UN verschärfen Ton gegenüber Äthiopien
6. Oktober 2021Äthiopien steht nach den Worten von UN-Generalsekretär António Guterres vor einer "immensen humanitären Krise". Kollegen vor Ort berichteten immer öfter von hungerbedingten Todesfällen, machte Guterres bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates in New York deutlich.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind gegenwärtig bis zu sieben Millionen Menschen in den Regionen Tigray, Amhara und Afar dringend auf Hilfslieferungen angewiesen, um zu überleben. "Dazu gehören mehr als fünf Millionen Menschen in Tigray, wo schätzungsweise 400.000 Menschen bereits unter einer Hungersnot leiden", so Guterres. Erforderlich sei ein sofortiges Handeln.
Der Generalsekretär bezeichnete es als besonders beunruhigend, dass die äthiopische Regierung gerade in dieser Lage sieben hochrangige UN-Mitarbeiter - die meisten von ihnen sind humanitäre Helfer - des Landes verwiesen habe. Sie haben nach UN-Angaben aus Sicherheitsgründen Äthiopien inzwischen verlassen.
Guterres rief die äthiopischen Behörden auf, angesichts der Notlage die humanitäre Arbeit der Vereinten Nationen nicht zu behindern. Zugleich kritisierte er das nordostafrikanische Land dafür, dass es sich nicht an das übliche Prozedere bei Problemen mit UN-Beamten halte.
Die Zentralregierung in Addis Abeba hatte in der vergangenen Woche die Ausweisung verfügt. Sie warf den sieben UN-Mitarbeitern vor, sich in die inneren Angelegenheiten Äthiopiens eingemischt zu haben.
Sorge vor einem Präzedenzfall
Guterres will eine Rückkehr des Personals erreichen und bekräftigte bei der Dringlichkeitssitzung, dieser beispiellose Vorgang "sollte uns alle zutiefst beunruhigen, da er den Kern der Beziehungen zwischen den Vereinten Nationen und den Mitgliedsstaaten trifft". Die UN haben nach Angaben eines Sprechers bislang keinerlei Informationen zu dem angeblichen Fehlverhalten ihrer Beamten bekommen.
Es herrscht die Sorge, dass das Vorgehen Äthiopiens einen Präzedenzfall bei Konflikten schaffen könnte, wie sie auch in Myanmar oder Afghanistan bestehen. "Wenn wir die Situation in Äthiopien nicht lösen, könnte dies einen Schneeballeffekt auslösen", sagte ein UN-Botschafter.
Die Regierung des äthiopischen Friedensnobelpreisträgers Abiy Ahmed hatte im November 2020 eine Militäroffensive gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) begonnen, die bis dahin in der Region Tigray im Norden des Landes an der Macht war. Hintergrund waren jahrelange Spannungen zwischen der TPLF und der politischen Führung in Addis Abeba. Inzwischen sind weitere Akteure beteiligt, darunter eritreische Truppen und Milizen. Die TPLF beschuldigt die Regierung des Völkermords, während Abiy der Organisation vorwirft, einen ethnisch-motivierten Konflikt angezettelt zu haben. Die Gewalt weitete sich auf die Regionen Afar und Amhara aus.
Die Vereinten Nationen sprechen von der schwersten Hungerkrise in Äthiopien seit einem Jahrzehnt. Guterres verglich die Lage vor dem UN-Sicherheitsrat mit der Hungersnot in Somalia 2011.
se/wa (afp, rtr, dpa, epd)