Uns Uwe, stinknormal
4. November 2016Uns Franz? Niemand wäre auf die Idee gekommen, Beckenbauer so zu titulieren. Der hieß nicht umsonst der "Kaiser". Wegen seiner leicht hochnäsigen Art, auf und neben dem Platz. Uns Günter? Niemals, viel zu exzentrisch war Netzer. Uns Wolfgang? Auch Overath war nie Integrationsfigur. Uns Gerd? Ebenfalls nicht, der unvergessene Torjäger Müller war dafür zu maulfaul. Nein, das Attribut "uns" gehört zu Seeler, weil "Uns Uwe" einfach so perfekt zu ihm passt.
Der Hamburger schlechthin
Vor 80 Jahren wurde Uwe Seeler geboren - na klar, in Hamburg. Dort ist er immer geblieben, in der Hansestadt und beim Hamburger SV. Die Elbmetropole hat ihn schon vor 13 Jahren zum Ehrenbürger gemacht, der HSV stellte eine große Bronze-Plastik seines rechten Fußes vor dem Stadion auf. Würde es in Hamburg eine Volksabstimmung darüber geben, welche noch lebende Person am ehesten die Stadt verkörpert, Uwe Seeler würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Rennen machen. Seeler ist eben für die Hamburger, plattdeutsch gesagt, "Uns Uwe".
600 Tore für den HSV
Seine Bodenständigkeit sei ihm quasi in die Wiege gelegt worden, hat Seeler dieser Tage erzählt. Den Ball immer schön flachhalten, nicht abheben. So sei er erzogen worden. "Wir sind stinknormal - und das ist wunderbar", findet Seeler. "Damit bin ich immer sehr gut gefahren." Dabei hätte Seeler allen Grund gehabt, die Nase hoch zu tragen. Er war ein außergewöhnlicher Stürmer. Über 600 Tore erzielte Seeler für den HSV, einmal (1960) wurde er mit dem Verein deutscher Meister, einmal (1963) Pokalsieger. Seeler war mit 30 Treffern der erste Torschützenkönig der Bundesliga (1964).
Mit dem Hinterkopf
Ein großer Titel mit der Nationalmannschaft blieb ihm zwar versagt, doch Seeler sorgte für unvergessene Momente. Wie jenen, als er nach dem verlorenen WM-Finale 1966 im Wembleystadion als Kapitän der deutschen Elf mit gesenktem Kopf vom Platz schlich. Oder mit seinem vielleicht berühmtesten Tor, zum 2:2 kurz vor Schluss der regulären Spielzeit im WM-Viertelfinale 1970 gegen England (Endstand 3:2 n.V.). Jedes Kind in Deutschland, das in jener Zeit auf der Straße oder im Hinterhof kickte, versuchte anschließend, Seelers Treffer mit dem Hinterkopf zu kopieren.
Kein Neureicher
Zweifellos war er schon zu seiner aktiven Zeit ein Star, aber eben einer zum Anfassen, vollkommen ohne Allüren. 1961 erhielt Seeler ein für die damalige Zeit fast unglaubliches Angebot: Inter Mailand wollte ihm für einen Wechsel zu dem italienischen Traditionsverein erst 900.000, am Ende sogar angeblich 1,5 Millionen D-Mark zahlen. Seeler schlug das Angebot aus und blieb beim HSV. Ein mehr als eindrucksvoller Liebesbeweis zum Verein und seiner Heimatstadt. Spätestens jetzt war Seeler nur noch "Uns Uwe". Einer, der durch ehrliche Arbeit ganz nach oben gekommen war und doch nicht die Bodenhaftung verloren hatte. Ein Malocher, kein Neureicher, von denen es in den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders viele gab.
Immer authentisch
Keine Eskapaden, geschweige denn Skandale, keine verbalen Entgleisungen. Seit 57 Jahren ist er mit seiner Frau Ilka verheiratet. Seeler blieb Seeler blieb Seeler. Bis heute. Das erklärt seine außergewöhnliche Popularität. Sein Wort ist immer noch gefragt, vor allem natürlich in Hamburg, besonders dann, wenn es um den HSV geht, seinen HSV. Wenn Seeler sagt, ihn schmerze der sportliche Niedergang des Vereins, nimmt ihm das jeder ab. Wem auch sonst, wenn nicht ihm? Seine Äußerungen mögen nicht geschliffen klingen, zuweilen auch wenig Tiefgang haben, authentisch aber sind sie immer. Selbst die junge Generation spürt: Einen so "Stinknormalen" wie Seeler gibt es kaum mehr im modernen Fußball, diesem durch und durch kommerzialisierten Wanderzirkus mit exorbitanten Ablösesummen und Gehältern, in dem sich Spieler fast zwangsläufig fühlen müssen, als drehte sich die Welt nicht ohne sie. Viel mehr noch als der HSV ist daher "Uns Uwe" ein Dinosaurier. Einer, den man einfach mögen muss. Mit 80 und hoffentlich auch noch eine ganze Weile länger.