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Politik

Ungeimpfte sollen weniger Freiheiten haben

15. November 2021

Die Ampel-Parteien wollen Kontaktbeschränkungen - doch nur für Menschen, die nicht gegen COVID-19 geimpft sind. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter.

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Deutschland | Coronavirus | 2G Regeln
SPD, Grüne und FDP wollen die 2G-Regel massiv ausweiten (Archivbild)Bild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Angesichts hoher Corona-Infektionszahlen rückt ein faktischer Lockdown für Ungeimpfte auch in Deutschland näher. Kontaktbeschränkungen für Menschen, die kein zugelassenes COVID-19-Vakzin erhalten haben, seien "unbedingt notwendig", sagte der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer im ZDF. Der geimpfte Teil der Bevölkerung müsse weiter am öffentlichen Leben teilnehmen können. "Da, wo das notwendig ist", seien Maßnahmen gegen die anderen Bürger angemessen. Dies werde abhängig vom Infektionsgeschehen regional entschieden.

Die Parteien einer möglichen Ampel-Koalition, SPD, Grüne und FDP, hatten ihre Pläne im Kampf gegen die Pandemie am Sonntag verschärft. So soll zwar die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" offiziell enden, doch nicht die Möglichkeit, Kontaktbeschränkungen zu verhängen. Grünen-Chef Robert Habeck sagte in der ARD: "Kontaktbeschränkung oder 2G-Regelung heißt in weiten Teilen: Lockdown für Ungeimpfte. Das ist die Vulgärübersetzung."

3G-Regel für Busse und Bahnen

Gemäß einer Vereinbarung der Ampel-Fraktionen, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sollen nur noch Geimpfte und innerhalb eines bestimmten Zeitraums Genesene ohne einen negativen Testnachweis Busse und Bahnen benutzen dürfen. Auch am Arbeitsplatz soll die 3G-Regel (geimpft, genesen oder getestet) gelten.

Robert Habeck | Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
"Lockdown für Ungeimpfte - das ist die Vulgärübersetzung": Grünen-Chef Robert Habeck (Archivbild)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die Bundesländer könnten dem Papier zufolge Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen sowie Versammlungen untersagen, Hochschulen schließen und auch das Betreten von Gesundheitseinrichtungen verbieten, sofern der jeweilige Landtag dies billigt. Alle Maßnahmen gelten demnach bis März 2022 und können dann um drei Monate verlängert werden. Der Bundestag will am Donnerstag über die Vorlage abstimmen.

Sieben-Tage-Inzidenz über 300

Das Robert-Koch-Institut meldete unterdessen 303 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche. Die Zahl der Ansteckungen mit dem Coronavirus wird mit 23.607 angegeben. Das sind 8094 Fälle mehr als vor einer Woche. Regional gibt es große Unterschiede: So beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz in Sachsen 754, in Thüringen 543, in Bayern 526, in Schleswig-Holstein 98.

Deutschland | Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr
In Bussen und Bahnen soll nach dem Willen der Koalitionäre in spe die 3G-Regel gelten (Archivbild)Bild: FrankHoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte der "Rheinischen Post", es sei "absurd", angesichts von Inzidenzen um die 300 die "epidemische Lage nationaler Tragweite" offiziell aufzuheben. Montgomery forderte, den Druck auf Ungeimpfte deutlich zu erhöhen - etwa mit einer Impfpflicht "überall dort, wo Menschen eine Garantenstellung gegenüber Schutzbefohlenen haben, also im Altenheim, im Krankenhaus oder in der Schule". Nach dem Willen des Verbandschefs sollte geprüft werden, "welche Zwänge" sich ausüben ließen, ohne gegen Grundrechte zu verstoßen.

"Alle Menschen sind Teil dieser Pandemie"

Mehrere Experten unterstrichen indes, dass Menschen auch nach einer COVID-19-Impfung zum Pandemiegeschehen beitragen können. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck erklärte: "Es ist in diesem Herbst und Winter trügerisch zu glauben, dass ein Geimpfter sich nicht infizieren kann und das Virus nicht an seine Großmutter weitergeben kann, die vielleicht noch keine Booster-Impfung bekommen hat." Auch wenn es am Anfang vielleicht so ausgesehen habe - von einer "Pandemie der Ungeimpften" zu sprechen, sei nie richtig gewesen. Alle Menschen seien Teil dieser Pandemie. "In gewisser Weise" werde man um Kontaktbeschränkungen nicht herumkommen. Großveranstaltungen ließen sich dann nur unter strengen Auflagen durchführen.

Deutschland | Coronavirus | Hendrik Streeck | Virologe
"Nicht von einer 'Pandemie der Ungeimpften' sprechen": Virologe Hendrik Streeck (Archivbild)Bild: Andreas Rentz/Getty Images

Ähnlich hatte sich kürzlich Streecks Fachkollege Christian Drosten von der Berliner Charité geäußert. "Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen - auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger", sagte er der "Zeit". Die Delta-Variante des Virus habe "leider die Eigenschaft, sich trotz der Impfung zu verbreiten". Allerdings ist das Risiko, mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus zu kommen, laut Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Immunologie für ungeimpfte Personen ab 60 Jahren siebenmal höher als nach zwei Vakzingaben.

Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, kritisierte, die Politik handele zu spät. Bereits Mitte Juli habe eine Wissenschaftlergruppe der Technischen Universität Berlin ein exponentielles Wachstum der Infektionen im Herbst vorhergesagt. Dieses Frühwarnsystem sei weitgehend ignoriert worden, sagte Johna ebenfalls der "Rheinischen Post". Nun komme es darauf an, möglichst stringent und zielgerichtet zu handeln, um Überlastungen der Krankenhäuser zu reduzieren. "Das Einzige, was jetzt zu schnellen Entlastungen führt, ist, planbare Eingriffe zurückzustellen, um zusätzliches Personal für die Unterstützung der Intensivstationen freizubekommen."

Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte in Österreich

Im Nachbarland Österreich gilt seit diesem Montag ein Lockdown für alle, die nicht geimpft sind oder in den vergangenen 180 Tagen eine nachgewiesene Corona-Infektion hatten. Sie dürfen für einen Zeitraum von zehn Tagen ihr Zuhause nur aus zwingenden Gründen verlassen. Betroffen sind etwa zwei von insgesamt neun Millionen Bürgern in Österreich.

Der Einzelhandel lehnt die Ausgangsbeschränkungen aus wirtschaftlichen Gründen ab: Die Kaufkraft großer Teile der Bevölkerung werde "in der wichtigsten Zeit des Jahres (...) hin zu digitalen Giganten verschoben", sagte der Geschäftsführer des Handelsverbands, Rainer Will. Dabei stecke sich erwiesenermaßen kaum jemand in Geschäften mit dem Coronavirus an. Der Verband befürchtet nach eigenen Angaben Umsatzeinbußen bis zu 350 Millionen Euro wöchentlich.

jj/sti (dpa, afp, rtr, kna)