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Unfairer Vorteil oder Inklusion: Transathleten im Sport

Marcel Aburakia
24. Juni 2021

Laurel Hubbard wird als erste offen erklärte Transathletin an Olympischen Spielen teilnehmen. Während die einen darin ein willkommenes Zeichen für mehr Diversität sehen, fürchten andere das Ende des fairen Wettbewerbs.

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Gewichtheben - Transgender Athletin Laurel Hubbard
Transfrau Laurel Hubbard aus Neuseeland geht in Tokio an den StartBild: Mark Schiefelbein/AP/picture alliance

Die Entscheidung ist ebenso kontrovers wie historisch: Das neuseeländische Olympische Komitee hat Laurel Hubbard als Gewichtheberin für die Olympischen Spiele von Tokio nominiert. Die 43-jährige Hubbard, mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren und aufgewachsen, wird damit die erste Transgender bei Olympia.

Fabienne Peter hat ebenfalls Geschichte geschrieben: 2018 spielte als erste Transfrau im schweizerischen Eishockey. Im Moment ist sie im Frauen-Team des EHC Basel aktiv. Die Nachricht über Hubbards Nominierung hat für sie besondere Bedeutung. "Ich habe es im Radio gehört", erzählt sie im Gespräch mit der DW, "als erstes habe ich gedacht: Cool. Aber dann wurde mir bewusst, dass das wirklich absolut fantastisch ist." Peter kennt die Hindernisse und den Schmerz den Hubbard überwinden musste. Als Teenager begann sie Eishockey und Inline-Hockey zu spielen. Schnell wurde ihr bewusst, dass sie in der "falschen" Umkleide sitzt, mit den "falschen" Teamkameraden. "Es war nur ein Gefühl", erinnert sie sich, "etwas hat sich einfach nicht richtig angefühlt."

Fabienne Peter, Transfrau & Eishockey-Spielerin EHC Basel
Fabienne Peter: als Transfrau im Eishockey aktivBild: Madeleine Retif Photography

Mit Anfang 20 ist Peter bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv und kommt mit ihrer Freundin zusammen. "Diese innerliche Zerrissenheit war immer da. Also habe ich mich voll in den Sport, ins Eishockey gestürzt, um mich irgendwie abzulenken." Mit Ende 20 kommt für Peter der Punkt, an dem sie sich entschließt, "es anzupacken", wie sie es ausdrückt. Sie beginnt eine Hormontherapie. Ihre Frau ist eingeweiht und weiß schon länger von Peters Sehnsucht. Ihr Umfeld erfährt nach und nach von dieser Entwicklung.

Unterstützt vom Trainer ihres Ex-Klubs findet Peter damals den Mut, den schweizerischen Eishockey-Verband um eine Regeländerung zu bitten. Der Verband reagiert zügig und passt seine Vorschriften den Regeln an, die das Internationale Olympische Komitee 2015 verabschiedet hat. Darin ist festgelegt, dass das Testosteron-Niveau von Athletinnen mindestens zwölf Monate unter zehn Nanomol pro Liter Blutserum liegen muss, bevor sie an Wettkämpfen teilnehmen dürfen.

Von diesem Punkt an musste Peter nicht mehr "in der falschen Umkleide sitzen, mit den falschen Mannschaftskameraden."  Aber genau wie Gewichtheberin Hubbard musste sie über einen Punkt wieder und wieder diskutieren.

Transfrau im Sport: Vorteil oder Nachteil?

"Wenn Transfrauen im Sport aktiv sind, wird das oft als unfair angesehen. Die Kritiker beharren immer auf ihrem angeborenen Geschlecht", erläutert Peter. "Die Schwierigkeit ist, dass das alles negiert, was man als Transfrau durchgemacht hat. Das Training, die Therapie und das Trauma."

Die Wissenschaft hat bisher keine eindeutige Antwort gefunden. Die internationale Federation der Sportmedizin, ein Zusammenschluss nationaler Sportmedizin-Verbände mit Sitz in Lausanne, beklagte kürzlich einen "eklatanten Mangel an wissenschaftlichen Daten". Dieser macht es im Moment praktisch unmöglich, die Frage abschließend zu beantworten, ob Transgender-Athletinnen im Wettkampf mit Frauen einen Vorteil haben.

Es gibt jedoch einzelne Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Kraftvorteile der Transgender auch nach drei Jahren Hormontherapie anhalten und messbar sind. Andere Studien besagen, dass der Vorteil in der Leistungsfähigkeit der Transfrauen nach einem Jahr Hormontherapie messbar ist, nach zwei Jahren aber deutlich abnimmt.

Davon ganz abgesehen hat die ständige Hormoneinnahme natürlich auch Auswirkungen. Eishockeyspielerin Peter durchlebte mit Mitte 30 eine zweite Pubertät. "Ich kann keine solchen Gewichte mehr stemmen, wie als Mann. Ich war schockiert wie groß der Unterschied ist. Ohne Testosteron bin ich deutlich schwächer", erklärt sie. "Ich bin heute weder stärker noch schneller als meine Mitspielerinnen."

"Das sollte ausreichen", betont Dr. Birgit Braumüller von der Deutschen Sporthochschule Köln gegenüber der DW. "Wenn man die Therapie durchmacht, die Regeln respektiert und die vom IOC definierten Schwellenwerte einhält, dann sollte das eigentlich geklärt sein." Ungeachtet dessen hält die Kritik jedoch an. Aber warum?

Die Illusion von Gleichheit

Braumüller untersucht den Werdegang von Transgender-Athletinnen und -Athleten. Speziell im Sport werden sie häufig diskriminiert. In einer europaweiten Studie bejahten 95 Prozent der Teilnehmer aus der LGTBQ-Community die Frage, ob der Sport ein Problem mit Transphobie habe. Von den Transgendern im Sport berichteten 40 Prozent von Beleidigungen, Diskriminierung, Drohungen oder gar körperlicher Gewalt innerhalb des vergangenen Jahres.

China - Olympische Sommerspiele 2008 in Peking: Usain Bolt gewinnt Gold mit Weltrekordzeit
Gleichheit im Sport als Illusion - Beispiel: die physischen Voraussetzungen Usain Bolts Bild: picture-alliance/L. Perenyi

Laut Braumüller führt die Fairness-Diskussion gerade im Sport in die falsche Richtung, "weil völlige Gleichheit ohnehin eine Illusion ist. Es gibt immer jemanden, der irgendwie einen körperlichen Vorteil hat, denken sie an Usain Bolt oder Michael Phelps. Also, warum ist das bei Transathleten ein solches Problem?"

Während die Sportmedizin noch nach eindeutigen Antworten sucht, liegt der soziologische Befund von Transphobie auf der Hand. Fabienne Peter kennt das, ist aber selbst bisher nicht Opfer davon geworden. "Während ich gute Erfahrungen gemacht habe und mich sehr gut integriert fühle, werden andere vielleicht toleriert, aber nie wirklich akzeptiert."

Laurel Hubbard als Hoffnungsträgerin

Aus Sicht von Fabienne Peter wird Laurel Hubbard in die Geschichte eingehen - egal, ob sie eine Medaille holt oder nicht. Ihre Teilnahme allein "ist ein positives Signal in ganz vielen Facetten. Es ist ein klares Zeichen von Empowerment und kann helfen, die Ängste von Transmenschen abzubauen."

Gewichtheben - Gold Coast Commonwealth Games 2018 - Frauen + 90 kg - Finale - Laurel Hubbard von Neuseeland
Medaillenkandidatin Hubbard: unterstützt vom Nationalen Olympischen KomiteeBild: Paul Childs/REUTERS

Das Problem seien weniger die Transgender im Sport, sondern vielmehr das System, das nach wie vor an hetero-normativen Strukturen festhalte und so gewisse Gruppen ausschließe. "Aber Sport ist für alle da", unterstreicht Peter.

Für den Moment hält das IOC an den bestehenden Regeln fest. Ursprünglich sollten sie vor den Spielen in Tokio überarbeitet und verschärft werden. Ende 2019 kam die Gruppe von Expertinnen und Experten jedoch zu dem Schluss, dass man sich nicht auf gemeinsame Regularien einigen könne. Eine Änderung hätte zudem bedeutet, dass die Regeln mitten in der Qualifikationsperiode für die Spiele, also während bereits laufender Wettkämpfe verändert worden wären. Das sei "weder ethisch noch juristisch zulässig" urteilte das IOC und verschob den Prozess auf die Zeit nach Tokio. Das Komitee wird Antworten finden müssen, erst recht, nach dem Start von Laurel Hubbard unter den Olympischen Ringen. "Ich hoffe, sie fällen Entscheidungen unter Beteiligung von Transathleten, nicht ohne sie", sagt Peter.

Sollte Hubbard ihren Wettbewerb gewinnen hat Peter einen guten Rat für sie: "Du hast fair und verdient gewonnen. Du hast Dich an alle geltenden Regeln gehalten und hart dafür gearbeitet. Also, genieß' es!"

Adaption: Jens Krepela