitz. "Unklar ist aber noch, welche Pestizide das betrifft. Frankreich hat als einziges Land in Europa eine Gesetzgebung zum Export, die jetzt in Kraft tritt. Die Bundesregierung ist jetzt in der Pflicht, auch zu liefern."

Der Bericht wurde am 29. August aktualisiert und um Stellungnahmen der Unternehmen Bayer und BASF ergänzt.

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur