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Unkenntnis über Körper und Gesundheit bremst Frauen im Sport

Matt Pearson
8. März 2024

Der Frauensport wird immer sichtbarer. Doch es gibt viel Nachholbedarf dabei, körperliche und gesundheitliche Parameter wie Zyklus, Menstruation und den Einfluss der Brustgröße zu verstehen und zu berücksichtigen.

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Spielszene mit Giulia Gwinn aus der Partie Niederlande gegen Deutschland
Der Fußball hat sich schneller als die meisten anderen Sportarten mit dem Thema Frauengesundheit befasstBild: Memmler/Eibner-Pressefoto/picture alliance

"Es gibt Frauen, die ihren Körper nicht verstehen und viele Dinge für normal halten, die aber nicht normal sind", sagt Emma Ross der DW. "Dazu gibt es viele Männer, die nicht die nötige Erfahrung und Perspektive haben - auch wenn sie es noch so gut meinen. Und dann gibt es ein System, das die Körper der Menschen bis an ihre Grenzen treibt."

Ross ist in Großbritannien eine führende Sportwissenschaftlerin. Sie hat an der Ausarbeitung von Gesundheits- und Fitnessplänen für das britische Team bei den Olympischen Spielen 2016 und 2020 mitgewirkt. Für sie steht fest, dass der Frauensport durch die Unkenntnis über die Gesundheit von Frauen nach wie vor massiv ausgebremst wird. Viele Sportlerinnen können ihr Potential so nicht komplett entfalten und nutzen. 

"Sport ist sehr wettbewerbsorientiert, man steht unter hohem Druck und will auf keinen Fall zerbrechlich erscheinen. Einige dieser Probleme sind mit Stigmata behaftet, und der Sport verstärkt all diese Dinge noch", sagt Ross. "Deshalb müssen wir hart daran arbeiten, das System zu ändern, um die Gesundheit von Frauen anzuerkennen und zu unterstützen."

Ross nennt die Menstruation, den Fakt, dass Frauen beim Sport ihre Brüste schützen und stützen müssen, geeignete Ausrüstung sowie die Ernährung als Bereiche, in denen die meisten weiblichen Athleten viel besser aufgeklärt und verstanden werden müssten.

Fußball als Vorreiter bei Frauengesundheit

In Ross' Heimat England hat das explosionsartige Wachstum des Frauenfußballs seit der Europameisterschaft 2022 einige dieser Probleme etwas mehr ins Licht gerückt.

Chelsea-Trainerin Emma Hayes spricht nach einem Champions-League-Spiel zu ihrer Mannschaft
Emma Hayes (2.v.r.), Trainerin des FC Chelsea, nimmt besondere Rücksicht auf die Gesundheit ihrer SpielerinnenBild: Michael Erichsen/Bildbyran/imago images

Emma Hayes, Trainerin des FC Chelsea, die demnächst den Job wechselt und US-Nationaltrainerin wird, hat auf Pressekonferenzen wiederholt über Menstruationszyklen gesprochen. Immer mehr Spielerinnen kehren nach der Geburt ihrer Kinder in den Spitzenfußball zurück. Zudem hat eine Flut von Verletzungen des vorderen Kreuzbands bei hochkarätigen Spielerinnen zu Diskussionen über Schuhwerk, schlechte Spielfelder und die Überlastung durch einen zu vollgestopften Spielplan geführt.

Systembedingte Ungleichheit nicht nur im Sport

"Frauen und Mädchen sehen sich beim Zugang zu Gesundheitsinformationen und -diensten oft größeren Hindernissen gegenüber als Männer und Jungen", stellte die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2021 fest. "Zu diesen Barrieren gehören Mobilitätseinschränkungen, mangelnder Zugang zu Entscheidungsbefugnissen, niedrigere Alphabetisierungsraten, diskriminierende Einstellungen von Gemeinschaften und Gesundheitsdienstleistern sowie mangelnde Ausbildung und mangelndes Bewusstsein der Gesundheitsdienstleister und Gesundheitssysteme für die spezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse und Herausforderungen von Frauen und Mädchen."

Größere Brüste als physiologischer Nachteil?

Diese Bedürfnisse und Herausforderungen versucht Ross durch eine neu ausgeweitete Partnerschaft zwischen dem englischen Fußballverband (FA) und dem Gesundheitsunternehmen The Well HQ, dessen Gründerin sie ist, anzugehen.

Während es Jahre dauern könne, einige Hindernisse und festgefahrene Einstellungen zu überwinden, sollten andere leichter zu bewältigen sein, sagte Ross und verweist auf die weibliche Brust als ein zu wenig beachtetes Thema. Studien zeigen, dass Frauen mit größeren Brüsten insgesamt 37 Prozent weniger Sport treiben. Auf höchstem sportlichen Niveau kann die Größe der Brüste sogar einen enormen Unterschied ausmachen, wenn sie nicht durch den richtigen Sport-Büstenhalter ausgeglichen wird.

Tennisspielerin Serena Williams
Sportlerinnen mit größeren Brüsten wie Tennisspielerin Serena Williams verbrennen beim Sport mehr EnergieBild: Frank Franklin II/AP Photo/picture alliance

"Brüste sind physiologisch bedeutsam. Sie erhöhen den Energieaufwand einer Übung. Wenn sich die Brüste bewegen, nimmt man die Anstrengung stärker wahr", sagt Ross. "Wenn man mit derselben Geschwindigkeit läuft, fühlt es sich schwieriger an, wenn die Brüste nicht gut gestützt sind."

Ein großes Sport-BH-Projekt im Vorfeld der Olympischen Spiele 2021 in Tokio habe gezeigt, dass 50 Prozent der Sportlerinnen nicht den richtigen BH trugen, der sie optimal unterstützt, so Ross. "Ich glaube, jeder denkt, wenn man mit einem weiblichen Körper geboren wird, weiß man, wie er funktioniert, und wie man das Beste aus ihm herausholt. Leider ist das nicht der Fall", sagt die Sportwissenschaftlerin.

Ernährungsbedingte Risiken

Ein weiteres Thema, das Ross beschäftigt, ist die Ernährung. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die gesellschaftliche Einstellung zur Körperform oft dazu führt, dass Frauen viel weniger essen als Männer, vor allem wenn es um Kohlenhydrate geht. Angesichts des hohen Energiebedarfs von Sportlern führt das aber oft zu einer Unterbrechung des Reproduktionszyklus, was laut Ross zwar als "normal" angesehen wird, aber die Gesundheit von Knochen, Muskeln und Gehirn sowie die Immunfunktion beeinträchtigen kann.

Sportgymnastin Darja Varfolomeev bei Übung mit Ball
In Sportarten, in denen weniger Gewicht einen Vorteil bringt, können Sportlerinnen durch ihre Ernährung Folgeschäden erleidenBild: Weber/Eibner-Pressefoto/picture alliance

"Wenn man drei, vier oder fünf Jahre vorspult, stellt man fest, dass Mädchen, die zu wenig Nahrung zu sich nehmen, Osteoporose entwickeln, weil ihnen die Hormone fehlen, die ihnen helfen, Knochenstärke aufzubauen. Bei vielen Mädchen kommt es dann zu einer Belastungsverletzung des Knochens, etwa einer Stressfraktur. Und das ist das erste Mal, dass die Unterversorgung festgestellt wird, weil ihre Knochen jetzt nicht mehr stark genug sind."

Nicht ausgeschöpftes Potential 

Ross fügt hinzu, dass die Unterversorgung auch ein Risiko für die psychische Gesundheit mit sich bringt, das sich auf die Leistung und die Langlebigkeit der Karriere auswirkt. "Wir müssen das viel besser angehen. Denn ich glaube, die Belastung, die der Sport derzeit dadurch erfährt, ist viel größer, als uns bewusst ist, wenn man bedenkt, wie viele Frauen ihr Potenzial nicht ausschöpfen."

Dieses verschenkte Potenzial gilt auch für Mädchen, denen ihre Regelblutung zu stark ist und die sich wegen ihrer Brüste beim Sport nicht wohl fühlen. Obwohl es Lösungen und Möglichkeiten für sie gäbe, machen sie dann lieber überhaupt keinen Sport.

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.