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KonflikteNiger

Uran für Europa: Niger diskutiert den Lieferstopp

Martina Schwikowski | Philipp Sandner
29. September 2023

Frankreichs Atomkraftwerke laufen unter anderem mit Uran aus dem Niger - stabile Lieferungen nach dem Putsch sind also für ganz Europa wichtig. Doch in dem westafrikanischen Land gibt es Forderungen, diese einzustellen.

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Niger französische Uranmine bei Arlit
Uran-Tagebau im Nordwesten des Niger: Frankreich setzt fest auf den Rohstoff für seine Atomkraftwerke.Bild: Maurice Ascani/Areva/AP Photo/picture alliance

Erst Mali, dann Burkina Faso, jetzt Niger: Mit dem Abzug seiner Truppen aus dem Sahel beugt sich Frankreich den neuen Machtverhältnissen, die keinen Raum mehr sehen für die direkte Einmischung der ehemaligen Kolonialmacht. Auch der französische Botschafter Sylvain Itté ist nach einem Monat des Kräftemessens aus Niamey nach Paris zurückgekehrt. Doch es brodelt weiter: Jetzt fordert ein zivilgesellschaftliches Bündnis mit klaren Worten die Beendigung der französischen Rohstoffgeschäfte im Niger.

Denn Uran ist das wichtigste Handelsgut des Sahel-Staats, der seit zwei Monaten von den Putschisten des CNSP (Nationalrat für den Schutz des Vaterlands) regiert wird. Und für Frankreich steht viel auf dem Spiel: Rund zwei Drittel des französischen Stroms stammen aus Atomkraftwerken - betrieben auch mit Uran aus dem Niger. Dessen Lieferungen will das Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisatiionen M62 gerne beendet sehen. "Wir fordern den Nationalrat auf, die Fördererlaubnis für die Imouraren-Mine zurückzunehmen", erklärte dessen Koordinator Abdoulaye Seydou kürzlich in einer Videobotschaft. Diese werde "illegal" von dem französischen Unternehmen Orano gehalten und müsse entsprechend dem nigrischen Bergbau-Gesetz in nationale Hände zurückgegeben werden.

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Ungleiche Partnerschaft

Dass Frankreich sich schwertut, seine Einflusszone und wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Niger aufzugeben, trifft im Niger auf wenig Verständnis: "Jeder im Niger empfindet diese Partnerschaft als sehr ungleich", erfuhr die DW von Mahaman Laouan Gaya, Ingenieur für Petrochemie. Für ihn gibt es große Ungereimtheiten. So habe Niger 2010 Uran im Wert von 3,5 Milliarden Euro an Frankreich exportiert, aber nur 459 Millionen Euro von dort erhalten.

Niger Sitz der französischen Firma Somair in Niamey
Somair, hier die Zentrale in Nigers Hauptstadt Niamey, ist für den Uran-Abbau in Niger hauptverantwortlich - und gehört zu 63 Prozent dem französischen Oran-KonzernBild: Joerg Boethling/IMAGO

"Wenn Niger sich gegen Uranexporte nach Frankreich entscheidet, hat das dramatische Konsequenzen für Frankreich, aber wenig Auswirkungen auf die nigrische Wirtschaft", schrieb Gaya, früherer Energieminister des Niger, der bis 2020 Generalsekretär der Organisation Afrikanischer Erdölproduzenten (APPO) war, der DW nach dem Putsch. Rund 90 Prozent der Bevölkerung hätten keinen Strom, durch die preisliche Ausbeutung erhalte Niger auch heute zu wenig Einkommen für seine Exporte, kritisiert er.

Lieferungen nicht gestoppt

Seit Jahrzehnten fördert der französische Konzern Orano (vormals Areva) Uran im Niger, der nicht zuletzt zur Produktion von Brennstäben für Frankreichs 56 Atomkraftwerke Verwendung findet. Nach dem Putsch am 26. Juli hatte die Junta einen Uran-Exportstopp verfügt. Doch dessen Umsetzung bleibt weiter unklar.

Der ehemalige Premierminister und Oppositionsführer Nigers, Hama Amadou, gibt sich gelassen. Dem Sender Voxafrica sagte er, die Bergbaugesellschaft produziere weiterhin das Uranat - das Grundprodukt für die Herstellung von Uran: "Ich glaube nicht, dass die neuen Behörden die Uranabbauverträge zwischen Frankreich und Niger gekündigt haben. Wovor hat der französische Staat also Angst, wenn es um seine Interessen in Niger geht?"

Tiefe Verflechtungen beider Staatskonzerne

Nigers Uranförderung ist fest in französischer Hand. Die Firma Somair, die in der Sahara in Niger größte Uranmine am Rand der Stadt Arlit ausbeutet, gehört zu 63 Prozent der mehrheitlich staatlichen französischen Orano-Gruppe. Die restlichen 37 Prozent gehören der nigrischen Staatsfirma Sopamin. Aus der Somair-Mine kamen 2021 über 90 Prozent des nigrischen Uranexports. Mit der gestürzten Regierung von Mohamed Bazoum hatte Frankreich zudem vereinbart, die stillgelegte Mine Cominak wieder in Betrieb zu nehmen.

Erst im Mai dieses Jahres hat der französische Atomkonzern Orano neue Verträge mit der nigrischen Regierung unterzeichnet. Bis 2040 soll der französische Uran-Abbau in Niger verlängert werden. Aus Sicht des nigrischen Journalisten Seidick Abba ändert der Putsch nichts an diesen Verpflichtungen: "Das Uran wird nach wie vor aus der Mine bei Arlit über Cotonou nach Frankreich verschifft. Der Vertrag gibt Niger nicht das Recht, die Lieferungen zu beenden." Die Putschisten hätten keinen Einfluss auf die kommerzielle Vereinbarung der Konzerne, sagte Abba der DW im August. "Die Junta hat keine Möglichkeit, die Lieferungen zu stoppen."

Europa hat verschiedene Lieferanten

Im vergangenen Jahr erhielt Frankreich laut Daten der Euratom-Versorgungsagentur rund ein Fünftel seines Urans aus Niger. Das entspricht auch in etwa dem Durchschnittswert der letzten zehn Jahre, in denen insbesondere auch die zentralasiatischen Staaten Kasachstan und Usbekistan beträchtliche Mengen Uran lieferten. Noch 2022 war Niger Frankreichs drittgrößter Uranlieferant, sagt auch Alex Vines vom britischen Thinktank Chatham House. Aber die Abhängigkeit werde überschätzt, sagt Vines: "Frankreich macht Geschäfte mit Ländern wie Kasachstan, Australien, Namibia - Es kann seine Uranversorgung leicht diversifizieren", so Vines im DW-Interview.

Im vergangenen Jahr stammten nach Angaben der World Nuclear Association nur fünf Prozent des auf dem Weltmarkt verkauften Uran aus dem Niger. Dennoch befürchten manche Analysten Preissteigerungen mit weitreichenden Auswirkungen, sollte weniger oder kein Uran mehr aus dem Niger auf den Weltmarkt gelangen: Welch großen Anteil die französische Atomkraft an der europaweiten Strompreisbildung hat, war im Sommer 2022 sichtbar, als vielen Kraftwerken das Kühlwasser ausging. Mit Sorge vor noch höheren Preisen erhofft sich Europa also vorsorglich alternative Uran-Lieferanten.

EU gibt sich entspannt

Kasachstan hat laut Berichten bereits signalisiert, dass bei Bedarf mehr Uran nach Europa verschifft werden könnte. Aber Zweifel und Sorgen, ob in Europa wegen des Konflikts in Niger die Lichter ausgehen können, zerstreute der Sprecher der Europäischen Kommission, Adalbert Jahnz: Die Versorgungsunternehmen in der EU verfügten über ausreichende Vorräte an Natururan, um kurzfristige Versorgungsrisiken abzufedern. Auch seien "mittel- und langfristig genügend Vorkommen auf dem Weltmarkt vorhanden, um den Bedarf der EU zu decken."

Dieser Artikel erschien erstmals am 01.09.2023 und wurde am 28.09. um die zivilgesellschaftlichen Forderungen nach einem Ende der Uran-Lieferungen an Frankreich ergänzt.

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