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Terrorgeflecht auf dem Sinai

Andreas Gorzewski8. November 2015

Die Hinweise auf einen Anschlag auf den russischen Airbus über dem Sinai lenken die Aufmerksamkeit auf ägyptische Terrorgruppen in der Region. Dort sind neben dem IS noch viele andere Gruppen aktiv - ein Überblick.

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Beduinen auf der Sinai-Halbinsel zeigen im Jahr 2012 die Al-Kaida-Flagge (Foto: AFP)
Bild: STR/AFP/GettyImages

Die "Sinai-Provinz" der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) brüstet sich damit, den russischen Urlauberjet über der ägyptischen Halbinsel vor einer Woche zum Absturz gebracht zu haben. Der ägyptische IS-Ableger teilte über Twitter mit: "Die Soldaten des Kalifats haben es geschafft, ein russisches Flugzeug in der Provinz Sinai zum Absturz zu bringen." Die Gruppe erklärte, damit wolle sie sich an Russland rächen. Russische Kampfjets greifen seit Ende September unter anderem IS-Stellungen in Syrien an. Die nun abgestürzte Passagiermaschine hatte 224 Insassen an Bord, die alle ums Leben gekommen sind. Die ägyptischen Ermittler dementierten zwar einen IS-Anschlag, doch westliche Geheimdienste halten das für wahrscheinlich. Allerdings ist die "Sinai-Provinz" des IS nur eine von vielen Terrorgruppen in den unwegsamen Bergen der Halbinsel. Unter anderem Al-Kaida-Ableger machen den Rivalen vom "Islamischen Staat" dort die Dschihad-Vorherrschaft streitig.

Die "Sinai-Provinz" des IS ist die bekannteste und stärkste Extremistengruppe im Nordosten Ägyptens. Sie ging aus der Organisation Ansar Bait al-Makdis (frei übersetzt: Unterstützer von Jerusalem) hervor, die 2011 entstanden war. Im November 2014 legte die Gruppe den Treueeid auf den selbst erklärten IS-Kalifen Abu Bakr Al-Baghdadi ab und änderte ihren Namen in "Sinai-Provinz". Der IS beherrscht im Norden und Osten Syriens sowie im Nordwesten des Irak ein großes Gebiet. Eine Reihe von Gruppen im Orient erklärte sich selbst zu "Provinzen" dieses Kalifatsstaates.

Anfangs griff die Gruppe das benachbarte Israel an. Der frühere Name spielt auf die angestrebte Eroberung von Jerusalem an. IS-Führer Al-Baghdadi soll dann laut Shaul Shay vom International Institute for Counter Terrorism mit Sitz im israelischen Herzliya befohlen haben, Botschaften und Staatsbürger derjenigen Staaten anzugreifen, die der US-geführten Koalition gegen den IS angehören. In den vergangenen Jahren wurden vor allem ägyptische Militärs und Sicherheitskräfte immer wieder Ziel sehr ausgefeilter Überfälle. So griff die Gruppe im Januar 2015 mit Selbstmordattentätern und Mörsergranaten eine Reihe von Zielen im Nordsinai an. Dabei kamen mehr als 30 ägyptische Soldaten ums Leben.

Der IS bekannte sich zum Anschlag auf eine Polizeiwache in El-Arisch am 12. April 2015. (Foto: dpa)
Der IS bekannte sich zum Anschlag auf eine Polizeiwache in El-Arisch am 12. April 2015.Bild: picture-alliance/epa/STR

Unklare Kämpferzahl

Schätzungen über die Zahl der Kämpfer der "Sinai Provinz" gehen von mehreren Hundert bis zu mehr als tausend. Dem Washingtoner Tahrir Institute for Middle East Policy zufolge verfügt die Gruppe über moderne Waffen, darunter auch tragbare Luftabwehrsysteme.

Ähnlich wie die bereits erwähnten Ansar-Bait al-Makdis in seiner Anfangsphase hat auch der Mudschahedin Schura-Rat vor allem Israel im Visier. Die salafistisch-dschihadistische Gruppe ist einer Übersicht der israelischen Armee zufolge für eine Reihe von Raketenangriffen auf Israel verantwortlich. Die Gruppe sympathisiert nach einem Bericht des Center for Security Studies der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich mit der "Sinai Provinz" des IS.

In Konkurrenz zum IS steht die Gruppe Ansar al-Dschihad (Unterstützer des Dschihad), die von einigen Experten mit der Organisation "Al-Kaida auf der Sinai-Halbinsel" identifiziert wird. Andere sehen darin zwei Organisationen. "Al-Kaida auf der Sinai-Halbinsel" soll im Dezember 2011 unter dem Kommando von Ramsi Mahmud al-Mowafi entstanden sein. Al-Mowafi war einst angeblich Leibarzt von Al-Kaida-Gründer Osama bin Laden. Den Ansar al-Dschihad werden unter anderem Anschläge auf Gas-Pipelines auf der Halbinsel angelastet.

Am 16. Juli 2015 soll der IS ein ägyptisches Marineschiff mit einer Rakette getroffen haben. (Foto: AFP)
Am 16. Juli 2015 soll der IS ein ägyptisches Marineschiff mit einer Rakette getroffen habenBild: Getty Images/Afp/S. Khatib

Früher Verbindung zur Hamas

Bereits einige Jahre älter als die meisten anderen Gruppen ist Dschaisch al-Islam (Armee des Islam). Mumtas Dughmusch, Führer eines Clans aus Gaza, baute die Gruppe im Jahr 2006 auf. Er soll früher der radikal-islamischen Palästinensergruppe Hamas angehört haben, verlegte aber dann einen Großteil seiner Aktivitäten auf den Sinai. Dschaisch al-Islam war vermutlich an der Verschleppung des israelischen Soldaten Gilad Schalit im Gaza-Streifen beteiligt. Schalit kam erst nach jahrelanger Hamas-Geiselhaft frei.

Eine Organisation, die sich Dschund al-Islam (Soldaten des Islam) nannte, griff am 11. September 2013 eine Einrichtung des ägyptischen Geheimdienstes in der Stadt Rafah an der Grenze zum Gazastreifen an. Dabei wurden sechs Menschen getötet. Das Datum des Angriffs erinnerte an die Al-Kaida-Attacken vom 11. September 2001 in den USA. Vermutlich steht die Gruppe der Al-Kaida-Ideologie nahe.

Bei dem Anschlag auf einen Touristenbus im Feburar 2014 bei Taba starben vier Menschen. (Foto: AFP)
Anschlag auf einen Touristenbus im Feburar 2014 bei Taba. Das Attentat wurde Ansar Bait al-Makdis zugeschrieben.Bild: Nameer Galal/AFP/Getty Images

Alter Gruppenname wiederbelebt

Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe meist kleiner Gruppen. So tauchte nach dem Sturz des ägyptischen Langzeitherrschers Husni Mubarak im Jahr 2011 die Organisation Takfir wal-Hidschra (Exkommunikation und Emigration) auf. Eine Gruppe dieses Namens existierte bereits in den 1970er Jahren und verübte damals zahlreiche Anschläge. Allerdings hat die neue Gruppe nach Einschätzung des Washingtoner Tahrir-Instituts vermutlich keine ernsthaften Verbindungen zu der einstigen Gruppe.

Alle diese Organisationen profitieren von der schwachen Kontrolle der ägyptischen Sicherheitskräfte über die relativ dünn besiedelte Bergregion im Süden des Sinai. Im Norden arbeiten viele radikale Bewegungen mit Extremistengruppen im Gaza-Streifen zusammen. Schmuggel, Korruption und die Vernachlässigung der Beduinen in der Region durch die Regierung in Kairo sind weitere Gründe, warum sich ausgerechnet in diesem Gebiet Terrorgruppen ansiedeln konnten.