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Politik

Entwicklung ist auch Sicherheitspolitik

Daniel Pelz
3. September 2018

Bei der Berliner Tschadsee-Konferenz geht es um die Zukunft einer gefährdeten Region Afrikas. Achim Steiner, der Leiter des UN-Entwicklungsprogramms, möchte mit langfristiger Hilfe auch den Terrorismus bekämpfen.

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Tschadsee-Konferenz im Auswärtigen Amt
Bild: DW/D. Blaise

Deutsche Welle: Herr Steiner, wie ist die humanitäre Lage in der Tschadsee-Region?

Steiner: Weiterhin ernst, und deswegen auch jetzt diese Konferenz in Berlin. Aber vor dem Hintergrund der Dürreperiode 2016/17 und der sich hier abzeichnenden Hungerkatastrophe haben wir damals mit der internationalen Gemeinschaft humanitäre Hilfe bereitstellen können und diese Hungerkatastrophe vermieden.

Aber natürlich, die Gründe, weshalb diese extreme Not entstanden ist, auch mit der Boko-Haram-Bewegung, dem Terrorismus, der Unsicherheit - diese Auslöser sind immer noch vorhanden, und im Augenblick sind zehn Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen.

Haben Sie die erforderlichen Mittel, um den Millionen Betroffenen zu helfen?

Es ist leider Alltag bei den Vereinten Nationen, dass wir oft die Kosten der Hilfe beziffern, aber von der internationalen Gemeinschaft nur einen Bruchteil der Hilfe bekommen. Im Fall der Tschadsee-Region kann man aber sagen, dass die Konferenz von Oslo 2017 670 Millionen Dollar zugesagt hat und dass 90 Prozent dieser Zusagen auch erfüllt worden sind. Das ist ein gutes Zeichen, mit dem wir vieles haben bewirken können, Millionen Menschen unterstützt und eine Hungerkatastrophe vermieden haben.

Aber auch die Konferenz jetzt in Berlin kommt zusammen, um sozusagen den Bedarf für humanitäre Hilfe zu beziffern, aber auch mit einem sehr starken Vorzeichen: Langfristige Investitionen. Wir müssen die Grundursachen, wir müssen auch die Auslöser dieser Krisen viel stärker in den Vordergrund rücken. Das ist das Ziel: Humanitäre Hilfe und Stabilisierung und längerfristige Entwicklungsinvestitionen gemeinsam voranzubringen.

Nicht genug Geld, was bedeutet das konkret für die Arbeit der UN?

Achim Steiner
Achim Steiner: Geldmangel führt zu sehr, sehr harten EntscheidungenBild: DW/N. Pontes

Im humanitären Bereich bedeutet das leider sehr tragische Entscheidungen. Wenn Menschen in Flüchtlingslagern leben, wenn sie Binnenvertriebene sind in Ihrem eigenen Land, dann bedeutet das manchmal, die Essensrationen zu halbieren, die Krankenstationen zu schließen, die Schulen zu schließen, also sehr, sehr harte Entscheidungen. Und natürlich, wenn man sich die Sahel-Region heute anschaut und fragt: Die haben doch die ganzen Jahre Entwicklungshilfe bekommen!?, dann nehmen Sie sich mal einen Atlas und schauen sich an, was die Größe dieser Region ist und dann kann ich Ihnen auch sagen, in welchem Verhältnis die internationale Hilfe stand. Leider hat die Sahel-Region über die letzten 20, 30 Jahre zwar immer wieder humanitäre Hilfe bekommen bei Krisen, aber eine Investition in die langfristige volkswirtschaftliche, infrastrukturelle Entwicklung hat bis heute in vielen Teilen leider noch nicht stattgefunden. Und in diese Freiräume der Frustration, der Ungleichheit, der Unsicherheit drängen natürlich dann auch Extremisten - daher das Phänomen Boko Haram und andere.

Wir haben viel über die Geber gesprochen. Wie geht es denn mit den Regierungen, den Menschen vor Ort, die mit dem Ausmaß dieser Krise fertig werden müssen?

Sie sind in vielen Teilen überfordert. Selbst ein Land wie Nigeria kann sicherheitspolitisch den Nordosten Nigerias nicht vollständig kontrollieren. Das heißt, es ist ein sicherheitspolitisches Problem, eine Krise. Es ist eine ökonomische Krise, die sich natürlich dann auch in sozialen Krisen ausdrückt, bis dahin, dass wir humanitäre Hilfe brauchen, weil Millionen von Menschen aus ihren Heimatgebieten vertrieben worden sind oder flüchten müssen. Und natürlich ist das erst einmal eine enorme Belastung des Budgets der Länder. Es ist auch für sie natürlich eine Herausforderung, sich viel stärker mit der Frage zu befassen: Haben wir Regionen zu lange vernachlässigt? Haben wir mehr Geld in die Hauptstädte investiert, in moderne Industrie, aber ganze Gruppen in den Randgebieten eines Landes vernachlässigt, die bis heute keinen elektrischen Strom haben, keine Gesundheitsversorgung, für die der Staat im Grunde gar nicht existiert. Und dann kommen diese Bewegungen über die Grenze, mit Geld und auch mit Unterstützung, und auf einmal gibt es einen neuen Freund.

Achim Steiner ist Leiter des UN-Entwicklungsprogramms, UNDP.