Umstrittenes Museum für einen NS-Künstler?
22. April 2020Seit 1911 hatte der aus der Schweiz stammende Bildhauer und Maler Johann Bossard sein Lebenswerk systematisch aufgebaut: In der Lüneburger Heide, rund 30 Kilometer von Hamburg entfernt, entstanden über Jahre hinweg ein Atelier, sein Wohnhaus und ein Kunsttempel, der als erhaltener Kathedralbau des Expressionismus einzigartig ist. Das Ensemble bildet heute die Kunststätte Bossard, seit 1995 durch die Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard geführt.
Das Gelände wurde 2012 mit dem Europa-Nostra-Preis ausgezeichnet, einem Kulturerbe-Preis der Europäischen Union. Demnächst soll die Stätte um ein Museum erweitert werden, Kostenpunkt: knapp elf Millionen Euro. Die Hälfte der Gelder hat der Bund zugesagt.
In Jesteburg, wo die Kunststätte steht, wurde seit Beginn dieses Jahres aus verschiedenen Gründen Kritik an dem Vorhaben laut: Naturschutz, Intransparenz, Infrastruktur. Anwohner rechnen mit hohen Folgekosten, die die Gemeinde zu tragen hätte. "Es ist völlig offen, welche Kosten für die Erweiterung der Infrastruktur anfallen", sagt Holger Daedler, Anwohner und Unternehmer in Jesteburg.
Er gehört zur "Allianz gegen den Bossard-Kunst-Bunker", der sich mehr als 40 Leute angeschlossen haben. "Der bestehende Kunsttempel ist sehr beeindruckend", meint Daedler zwar, doch neben den offenen Fragen zur Infrastruktur treibt ihn eine weitere Sorge um: Dass das Museum zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextreme werden könne.
Denn Johann Bossard war, so geht es aus seinen Schriftwechseln hervor, Antisemit und ein glühender Verehrer Adolf Hitlers. Bossard lehnte die Weimarer Republik ab, weshalb er sein Anwesen ab 1921 zu einem Gesamtkunstwerk ausbaute, das er als Keimzelle der Gegenkultur verstand. In der Machtergreifung der Nazis 1933 sah er den erhofften politischen Wandel, wenig später ließ er ein Hakenkreuz in den Mosaikfußboden seines Wohnhauses legen.
"Völkisch-esoterische Denktraditionen"
Die Leiterin der Kunststätte, Gudula Mayr, hat in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass Bossard nie Mitglied der NSDAP gewesen sei. 2018 lief in der Stiftung ein Forschungsprojekt über Johann Bossard und seine Ehefrau Jutta in der NS-Zeit. Im Ergebnis hieß es, dass die Ideenwelten des damaligen Kunstprofessors "völkisch-esoterischen Denktraditionen" entsprachen und Bossard die "nationalsozialistischen Verheißungen" begrüßte, darunter die "Visionen eines 'Neuen Menschen' und einer großen deutschen Zukunft".
Als Bossard im Verlauf der 1930er Jahre erkennen musste, dass die Nazis für expressionistische Kunst nichts übrig hatten, nahm seine Bewunderung wohl ab. Ob er deshalb auch seine Gesinnung änderte, ist offen. In der Diskussion um den Neubau sorgt eine Frage für Unruhe: Ist das geplante Museum eine Huldigung an Johann Bossard?
"Der Neubau soll als Kunsthalle der Lüneburger Heide die Kunst- und Kulturgeschichte der Region ab 1830 abbilden", sagt Gudula Mayr. Darüber hinaus seien Räume für aktuelle Ausstellungen mit moderner und zeitgenössischer Kunst, für Bildungsangebote sowie eine Dauerausstellung über das Künstlerehepaar Bossard geplant. "Diese Dauerausstellung soll auch über die politische Gesinnung Bossards informieren und diese im Kontext zu seiner Kunst einordnen." Dieser Aspekt könne in der Kunststätte momentan nicht umfänglich beleuchtet werden, weil es dafür an Räumlichkeiten fehle, sagt Mayr.
Bossard-Museum oder nicht?
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages beriet in seiner Sitzung am 14. November 2019 über sogenannte Zuschüsse für investive Kulturmaßnahmen bei Einrichtungen im Inland. Auf der Liste standen 81 Förderanfragen aus der ganzen Republik, darunter eine mit der irreführenden Bezeichnung "Bossard-Museum Jesteburg". Also doch ein Museum über Johann Bossard?
Der Ausschuss beschloss, das Vorhaben in Jesteburg mit der Hälfte der veranschlagten Kosten zu fördern: 5,38 Millionen Euro. "In der Sitzung des Haushaltsausschusses ist die Figur Bossard nicht kritisch diskutiert worden", sagt der Ausschuss-Sprecher und FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Fricke. "Die Maßnahme soll ein 'Museum Lüneburger Heide' fördern, das an die bestehende Kunststätte anknüpft."
Der Künstler Bossard und sein Gesamtkunstwerk stünden in den Planungen nach Kenntnis des Haushaltsauschusses nicht im Vordergrund. "Ich halte die Maßnahme grundsätzlich für richtig, wenn dort eine Kunsthalle entsteht, die regionale Künstler zeigt, möglichst auch weltoffene und dezidiert NS-kritische Künstler."
Fricke kündigt dennoch an, über die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Monika Grütters, bei der Leitung der Kunststätte nachzufragen. Sollte die Figur Johann Bossard im Mittelpunkt der Erweiterung stehen, müssten die Zuschüsse vom Bund noch einmal neu bewertet werden: "Es darf keine Pilgerstätte für Rechte entstehen."
Besucherzahl soll sich verdreifachen
Eine Voraussetzung für die Förderung durch den Bund ist die Umsetzung des Neubaus bis 2023. Ob es dazu kommt, hängt auch davon ab, ob die geplante Investitionssumme in Höhe von 10,76 Millionen Euro aufgebracht werden kann. Neben den Bundesmitteln hat der Landkreis Harburg zwei Millionen Euro zugesagt.
Die übrigen 3,38 Millionen Euro müssen aus Spenden zusammenkommen, möglichst bis Jahresende, weil sonst der Zeitplan in Gefahr gerät – und mit ihm die Bundesmittel. Unbestätigten Angaben zufolge soll eine Gesamtfläche von rund 2.400 Quadratmetern entstehen, vor der konkreten Umsetzung muss ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden. Die Zeit drängt also.
Auch deshalb interessiert sich der Bund der Steuerzahler für das Projekt. Er kritisiert, dass knapp 7,4 Millionen Euro aus Steuermitteln für ein Projekt zugesagt wurden, für das bis heute kein Gesamtkonzept vorliege.
Die Pläne in Jesteburg sind ehrgeizig. Rund 10.000 Besucher kommen aktuell jährlich in die Kunststätte, diese Zahl soll durch das neue Museum auf 25.000 bis 30.000 steigen. Noch fürchten manche Jesteburger, dass ein Großteil der künftigen Besucher die politische Gesinnung des Künstlers Bossard teilen könnten. Man dürfe das Thema nicht aus den Augen verlieren, fordert Holger Daedler. "Sonst droht die Gefahr, dass Neonazis und Faschisten die Demokratie mit ihren eigenen Waffen schlagen."