"I had a dream"
9. Oktober 2018"Thirty years ago I had a dream", so beginnt Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses seine Rede. Es ist eine Rede voller Rührung. Erstmals nach der Shoa werden in Berlin orthodoxe jüdische Rabbiner ins Amt eingeführt. In der quirligen Berliner Mitte gibt es seit 2009 wieder das Hildesheimer'sche Rabbinerseminar. Vor 150 Jahren war das eine angesehene Lehrhaus, heute wird es allmählich wieder dazu. Wer in der Gegend wohnt, begegnet im Alltag wieder Juden und erlebt Restaurants mit jüdischer oder israelischer Küche.
Der heute 74-Jährige Lauder erinnert, wie er 1988 über neues jüdisch-orthodoxes Leben in Mittel- und Osteuropa nachdachte. "Das hat damals niemand für möglich gehalten." Es ist Lauder, der mit seiner eigenen Stiftung gewiss Zigmillionen Euro in jüdische Gemeinden steckte, Bildungseinrichtungen förderte, Lehrer und Rabbiner finanzierte, Gebäude errichtete. Auch die Beth-Zion-Synagoge mit dem neuen Rabbinerseminar wurde von der Ronald-Lauder-Foundation mitfinanziert und bis heute unterstützt. "Viele sagten damals: Es ist unmöglich – wir alle sehen: es ging." Und Lauder, der seine Stiftung nicht nennt, dankt der Bundesregierung.
Synagoge, Kindergarten, Supermarkt
Vor gut 15 Jahren war die einstige Synagoge noch ein ungenutzter farbloser Bau in einem verwahrlosten Hinterhof. Eine hebräische Inschrift kaum mehr zu entziffern. Aber seit bald zehn Jahren dient sie wieder den zahlreichen Orthodoxen, die hier die Thora studieren, als Gotteshaus, neu erstanden als selbstbewusster Bau. Nebenan ist ein jüdischer Kindergarten, hinter der nahen Straßenkreuzung ein koscherer Supermarkt. Und die Synagoge wird Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr, bewacht von Berliner Polizisten und eigenen Wachmännern der jüdischen Gemeinde. Auch das ist, bei aller Größe dieses Tages, Berlin 2018.
Es ist ein Tag der heiteren Zuversicht und der Glückwünsche. Aber es ist eben auch ein Tag der ernsten Mahnungen. Jeder der offiziellen Redner kommt auf den neuen Judenhass, auf Übergriffe und Boykottaufrufe. "Diese antisemitischen Vorurteile stecken tief in den Köpfen und verbreiten sich in einer beängstigenden Geschwindigkeit", sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. Er mahnt zu Wachsamkeit und Engagement gegen diese Judenfeindschaft: "Das betrachte ich in erster Linie als Aufgabe der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft", betont er. Freiheit bedeute für Juden, "sich bewegen zu können mit sichtbaren Zeichen des Judentums ohne angestarrt, angepöbelt oder gar geschlagen zu werden."
"Hitlergruß und Hassparolen"
Das nehmen Außenminister Heiko Maas, der sich seit Amtsantritt immer wieder gegen Judenfeindschaft äußert, und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller auf. "Unsere Verantwortung, jüdisches Leben zu schützen, endet nie", betont Maas. Es erschaudere ihn, "wenn ich sehe, dass Hitlergruß und Hassparolen sich wieder auf unseren Straßen breit machen. Und geistige Brandstifter Menschen anderer Herkunft oder anderen Glaubens ihre Menschenwürde absprechen." Und Müller mahnt, der Kampf gegen Antisemitismus sei nur zu gewinnen, "wenn er nachhaltig und auf vielen Ebenen geführt" werde. Er wolle ein Berlin, "in dem Jüdinnen und Juden ihren Glauben selbstbewusst zeigen".
Die Worte der Politiker ernst und entschlossen. Doch beeindruckender wirken dann die Auftritte mehrerer Rabbiner. Auch sie erwähnen die Judenfeindschaft. Aber sie nennen das Gottvertrauen, die Glaubensfreude, den "unheilbaren Optimismus" der Juden.
Er sah die Thorarollen brennen
Der Rektor des Seminars, Dayan Chanoch Ehrentreu, ist noch ein Zeuge der Novemberprogrome, die sich in einem Monat zum 80. Mal jähren. 1932 in Frankfurt am Main geboren, gelang seiner Familie 1939 die Flucht nach England. In seiner Rede wird aus seinem Englisch jiddisches Englisch, dann jiddisches Deutsch, wieder Englisch. Von der Asche der Shoa und den bei den Pogromen brennenden Thorarollen, an die er sich erinnert, bis heute.
Für ihn, sagt er, habe sich mit der Ordination der jungen Männer in Berlin ein Traum erfüllt, an dessen Realisierung er viele Jahre gearbeitet habe. So überreicht Ehrentreu, der lange die wichtigste Autorität in jüdischen Rechtsfragen Europa war, drei neuen Rabbinern, die in der Sowjetunion, der Ukraine, aufwuchsen, im einst kommunistischen Osten von Berlin feierlich die Urkunden zur Ordination. Und bittet um Segen "für diese Rabbiner und ihr Werk in der Zukunft".
"Nicht mit Kippa offen unterwegs"
Einer der drei, mit 30 Jahren der Jüngste, ist Shlomo Sajatz. Er ist der einzige, der als Rabbiner in Ostdeutschland wirkt, in Magdeburg. In der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt gibt es eine Gemeinde mit rund 500 Mitgliedern. Ob er dort mehr Angst hat? "Da gibt es", sagt er der Deutschen Welle, "keinen Unterschied zwischen Magdeburg und Berlin. "Klar, auch in Magdeburg gibt es einige Straßen, wo man nicht erkennbar mit Kippa oder Gebetsschal über die Straße gehen sollte." Aber das beunruhige ihn nicht. Deutschland 2018.